"Passt auf eure Frauen und Kinder auf" - an solche und ähnliche Sprüche erinnert sich Christa Caspari vom Mühlburger Flüchtlingsnetzwerk, wenn sie an die "emotionsgeladene" Bürgerversammlung zum Griesbach-Haus im Juli 2013 zurückdenkt. "Nach den fremdenfeindlichen Parolen und der aufgeheizten Stimmung war für mich und andere klar: wir müssen etwas machen", so die ehemalige Stadträtin.
In dem losen Netzwerk, das sich daraufhin im September gründete, sind neben Privatpersonen auch beide Kirchengemeinden, das Bürgerzentrum und das Kulturnetzwerk von Mühlburg und die Karlsruher Asylgruppe von Amnesty International vertreten. "Wir wollen die Flüchtlinge im Griesbach-Haus willkommen heißen", formuliert Caspari ihr gemeinsames Ziel. Die Heimbewohner, die meist gerade erst in Deutschland angekommen sind, sollen Wertschätzung und Hilfeleistung erfahren.
"Kinder saugen die Wörter auf wie ein Schwamm"
Insgesamt kommt das Netzwerk mittlerweile auf etwa 20 ehrenamtliche Mitglieder, darunter Schwestern vom Herz-Jesu-Stift, ein Arabisch-Dolmetscher und vier bis fünf Deutschlehrerinnen. Zu letzteren gehört etwa Christel Ziegler, die von Anfang an dabei war: "Ich bin zufällig dazugekommen, weil ich in der Nähe wohne", sagt die 74-Jährige. Einmal pro Woche gibt die pensionierte Deutschlehrerin eine Unterrichtsstunde für die Kinder und Jugendlichen des Asylbewerberheims. "Zuerst gab ich zwei Stunden, aber das war mir dann doch zu anstrengend. Die Altersspanne in der Gruppe reicht immerhin von sechs bis 16 Jahren", so Ziegler. Die Verständigung gelinge notdürftig mit Händen und Füßen, folglich stehen auf dem Lehrplan auch nur die einfachsten Wörter und Floskeln: wie man heißt, Kleidungsstücke und Körperteile - letzteres sei wichtig für Arztbesuche. "Die Kinder schätzen die Zuwendung gewaltig. Manche saugen die Wörter auf wie ein Schwamm", freut sich Ziegler.
Edelgard gibt den gleichen Deutschunterricht für Erwachsene, ebenfalls einmal pro Woche. Als die Pläne für das Asylbewerberheim in der der Sophienstraße bekannt wurden, hätten sie die "abstrusen Zeitungsartikel" empört. "Ich bin selbst schon mehrfach nach Syrien und Jordanien gereist und war dort immer willkommen", sagt sie. Auch ihre Erwachsenen-Kurse würden gut angenommen: "Die Menschen sind sehr motiviert zu lernen und zu arbeiten, deshalb macht mir der Unterricht Spaß. Er ist in meinen Augen sinnvoll, auch wenn natürlich die Nachhaltigkeit fehlt", sagt Edelgard. Denn die Bewohner des Griesbach-Hauses bleiben nie lange: bei dem Heim handelt es sich um eine Außenstelle der "Landeserstaufnahme" (LEA) - eine Art Durchgangsstation. In Deutschland eingetroffene Flüchtlinge sind hier meist nur einige Wochen untergebracht, bevor man sie auf andere Wohnheime im Land verteilt. Die Lehrerinnen bedauern wie alle anderen vom Netzwerk auch die ständigen Wechsel. "Meine Klasse setzt sich für maximal drei Wochen aus denselben zusammen", sagt Ziegler.
Der Anfang in Deutschland: EASY in der LEA
Die eigentliche LEA-Karlsruhe in der Durlacher Allee kann die wachsende Zahl der Flüchtlinge schon lange nicht mehr aufnehmen. So hat man über das Stadtgebiet verteilt Außenstellen eingerichtet - allein im Karlsruher Westen vier oder fünf, meint Caspari. Das Griesbach-Haus ist ein ehemaliges Pflegeheim und hatte zuletzt leer gestanden. Die Idee hinter diesem Heim ist, dort die am meisten schutzbedürftigen unter den Flüchtlingen zu sammeln. Tatsächlich kommen ausschließlich Familien mit Kindern, Frauen und elternlose Kinder in die Sophienstraße. Fast alle der 75 Bewohner stammen aus Syrien, aber auch Iraker, Afghanen oder Inder sind dabei. "Man darf nicht vergessen, dass Kriegsflüchtlinge oft traumatisiert hier ankommen. Und man weiß nie, ob man etwa mit einem Gefolterten oder Folterer spricht", meint Wolfgang von der Karlsruher Asylgruppe von Amnesty International. Die Einrichtung selbst sei in Ordnung, "aber man darf sie nicht mit deutschen Augen betrachten", meint Edelgard. Alle loben die besonders freundliche Security des Hauses. Ein großes Problem sei dagegen der lange Weg in die Durlacher Allee, wo weiterhin sämtliche Behördengänge erledigt werden müssen.
"Stellen Sie sich vor, wie eine Mutter mit vier Kindern an der Hand, in einem völlig fremden Land und ohne ein Wort Deutsch im morgendlichen S-Bahn-Verkehr unterwegs ist", sagt Wolfgang. Hier sei Hilfe besonders wichtig, schon beim Entziffern von Straßennamen. Seine Organisation leistet aber keine Rechtsberatung, sondern hilft lediglich beim Zurechtfinden in der deutschen Bürokratie. Dazu gehört vor allem das Erklären von Dokumenten, aber auch die Bedeutung von "Fristen" oder "Widerrufsrechten" müsse manchen erst verständlich gemacht werden. Bei den Bewohnern des Griesbach-Hauses geht es konkret um das, vielleicht euphemistisch als "EASY" abgekürzte, "Erstaufnahme-System": In einem sechswöchigen Anhörungsverfahren sollen Dinge wie Identität, Fluchtgrund und Einreiswege festgestellt werden. Beim Ausfüllen von Asylanträgen halte man die Flüchtlinge stets zur Ehrlichkeit an. "Das nützt mehr als falsche Angaben, denn es lässt sich ja alles überprüfen - etwa, über welches Land man eingereist ist", meint Wolfgang.
Mühlburg hat sich beruhigt, aber Gerüchte brodeln weiter
Seit Anfang Dezember 2013 gibt es für die Bewohner Griesbach-Hauses auch eine "Teestube". Im Herz-Jesu-Stift nahe des Heims werden sie vom Netzwerk jeden Donnerstag ab 18 Uhr zu Tee, heißer Schokolade, Gebäck und Obst eingeladen. "Auch wir vom Stift haben uns gefragt, wie wir helfen können. Und die Räumlichkeiten hier bleiben ja außerhalb der Öffnungszeiten für die Obdachlosenspeisung ungenutzt", sagt Schwester Eva Maria Schaffner. Caspari bezeichnet die allwöchentliche Teestube als "wichtiges und langfristiges Projekt" des Netzwerks: "Es ist für die Flüchtlinge wichtig, auch mal aus dem Heim herauszukommen." Um solche Projekte am Leben zu halten, bedürfe es weiterhin vieler Hände. Besonders Dolmetscher seien gesucht, aber auch weitere Lehrer, Kleidungsspenden oder Helfer in der Teestube. "Wir laden alle Interessierten herzlich ein, jeder ist willkommen", sagt Caspari.
Mittlerweile sei es in Mühlburg rund um das Griesbach-Haus ruhiger geworden. "Vor allem, weil die Befürchtungen nicht eingetroffen sind. Damals hatten viele zum Beispiel Angst vor Dreck und Müll, oder dass ihre Wohnungen an Wert verlieren würden", meint Capsari. Im Untergrund brodele es in Form von Gerüchten aber weiter. "Etwa, dass die Flüchtlinge vom Staat alle Handys bekommen würden, oder drei Mal am Tag speisen würden wie im Restaurant", sagt Caspari und schüttelt den Kopf. Deshalb plant das Netzwerk in Zukunft auch Veranstaltungen für die Bevölkerung, um seine Arbeit bekannter zu machen und über das Griesbach-Haus und seine Bewohner aufzuklären.
Mohammed war Autoverkäufer
Einer dieser Flüchtlinge ist Mohammed. Er kommt aus einem Dorf bei der umkämpften Stadt Homs - dort stehe jetzt kein Haus einziges mehr, es gebe kein Telefon mehr und kein Licht. Pausenlos fielen Bomben. In seinem Handy zeigt der Autoverkäufer die Bilder der Zerstörung. Es sieht genau so aus wie das, was täglich über die Bildschirme deutscher Nachrichtensendungen flimmert. Mit seiner Frau und den zwei Töchtern kam er vor gerade einmal zwei Wochen nach Deutschland - über Libyen und Italien, mit dem Flugzeug. Jetzt sitzt die Familie an einem der Teestuben-Tische in der Gellertstraße.
Mohamed ist unentwegt leicht am lächeln. Endlich könnten sie wieder ruhig schlafen und seine Töchter hätten keine Angst mehr. Jihad, der Mohameds kaum vorhandenes in etwas weniger gebrochenes Englisch übersetzt, war in Syrien Mode-Designer. Er fragt, ob es in Deutschland auch solche Arbeit gibt und hofft, dass sie nicht nach Italien abgeschoben werden. Die Polizei dort habe ihn geschlagen. Ein Anderer fragt den Arabisch-Dolmetscher, ob dieser Journalist ihnen bei der Bearbeitung ihrer Asylanträge helfen könne. Am selben Donnerstagabend berichten die Abendnachrichten über Homs: Zum ersten Mal sollen Hilfsgüter in die seit 18 Monaten belagerte Stadt hinein und verbliebene Zivilisten - etwa 1200 Alte, Frauen und Kinder - hinaus dürfen.
Karlsruher Flüchtlingsheim: "Die Menschen schlafen auf den Gängen"
Land will Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge erweitern
Flüchtlinge in Karlsruhe: Ein Besuch beim Freundeskreis Asyl
Flüchtlinge in Karlsruhe: "Die Situation in den Wohnheimen hat sich entspannt"
Karlsruhe hat 7.913 Flüchtlinge aufgenommen
Asylbewerber in Karlsruhe: Der Flüchtling, Dein Nachbar
Asylbewerber in Karlsruhe: OB Fenrich beklagt mangelnde Abstimmung mit der Stadt
Karlsruher klagen über Lärm: Flüchtlinge werden zum Stein des Anstoßes
Karlsruher CDU: "Unterbringung der Asylbewerber ist menschenunwürdig"
Viele Asylbewerber: Flüchtlingsaufnahmestelle in Karlsruhe überfüllt