Puppenspieler und Kutschenrestaurator Stephan Blinn wohnt in einem Fachwerkhaus aus dem frühen 18. Jahrhundert in der Stadtmitte von Durlach. Die Werkstätten, die er für seine Arbeiten braucht, hat er direkt vor Ort – in seiner alten Schmiede, die er mal von Handwerkern übernommen hat, erledigt er grobe Arbeiten wie Schweißen, während die Holzarbeiten an seinen Kutschen und Puppen in seiner Holzwerkstatt erfolgen.

Selten trifft man einen solchen Menschen wie Stephan Blinn, der sich seiner Arbeit mit so viel Herzblut widmet und sich so leidenschaftlich für die ihm wichtigen Themen einsetzt. Blinn hat schon immer mit Pferden zusammengearbeitet und restauriert heute alte Kutschen aus ganz Europa. Der ausgebildete Schauspieler aus Durlach hat auch 40 Jahre lang immer wieder Geige gespielt zusammen mit Zigeunergruppen und ist in der ganzen Welt mit seinem selbst geschnitzten Puppentheater aufgetreten.

Blinn besitzt zwei Werkstätten und viele Kutschen

In den beiden Werkstätten hat er alle Werkzeuge, die er zur Reparatur braucht, so dass er keine zusätzlichen Leistungen von anderen Handwerkern in Anspruch nehmen muss. Hier in der Werkstatt steht derzeit eine Kutsche – "ein Wrack", sagt Blinn im Gespräch mit ka-news.de, an der er gerade dran ist.

Kutsche aus der Schweiz.
Kutsche aus der Schweiz. | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

Die Arbeiten könnten jahrelang dauern, denn Blinn restauriert nicht, um weiter zu verkaufen, sondern als Ausgleich und aus Leidenschaft – so arbeitet er nicht konstant an einer Restauration. In Blinns kleinem Museum stehen bereits zehn Kutschen aus ganz Europa, die er bis ins kleinste Detail und von Grund auf überholt hat – von den Rädern bis zur Polsterung und Verdeck.

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An den Wänden hängen zwei Arten von Geschirr – das ungarische System und die englischen Anspannungen, die er auch teilweise komplett repariert hat.

Die kaputten Kutschen erwerben und richten

Ursprünglich aus dem Saarland kam Blinns Familie Anfang der 1960er Jahren nach Karlsruhe. Blinn ist auf dem Land groß geworden, auf einer Landwirtschaft, die mit Pferden betrieben wurde und so hat er immer mit Pferden zu tun gehabt.

Deutsche Kutsche.
Deutsche Kutsche. | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

Ihn hatte damals das Traditionelle an dem Pferdebetrieb interessiert und so hat er 1973 seine erste Kutsche gekauft. "Ich habe immer desolate Wagen gekauft, weil ich mir die guten Wagen nicht leisten konnte, und habe sie restauriert", erklärt er.

"Das habe ich aber nie als Beruf gesehen und habe auch nie im Auftrag restauriert. 1980 habe ich ein Marionettentheater aufgemacht und seitdem beruflich Puppen gespielt." Es ist aber interessant, eine Kutsche zu richten, sagt Blinn, zumal die, die meisten Unfälle haben.

Kutsche aus der Schweiz.
Kutsche aus der Schweiz. | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

 Es macht ihm einfach Spaß, so einen Wagen intakt einspannfertig zu machen. Blinn schätzt, dass es ungefähr 2000 Kutschen auf dem Markt gibt, die zur Reparatur angeboten werden. Vor Allem in Frankreich und Berlin gibt es sehr große Sammlungen.

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Allerdings ist es sehr schwer, meint er, eine restaurierte Kutsche zu verkaufen – keiner möchte eine historische Kutsche mehr, die Zeiten seien vorbei. Das liegt unter anderem an Verkehrsregelungen, auch teilweise daran, dass man keine Ersatzteile für die Kutschen bekommt.

Alles, was noch brauchbar ist, wird erhalten

"In der Restauration erhält man alles, was erhaltenswert und original ist", erklärt Blinn. “Ich habe zwei Wagen stehen, die die Originalpolsterung noch haben. Die anderen Wagen sind aber derartig desolat, dass ich die Polsterung neugestalten musste. Ich habe aber die ursprüngliche Polsterung und die Maße, so dass ich weiß, was ich brauche."

Schlitten von der polnischen Grenz.
Schlitten von der polnischen Grenz. | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

Blinn braucht keine Handwerker mehr und macht alles selbst – das hat er aber auch alles von anderen lernen müssen, vom Nähen bis zum Rad bauen. "Ich hatte in der Nachbarschaft die Schmiede, und bei ihnen war ich immer. Dann hatte ich mal den Wagner gebeten, mir beizubringen, wie man ein Rad baut."

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Er könnte keinen ganzen Wagen bauen, sagt er, aber wo er ein Muster hat, kann er das nachbauen. Dann kannte er noch den Sattlermeister – zusammen mit dem Schmiedemeister und dem Wagnermeister hatte er eine Gruppe von Handwerkern, von denen er sehr viel lernen konnte.

Unzählige Kutschentypen

Die Kutsche – oder das Wrack – die derzeit in der Werkstatt zur Reparatur steht, kommt aus Norddeutschland. Blinn erklärt, dass dieser ein sogenannter Mechanikwagen ist, der variabel ist. Die variablen Wagen gehörten Kutschenbesitzer, die nicht sehr viel Geld besaßen, das heißt, dass diese Wagen sehr viel liefen.

Ein Fußwärmer.
Ein Fußwärmer. | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

Im Gegensatz dazu hatten die reichen Leute für jeden Anlass einen anderen Wagen. Bei den Mechanikwagen hat man zu jedem Anlass den gleichen Wagen genommen aber anders zur Präsentation gebracht. "Es gibt unzählige Modelle von Kutschen", sagt Blinn.

"Sogar in meiner Sammlung gibt es den sogenannten Selbstfahrer – der Wagen aus Bayern – eine Kutsche ohne Pferd, die der Besitzer selbst fuhr. Dann gibt es den halbgedeckten Wagen, wie die Viktoria – man kann sie offen oder gedeckt fahren. Den Landauer, andererseits, kann man komplett aufklappen. Das Coupé aus Wien, zum Beispiel, ist ein sogenannter steifgedeckter Wagen, aber davon gibt es auch unzählige Varianten. Jede hat seine Spezialität", berichtet er.

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In der Fahrweise gibt es auch Riesenunterschiede, beispielsweise zwischen den Stadtwagen und den Wagen, die auf dem Land liefen. Es gab mehrere unterschiedliche Federsysteme, auch große Unterschiede in der Lenkung. Und neue Modelle kamen auch regelmäßig auf den Markt – die reichen Leute konnten natürlich auch immer "den letzten Schrei" erwerben.

Die unterschiedlichen Fahrweisen

"Die Hochburgen für die Kutschenmode waren Österreich, Frankreich und England", erläutert Blinn. "In Österreich-Ungarn jedoch sind sie anders gefahren als in England – die Engländer sind pferdeschonend gefahren. Im Zentrum von London hatten sie um das Jahr 1900 zirka 3.000 Pferde stehen gehabt, was ein sehr komplexes Logistiksystem gebraucht hat. In der Regel sind sie etwa drei Tage gelaufen und sind vier Tage gestanden. Sie sind deshalb pferdeschonend gefahren und aus dieser Fahrweise hat sich die Kutschenfahrweise entwickelt."

Geschirr nach dem ungarischen System.
Geschirr nach dem ungarischen System. | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

Teilweise gehen die Reparaturarbeiten sehr ins Detail, wie bei der Polsterung, den Rädern oder dem Geschirr. Blinn macht die neue Polsterung exakt so nach, wie es mal war. Bei der Landauer Kutsche beispielsweise musste er für die nachgemachte Polsterung 104 Hemdenknöpfe mit Stoff beziehen.

"Was die Holzräder betrifft: Heute kann man Holzräder nach Maß kaufen, aber sie sind nicht individuell", meint Stephan Blinn. "Die Nabe – das ist das Mittelstück – das ist bei jeder Kutsche anders und wenn ich ein Rad neu baue, dann drehe ich diese Nabe so, wie die alte war."

Auch beim Geschirr kann der Restaurator kein Kummet bauen, aber wenn es um die Reparatur geht, dann macht er alles so, wie es einmal war. Und das Lederverdeck ist auch nicht einfach – beim Landauer, der ein karreeförmiges Verdeck hat, ist es jedoch leichter als bei der halbrunden Viktoria-Kutsche zu fertigen. 

Kutsche aus Deutschland.
Kutsche aus Deutschland. | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

Blinn kümmert sich auch um die kleinen Accessoires in den Kutschen. Eine kleine Innenleuchte mit einer Kerze sitzt in einem silberfarbenen, geschlossenen Kerzenhalter. Am Boden gibt es öfter "Fußwärmer" – mit Stoff bezogene Kohlenbehälter, auf denen man die Füße erwärmen kann. 

Als junger Mann ist Blinn von Karlsruhe nach Paris, durch die Loire, in die Bretagne, runter zur Côte d’Azur und über die Alpen wieder nach Karlsruhe mit zwei Pferden und einer alten Kutsche gereist. Damals berichtete die französische Presse detailliert über seine Reise und er wurde berühmt für seine Geschicklichkeit beim Kutschenfahren.

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Inzwischen ist der Markt für historische Kutschen leider tot, sagt der Restaurator Blinn. Vor 20 Jahren, sagt Stephan Blinn, wurde noch richtig gutes Geld dafür bezahlt, aber den letzten Wagen hat er geschenkt bekommen. Und den Schweizer Wagen hat er von einem Händler für 200 Euro gekauft.

Kutschen verkaufen? "Es ist vorbei"

"Das sind die Zeiten", sagt Blinn. Auch in historischen Fernsehproduktionen oder Filmen werden Kopien gefahren, die oft nur für die Schau gebaut sind, ausgerüstet aus Versicherungsgründen mit neuen Bremsen.

"Es ist vorbei", sagt er über das traditionelle Kutschengeschäft. "Wie vieles ja vorbei ist. Das nennt sich zwar modern, aber ob das schön ist, weiß ich auch nicht."

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