2020 steht Karlsruhe in der ADFC Umfrage an der Spitze. Radfahrende bewerten die Fächerstadt von allen Großstädten (200.000-500.000 Einwohner) als am fahrradfreundlichsten. Die Note war jedoch bescheiden. Mit lediglich einer 3,1 führte Karlsruhe die Spitze an. Doch auch die anderen Städte in derselben Größenordnung schneiden nicht wirklich besser ab. Woran liegt das?
Liebe Frau Hillenbrand: Ist Deutschland tendenziell "fahrradunfreundlich"?
Deutschland ist noch kein Fahrradland, aber fahrradunfreundlich würde ich auch nicht sagen. Es gab insbesondere in den letzten Jahren doch einige Verbesserungen und Radverkehr wird zunehmend, wenn auch nicht immer, bei der Verkehrsplanung mitgedacht.
Kommt der Fahrradverkehr in Karlsruhe zu kurz?
Natürlich spielt das Auto in Deutschland nach wie vor eine zu große Rolle, daher dauern viele Entwicklungen hin zu einer besseren, klimafreundlicheren Infrastruktur hier länger als nötig wäre. Auch die neue Kriegsstraße zeigt, dass Autos nach wie vor Vorrang haben.

Die Chance, den Autoverkehr nach unten in den Tunnel zu schicken, wurde verpasst. Nun fahren ober- und unterirdisch Autos, der Radweg hat Mindestbreite. Hier wäre mehr möglich gewesen.
Was ist der wesentliche Konflikt?
Es gibt gelungene Maßnahmen in der Stadt, wie zum Beispiel das Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof. Leider fehlt häufig der Mut, für mehr Flächengerechtigkeit zu sorgen: zu oft werden Fuß - und Radverkehr gegeneinander ausgespielt.

Sie müssen sich kleine Flächen teilen, was zu Konflikten führt, während der Autoverkehr immer noch den größten Raum einnehmen darf. Das ist nicht mehr zeitgemäß und ungerecht.
Welche Faktoren sprechen für Karlsruhe als fahrradfreundliche Stadt?
Karlsruhe ist flach und daher grundsätzlich erstmal fahrradfreundlicher als andere Städte. Die Stadtverwaltung unternimmt auch relativ viel, um den Radverkehr weiter zu fördern und diese positiven Voraussetzungen zu nutzen.
Steigen mit der sich verbessernden Gesamtsituation auch die Ansprüche der Radfahrer?
Sicher. Wo mehr Menschen Radfahren fällt ihnen auch auf, wo es besser laufen könnte - Die Menschen werden kritischer und sind oft nicht mehr bereit, schlechte Infrastruktur einfach hinzunehmen, Forderungen werden lauter.

Das heißt aber nicht zwingend, dass mehr gemeckert wird, sondern eher, dass mehr Menschen auffällt, was alles noch verbessert gehört.
Wie sieht für Radfahrende das ideale Karlsruhe aus?
Karlsruhe ist zur echten Fahrradstadt geworden: PKW Parkplätze im öffentlichen Raum stehen fast ausschließlich Anwohner*innen und Dienstleister*innen zur Verfügung. Alle anderen werden in Parkhäuser oder Quartiersgaragen geschickt.

In den Wohngebieten gibt es dafür autofreie Zonen, Kiezblöcke, überdachte und gesicherte Radabstellanlagen in ausreichender Zahl, und zwar auch für Anhänger und Lastenräder. Alle Fahrradstraßen sind echte Fahrradstraßen, das Auto wird weitegehend ausgeladen. Radwege werden selbstverständlich geräumt, gepflegt, von Grün und Schmutz befreit. Im Winter kein Schnee, im Sommer keine Wasserlache.
Im Fokus der Umfrage 2022 stand der ländliche Raum. Was macht fahrradfreundlichen ländlichen Raum aus?
Auch im ländlichen Raum das Rad mitdenken. Auch da gibt es Kurzstrecken innerorts (beispielsweise Schulwege), die mit dem Rad bewältigt werden können und werden. Die Verknüpfung von Rad und Bahn ist wichtig, um längere Pendlerstrecken zu bewältigen. Also gutes Radparken! Als Beispiel dient Mühlacker (Enzkreis). Hier wird ein Radparkhaus für 120 Räder gebaut - am Bahnhof.