Anlass ist die Aufarbeitung eines Pyro-Vorfalls im BBBank-Wildpark mit mehreren Verletzten im Jahr 2022. 28 Verfahren hat die Staatsanwaltschaft eingeleitet - drei darunter betreffen Sozialarbeiter, die die Aussage aus berufsethischen Gründen verweigert haben.
Für wen gilt aktuell das Zeugnisverweigerungsrecht?
Das Recht, die Aussage vor Gericht zu verweigern, wird derzeit nur ausgewählten Berufsgruppen zugestanden: Darunter fallen Ärzte, Geistliche, Rechtsanwälte, Psychologen und Journalisten.

Es gibt auch eine gesetzliche Ausnahmeregelung für Sozialarbeiter, sie müssen jedoch in der Suchtberatung arbeiten, um legal die Aussage vor Gericht verweigern zu können. Um das Zeugnisverweigerungsrecht auf alle Sozialarbeiter auszuweiten, müsste die Strafprozessordnung (StPO) vom Bundestag verändert werden.
Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter "längst überfällig"?
Viele Sozialarbeiter wie Volker Körenzig - Einrichtungsleiter des Fanprojekts Karlsruhe - fordern seit Jahren ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter.

Die drei Sozialarbeiter stammen aus dem Karlsruher Fanprojekt, das vom Stadtjugendausschuss (stja) betrieben wird. Sie müssen sich am 15. Oktober vor Gericht für ihr Schweigen verantworten.
"Alle Sozialarbeiter müssen mit Kriminalisierung rechnen"
"Wenn man uns jetzt verurteilt, müssen alle Sozialarbeiter damit rechnen ebenfalls kriminalisiert zu werden", betont Körenzig die Wichtigkeit des Zeugnisverweigerungsrechts für sich und seine Kollegen.

Am Montagabend, 7. Oktober, diskutierten Experten und Entscheidungsträger in den Räumen des Stadtjugendausschusses darüber, warum es ein solches Recht noch nicht gibt und wie sich sein Fehlen auf die Arbeit von Sozialarbeitern bundesweit auswirkt.
Arbeit von Sozialarbeitern wird behindert!
Man will Politik, Justiz und Medien über das Thema informieren und eine dementsprechende Gesetzesänderung anstreben. Das Ziel: Die Arbeit von Sozialarbeitern soll künftig nicht durch drohende Gerichtsverfahren erschwert oder behindert werden.

"Der Karlsruher Fall ist hochdramatisch und zeigt, dass ein Zeugnisverweigerungsrecht längst überfällig ist", erklärt Titus Simon. Der emeritier Professor der Hochschule Magdeburg, setzt sich seit Jahren für ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter ein.
Neben ihm saßen auf dem Podium:
- Frank Mentrup, Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe
- Sophia Gerschel, Angeklagte Sozialarbeiterin des Karlsruher Fanprojektes
- Holger Siegmund-Schultze, Präsident des Karlsruher Sportclub (KSC)
- Daniel Melchien, Geschäftsführer des Stadtjugendausschusses (stja)
- Christiane Bollig, stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork/ MJA e.V
- Timo Klumpp, Moderator und Journalist

Aktueller Fall zeigt "jahreslanges Versäumnis"
Unter den Experten herrschte, was das Thema des Abends anging, Einigkeit. Ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter müsse kommen. Die dementsprechende Abänderung der Strafprozessordnung müsse endlich auf den Weg gebracht werden.

"Seit 1974 wurde der §52 StPO nicht mehr modernisiert und ist somit nicht mehr zeitgemäß", beschreibt Titus Simon die aktuelle gesetzliche Lage.
Dass nun drei Sozialarbeiter des Karlsruher Fanprojektes angezeigt wurden, sei die Konsequenz einem jahrelangen Versäumnis vonseiten der Politik.
KSC solidarisch: "Wir stehen zu den angeklagten Sozialarbeitern"
Diese widerspricht in Form des Oberbürgermeisters nicht: "Es wird dringend eine Reform benötigt", sagt Frank Mentrup. Zustimmung gibt es ebenfalls von KSC-Präsident Holger Siegmund-Schultze: "Der KSC zeigt sich zu 100 Prozent solidarisch mit den drei angeklagten Sozialarbeitern."

Im ganzen Trubel um den Pyro-Prozess ist einer betroffenen Sozialarbeitern eine Sache sehr wichtig: Man möchte keine Märtyrer-Rolle einnehmen. "Ich bin keine Heldin!", sagt Sophia Gerschel , "Ich habe nur meinen Job gemacht und das war richtig".
Dieser Einschätzung folgt auch ihr Arbeitgeber: stja-Geschäftsführer Daniel Melchien stärkt seinen Angestellten den Rücken. "Obwohl ich den Dreien gesagt habe 'sagt bitte aus' bin ich sehr stolz auf ihre Entscheidung", sagt er am Montagabend.
Warum die drei Sozialarbeiter vor Gericht stehen - die Hintergründe gibt es in diesem Artikel.
Wieso sind Fanprojekte wichtig?
Die Sozialarbeiter brauchen Jahre, um Vertrauen in der Szene aufzubauen. Ihr Ziel: Radikalisierungen von jungen Fans verhindern und frühzeitig Infos zu beunruhigende Entwicklungen in der Szene erhalten. Das Fan-Projekt gibt es bereits seit 1986.

Was ist der Karlsruher Pyro-Prozess?
Am 12. November 2022 trafen der Karlsruher Sportclub (KSC) und der FC St. Pauli aufeinander. Die Partie endete 4:4 und hätte als spannender Schlagabtausch zweier Mannschaften auf Augenhöhe in Erinnerung bleiben können.
Doch eine Fan-Choreographie vor dem Anpfiff zur Feier des 20-Jubiläums der Ultragruppierung "Rheinfire" überschattete die sportlichen Leistungen an diesem Tag. Zusätzlich zu der, beim KSC angemeldeten Choreographie, zündeten mehrere Vermummte pyrotechnische Gegenstände und Feuerwerksbatterien.
Der durch die Show entstandene Rauch verletzte elf Fans. Einer von ihnen atmete so viel Rauch ein, dass sein Lungenvolumen nachhaltig reduziert wurde.
Die Jubiläumsfeier beschäftigt seit dem die Karlsruher Justiz. Bereits acht Mitglieder von "Rheinfire" mussten sich vor Gericht für ihre Rolle bei dem Pyro-Exzess verantworten. Am 20. September wurden erstmalig zwei Ultras zu Haftstrafen verurteilt. Die Härte des Urteils löste Empörung in vielen Fanverbünden bundesweit aus. Viele zeigten in Stadien ihre Solidarität mit Bannern.