Von den rund 150 Personen, die sich im Stephanssaal in der Karlsruher Innenstadt versammelt haben, gehört ein Großteil zur sogenannten "Faktencheck-Delegation" aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.
Neue Bürgerbeteiligungs-Kultur mit wenigen Bürgern
Viele Anwesende sind Wirtschaftsvertreter, gehören zu Umweltverbänden oder Bürgerinitiativen. Betroffene Bürger, die aus rein privatem Interesse da sind, sind nur wenige gekommen. Dennoch sieht die Staatssekretärin im baden-württembergischen Ministerium für Verkehr und Infrastruktur, Gisela Splett, in ihrer Begrüßungsrede den Faktencheck als "Ausdruck einer neuen Bürgerbeteiligungs-Kultur". "Wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen, sollten wir in der Lage sein, eine ratioanle Entscheidung zu treffen", so Splett.
Der Faktencheck solle nicht nur das laufende Planfesstellungsverfahren erläutern, sondern alle Fakten umfassend darstellen. Sie appelliert an die Anwesenden Bereitschaft zu zeigen, um auf andere Argumente einzugehen und gegebenenfalls den eigenen Standpunkt zu überdenken. Am Freitag soll im ersten Teil des Faktencheks zuerst der Status Quo der bestehenden Brücke beleuchtet werden.
Es ist ein strammes Programm: In zehn Stunden werden zahlreiche Experten in fünf Themenblöcken zu Wort kommen. Bürger und Verbände können Fragen stellen. Es geht um Engpässe und Belastungen, Risiken und Chancen des Projekts zweite Rheinbrücke. Doch im Ablauf hapert es noch, viel neues wurde bisher nicht bekannt.
"Ablauf unprofessionell"
"Ich finde den Ablauf etwas unprofessionell", moniert ein Bürger nach dem ersten Themenblock. Auf gesammelte Fragen würde auf einmal geantwortet, so bleibe viel unklar, vieles sei nicht nachvollziehbar. Zudem würden einige Fragen nicht konkret beantwortet und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Möglicherweise pendle sich das aber noch ein. "Dennoch denke ich, dass der Faktencheck die Sache voranbringt", so der Karlsruher.
"Ich finde dieses Frage- und Antwortspiel wie es hier praktiziert wird nicht sinnvoll", sagt ein anderer. Tatsächlich stehen erst einmal die Vorträge von Verkehrsplanern im Vordergrund, es werden viele Zahlen genannt, viele Details erläutert. In einer ersten regionalen Gesamtschau wird von den Verkehrsplanern immer wieder betont, dass die bestehende Brücke schon jetzt überlastet - eine zweite notwendig sei.
So sagt Gert Klaiber vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg: "Die Brücke wurde 1966 für 30.000 Fahrzeuge täglich konzipiert. Mittlerweile ist sie mit über 80.000 Fahrzeugen pro Tag überlastet." Eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit durch eine zweite Achse über den Rhein sei daher dringend erforderlich. Es sei auch egal, ob der Verkehr künftig um fünf, zehn oder 20 Prozent zunehme, die neue Brücke sei schon jetzt überlastet und eine zweite müsse her.
Vekehrsplaner für die Brücke
Helmut Siebrand vom Planungsbüro Modus Consult, das die Verkehrsprognosen erhoben hat, die die Grundlage für die derzeitige Planung sind, prognostiziert, dass 2025 täglich 100.000 Fahrzeuge über die Brücke fahren könnten. Während 2010 im Schnitt täglich etwa 76.000 Fahrzeuge die Brücke nutzten, waren es im April 2011 schon 83.000. Eine neue Brücke würde eine deutliche Verkehrsentlastung bringen, so Siebrand.
Die nächsten Rheinquerungen befänden sich erst wieder in etwa 25 Kilometern Fluss auf- und abwärts, bemerkt Lothar Kaufmann vom pfälzischen Verkehrsministerium. Eine solche Situation gebe es in anderen Städten mit hohem Verkehrsaufkommen wie beispielsweise Mannheim oder Ludwigshafen nicht. Die daraus resultierende tägliche Stausituation auf der Brücke führe zu Zeit- und damit auch zu volkswirtschaftlichen Verlusten. "Die Verkehrsmengen sind an normalen Werktagen für die Kapazität seit Jahren 2006 unverändert viel zu hoch", so Kaufmann.
Diskussion um "Knielinger Pförtner"
Zudem sei die Sanierung der bestehenden Brücke dringend notwendig. Die Brücke müsste hierfür vermutlich voll gesperrt werden, was zu massiven Verkehrsbehinderungen führen würde. Er weist auf eine Situation im Juni 2007 hin, als bei Brückenarbeiten Pendler im Berufsverkehr bis zu drei Stunden im Stau standen. Kurt Ertel vom Landesbetrieb Mobilität Speyer (LBM) hebt zudem die Wirtschaftlichkeit einer zweiten Brücke hervor: "Der Nutzen ist sechsfach höher als die Kosten des Konstrukts."
Lange diskutiert wurde auch das Thema "Knielinger Prförtner". Es handelt sich hierbei um die Verengung der B10 auf zwei Spuren direkt hinter der Rheinbrücke. Für viele Anwesende liegt hier die Ursache der Stauproblematik und nicht bei der Brücke."Die Brücke an sich produziert keinen Stau", sagt auch Verkehrsexperte Ertel. Das Problem liege eher daran, dass die zunehmenden Pendlerströme nicht richtig von der Brücke abfließen könnten. Das Ingnieurbüro Köhler/Leutwein erklärte, dass es eine spürbare Verbesserung durch den Abbau des Knielinger Pförtners erwarte. Zudem zeigt ein Gutachten der Ingenieure aus dem Jahr 2006, dass die Verlegung des "Pförtners" machbar sei. Vertreter der Stadt Karlsruhe sehen dadurch aber eher eine Problemverschiebung und keine Lösung der Stauproblematik.
Lange Fragen, umständliche oder keine Antworten
Die Fragen, die aus den Reihen der Verbände, die in den Fragerunden gestellt werden, sind häufig sehr lange und komplex. Aber auch klare Antworten bleiben häufig aus und sind teilweise umständlich formuliert. Regionalgeschäftsführer Hartmut Weinrebe vom BUND beschwert sich in einer Fragerunde über die ausweichenden Antworten und bekommt dafür vom Publikum Applaus. "Hier werden Fragen nicht beantwortet, vieles wirkt unvorbereitet", beklagt Weinrebe. Vieles was in einen Faktencheck gehöre, sei nicht vorhanden.
Das rund 100 Millionen teure Projekt "Zweite Rheinbrücke" ist seit Jahrzehnten Zankapfel in der Region. Wirtschaftsverbände fordern dringend den Bau einer zweiten Brücke, sie sehen ohne Brücke den Wirtschaftsstandort Karlsruhe in Gefahr. Auch viele Pendler, die morgens häufig im Stau stehen, sprechen sich für den Bau aus. Doch bezüglich der Verkehrsprognosen gibt es unterschiedliche Angaben. Gegner meinen, die Brücke reiche aus und müsse nur saniert werden. Befürworter sagen, die Brücke sei jetzt schon überlastet. Umweltverbände und Bürgerinitiativen warnen zudem vor starken Belastungen für Mensch, Natur und Umwelt und befürchten eine Zunahme an Lärm und Abgasen. Inwiefern der Faktenecheck den Brücken-Streit tatsächlich beigelegt werden kann und zu einem Konsens führt, bleibt abzuwarten. Er hat ja auch gerade erst begonnen.
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