Das Genehmigungsverfahren für die geplante zweite Rheinbrücke wird sich wohl noch weiter in die Länge ziehen. Damit rückt ein möglicher Baubeginn weiter in die Ferne. Nach Ansicht des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg wird damit eine Sanierung der bestehenden Brücke während des normalen Verkehrsbetriebes immer wahrscheinlicher.
Gisela Splett, Staatssekretärin im baden-württembergischen Ministerium für Verkehr und Infrastruktur (MVI) äußerte sich positiv über den Verlauf des Faktenchecks. Die "rege Beteiligung der Bevölkerung" und das "große Maß an Sachlichkeit" bei den Diskussionen habe gezeigt, dass mit einem "Mehr an Bürgerbeteiligung" ein echter Informationsgewinn erzielt werden könne.
Neue Bürgerbeteiligungs-Kultur mit wenigen BürgernViele der Anwesenden waren allerdings keine betroffenen Bürger, sondern Wirtschaftsvertreter, gehörten zu Umweltverbänden oder Bürgerinitiativen. Dennoch sah Staatssekretärin Splett in ihrer Begrüßungsrede am Freitag den Faktencheck als "Ausdruck einer neuen Bürgerbeteiligungs-Kultur".
"Für eine Bürgerbeteiligung kam der Faktencheck recht spät. Es war vor allem eine Veranstaltung von Experten für Experten", kommentierte indes der Präsident des Regionalverbands Mittlerer Oberrhein (RVMO), Gerd Hager, das Mengenverhältnis von Fachleuten zu interessierten Bürgern. "Auch wenn es noch nicht ganz perfekt war, könnte solch ein Beteiligungsformat zu einer interessanten Bereicherung für künftige Planungsverfahren werden, wenn es frühzeitig eingesetzt wird."
An Fakten hat es nicht gemangelt
Auch wenn nur wenige Bürger teilgenommen haben, an Fakten hat es wahrlich nicht gemangelt: Über zwanzig Stunden referierten zahlreiche Experten in Fachvorträgen am Freitag, 18. November, und Dienstag, 22. November, über Sinn und Unsinn einer zweiten Rheinbrücke von Karlsruhe nach Wörth. Dabei wurde der Zustand der bestehenden Brücke genau so betrachtet wie der aktuelle Planungsstand für den Bau einer zweiten Brücke. Auch Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt wurden thematisiert. Im Anschluss an die Vorträge hatten Vertreter aus Wirtschaft, von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen die Möglichkeit Fragen zu stellen. Auch Fragen aus dem Publikum wurden beantwortet.
So erfuhr der geneigte Zuhörer, dass mit über 80.000 Fahrzeugen täglich fast dreimal so viele Autos über die Brücke fahren, als bei ihrem Bau vorgesehen. Die Brücke sei daher schon lange überlastet, eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit durch eine zweite Achse über den Rhein daher dringend erforderlich. Über die Verkehrszuwächse liegen allerdings nach wie vor unterschiedliche Zahlen vor. So prognostizieren manche Gutachter bis 2025 einen enormen Zuwachs von bis zu 100.000 Fahrzeugen auf der Brücke täglich, andere glauben nicht, dass der Verkehr signifikant zunehmen werde und sprechen von etwa 85.000 Fahrzeugen künftig pro Tag.
Zustand bestehender Brücke und Sanierung
Es sei doch egal, ob der Verkehr künftig um fünf, zehn oder 20 Prozent zunehme, die neue Brücke sei schon jetzt überlastet und eine zweite müsse her, sagen andere. Trotz der Überlastung sei das Konstrukt in gutem Zustand und habe noch lange zu leben, so Brückenexperten. Eine Brücke von der Bauart der Rheinbrücke bei Maxau könne bei ordentlicher Wartung 100 Jahre alt werden. Eigentlich hätte die Brücke, die 1966 gebaut wurde, daher noch 50 Jahre. Die Brücke müsse eben - wie jede andere Brücke auch - hin und wieder saniert werden.
Hierfür sei - anders als von vielen bisher angenommen - wohl aber keine monatelange Vollsperrung notwendig. So könnte die bestehende Brücke auch bei fließendem Verkehr und nur einzelnen Vollsperrungstagen ertüchtigt werden. Auch ein schwerer Lkw-Unfall oder eine Schiffs-Kollision seien mögliche Katastrophen-Szenarien, die die Brücke unbefahrbar machen würden. In einem solchen Fall wäre eine zweite Brücke dann schon hilfreich.
Stau-Problematik und "Knielinger Pförtner"
Lange diskutiert wurde auch das Thema "Knielinger Pförtner". Es handelt sich hierbei um die Verengung der B10 auf zwei Spuren direkt hinter der Rheinbrücke. Für einige Experten liegt hier die Ursache der Stauproblematik und nicht auf der Brücke. Die Brücke an sich produziere ihrer Ansicht nach nämlich gar keine Staus. Die morgendliche Stauproblematik in Richtung Karlsruhe würde mit dem Bau einer zweiten Brücke nicht vollständig gelöst, sondern lediglich um wenige hundert Meter verlagert. Zudem zeigte ein Gutachten aus dem Jahr 2006, dass die Verlegung des "Pförtners" machbar sei. Vertreter der Stadt Karlsruhe sehen dadurch aber eher eine Problemverschiebung und keine Lösung der Stauproblematik.
Weitere Erkentnisse waren, dass auch der Bau einer Ersatzbrücke oder Behelfsbrücke bautechnisch möglich wären, auch wenn der wirtschaftliche Nutzen noch geklärt werden müsste. Die Gesamtkosten der Sanierung plus Verstärkung der bestehenden Rheinbrücke wurden auf etwa fünf bis acht Millionen Euro beziffert. Die Kosten für eine Ersatzbrücke auf 50 bis 60 Millionen geschätzt. Eine Behelfsbrücke kostet etwa 35 bis 40 Millionen.
B36-Lückenschluss und Nordtangente
Für Irritationen sorgte die kürzlich bekannt gewordene Aussage des Bundesrechnungshofes: "Das Bundesverkehrsministerium hat auf Empfehlung des Bundesrechnungshofes auf den Neubau der Bundesstraße 10 als stadtnahe Umgehungsstraße von Karlsruhe verzichtet. Dadurch vermeidet der Bund eine Fehlinvestition von 115 Millionen Euro." Das Bundesverkehrsmnisterium (BMVBS) bestätigte auf ka-news-Anfrage, dass es die Auffassung des BRH teile.
Für Gegner der Brücke ist damit klar: Mit dem Nordtangenten-Aus stirbt auch die zweite Rheinbrücke. Verkehrsplaner sehen indes auch mit dem Anschluss an die Südtangente eine entlastende Wirkung für Karlsruhe. So schaffe man mit einer zweiten Rheinquerung eine Entflechtungssituation auch ohne Lückenschluss. Zudem könne man auch zu einem späteren Zeitpunkt noch einen Anschluss an die B36 verwirklichen. Die vorliegende Planung sieht den Bau der zweiten Rheinbrücke etwa 1,4 Kilometer der nördlich bestehenden Brücke mit Anschluss an die B10 - Südtangente - am sogenannten Ölkreuz vor.
Positionen der Parteien
Der Karlsruher SPD-Landtagsabgeordnete, Johannes Stober, findet, dass das Nordtangenten-Aus einer zweiten Rheinbrücke die Grundlage entziehe. Dies zeige sich vor allem daran, dass die Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im Rahmen des aktuellen Fakten-Checks "zukunftsfähige Rheinquerung" mit der Notwendigkeit einer zweiten überörtlichen Verkehrsachse argumentiert haben. "Mit dem nun publik gewordenen Aus für die Nordtangente hat sich diese nun aber erledigt", so Stober.
Der CDU-Kreisverband sieht sich durch Erkenntnisse des Faktenchecks in seiner Auffassung bestätigt, dass das Projekt insbesondere aufgrund der künftigen Verkehrszunahme dringend notwendig sei. Denn so könnten die Bürger von Verkehrsproblemen entlastet werden und die Karlsruher Wirtschaft sich weiterhin positiv entwickeln. Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Thorsten Ehlgötz, sagte: "Wenn die neue Landesregierung die zweite Rheinbrücke auf keinen Fall will, auch wenn der Faktencheck bewiesen hat, dass sie nötig ist, dann soll sie das klipp und klar sagen und nicht so eine Bürgerbeteiligungsshow inszenieren."
"Da wurden große Chancen zur Verständigung vertan", bedauert auch der Planungsfachmann der CDU-Fraktion Tilman Pfannkuch. Experten stellten Argumente für die zweite Brücke vor, die Vertreter einiger Interessengruppen einfach bestritten. "Dazu kamen Fragerunden, in denen mehr Positionen angegriffen und verteidigt wurden statt mal auf den Punkt zu kommen und die Frage an die Experten zu stellen", findet er.
Nach dem Faktencheck: Möglicher Baubeginn rückt wohl in Ferne
Der Faktencheck widerlege die Argumente der Brückenbefürworter, resümiert dagegen der Grünen-Landtagsabgeordnete Alexander Salomon aus Karlsruhe. Im Rahmen des Faktenchecks sei seine Sicht klar belegt worden, dass die Rheinbrücke nicht für den Stau verantwortlich sei. Durch das Land Baden-Württemberg sei ebenfalls herausgearbeitet worden, dass eine Sanierung der bestehenden Rheinbrücke ohne längeren Eingriff in den Verkehr, sowie der Bau einer Ersatzbrücke möglich seien. Die Position des Regionalverbandes habe sich durch den Faktencheck bestätigt, so RVMO-Verbandspräsident Hager. "Wir stehen nach wie vor zu unseren Beschlüssen zum Bau der geplanten zweiten Brücke."
Für die Naturschutzverbände und Initiativen stellt sich als klares Ergebnis des Faktenchecks dar: "Die Leistungsfähigkeit der Rheinbrücke Maxau wurde uneingeschränkt bestätigt." Kapazitätsprobleme gebe es nicht auf der Rheinbrücke, sondern allein im nachfolgenden Straßennetz. Die Naturschutzverbände und Initiativen begrüßen es daher, dass die zuständigen Behörden endlich bereit zu sein scheinen, die Sanierung der bestehenden Rheinbrücke Maxau voranzutreiben, anstatt diese als Druckmittel für die Erzwingung einer zusätzlichen Brückentrasse einzusetzen. "Grundsätzlich erwies sich der Faktencheck als ein sehr gelungenes Modell, das wesentlich zur Transparenz und Klärung für alle Seiten beigetragen hat. An diesen positiven Erfahrungen sollte man auch bei zukünftigen Projekten so anknüpfen", so das Votum der Naturschutzverbände.
Fazit des Ministeriums
Das baden-württembergische Verkehrsministerium sieht zum Beispiel Nachbesserungsbedarf bezüglich der zum Teil widersprüchlichen Verkehrsprognosen und bei der Radwegeplanung. Auch die im Hinblick auf die geplante Brücke getroffene Trassenwahl sei im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens nochmals zu überprüfen.
Als Fazit werde das MVI zunächst das Gespräch mit der Stadt Karlsruhe suchen. Der Stadt kommt als Eigentümerin einer Vielzahl der von der Planung betroffenen Grundstücke und als Trägerin der Straßenbaulast für große Teile der Südtangente für die Lösung der bestehenden Verkehrsprobleme und für den Fortgang des Planfeststellungsverfahrens eine wichtige Rolle zu.
Ende November geht's weiter
"Viele Fragen konnten geklärt werden, wir nehmen aber auch eine ganze Reihe von Hausaufgaben mit", so Splett am Ende des Faktenchecks. Die nun anstehenden Schritte würden mit Rheinland-Pfalz auch im Rahmen einer gemeinsamen Kabinettssitzung der Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 29. November 2011 abgestimmt, teilte das Ministerium mit.
Das baden-württembergische Ministerium für Verkehr und Infrastruktur und das rheinland-pfälzische Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur hatte die Bevölkerung zum Faktencheck eingeladen. Die Politik wollte damit der Kritik entgegen treten, dass in der Vergangenheit Informationen zu dem umstrittenen Projekt nicht umfassend aufbereitet und für die Bürger nicht zugänglich gemacht worden seien. Das rund 100 Millionen teure Projekt "Zweite Rheinbrücke" ist seit Jahrzehnten Zankapfel in der Region. Wirtschaftsverbände fordern dringend den Bau einer zweiten Brücke, sie sehen ohne Brücke den Wirtschaftsstandort Karlsruhe in Gefahr. Umweltverbände und Bürgerinitiativen warnen zudem vor starken Belastungen für Mensch, Natur und Umwelt und befürchten eine Zunahme an Lärm und Abgasen.
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