Anstatt, dass tagtäglich mehrere Hundert Posttransporter durch die Fächerstraßen rollen, könnten Pakete künftig einfach mit der Bahn geliefert werden. Eine Idee, die auf den ersten Blick simpel wirkt, aber innerhalb des Projektes "LogIKTram", das seit 2021 daran arbeitet, immer wieder neue Herausforderungen aufwarf.
"Wir nutzen die fahrenden Züge"
"Das Grundprinzip besteht nach wie vor darin, mit unseren Straßen- und Stadtbahnen in und um Karlsruhe automatisierte und mit elektrischem Motor ausgestattete Fahrradanhänger zu transportieren, die mit bestellten Paketen bestückt sind", sagt Christoph Rentschler, Leiter des Projektes und seit Januar 2022 Assistent der Geschäftsleitung innerhalb der AVG.

Zusammen mit Michael Frey, dem stellvertretenden Leiter des Instituts für Fahrzeugsystemtechnik am KIT, unterliege "LogIKTram" und die Idee der Paketbahn seiner Federführung. "Wir wollen einen Beitrag zur Umweltentlastungleisten und die Lebensqualität erhöhen, indem wir die Anzahl der in der Stadt fahrenden Kleintransporter reduzieren und die Pakete mittels Bahnen transportieren, die sowieso schon fahren."
"Neue Bahnen sind unnötig"
Damit spreche er einen zentralen Punkt des Vorhabens an: Nämlich den, dass für das Projekt "LogIKTram" keine zusätzlichen Bahnen vorgesehen sind. "Sie müssen sich vorstellen; die Pakete kommen im Regelfall gegen Mitternacht in den jeweiligen regionalen Verteilzentren an. Sie sind dann in den frühen Morgenstunden lieferbereit und erreichen dann - je nach Bezirk - gegen Vormittag den Konsumenten", erklärt Frey.
"Nun ist es ja so, dass die Stoßzeiten der Bahnen - meist zu Beginn und Ende eines Arbeitstages - gar nicht mit den Lieferzeiten der jeweiligen Kurierdienste zusammenfallen. Im Gegenteil: Frühmorgens und vormittags sind die Bahnen deutlich leerer. Unsere elektrischen Anhänger hätten also problemlos in den Bahnen Platz, ohne die Fahrgäste zu behindern oder mit ihnen zu konkurrieren", so der stellvertretende Institutsleiter.
"Bestehendes wird effizienter genutzt"
Zusätzliche Bahnen seien nach bisherigen Überlegungen also gar nicht nötig, sondern die bestehenden Fahrzeuge würden nur noch effizienter und somit wirtschaftlicher genutzt werden. "Wer weiß, vielleicht führt der Erfolg des Projektes sogar zu einem engeren Takt, was unseren Fahrgästen letztendlich zugutekommen würde", scherzt Rentschler.
Um so einen Erfolg aber auch zu gewährleisten und um sicherzustellen, dass Personen- und Paketverkehr problemlos auf dieselbe Schiene passen, müssten noch mehr Daten erhoben und noch mehr Szenarien berücksichtigt werden.
"Der durchschnittliche Fahrgastwechsel dauert 20 bis 40 Sekunden, danach ist die Bahn wieder abfahrbereit", sagt Rentschler dazu. "Wir wollen natürlich in jedem Fall verhindern, dass durch die Pakettransporte Verzögerungen entstehen. Daher müssen die 20 Sekunden beim Be- und Entladen eingehalten werden."
Die Intelligenz hinter der Auslieferung
Natürlich sei das nicht die einzige Nuance, die das Team hinter "LogIKTram" mit einberechnen müsse. "Die schweren Paketanhänger müssen in den Bahnen sicher stehen. Deshalb entwickeln wir im Projekt einen Mechanismus, der einen sicheren Stand des Anhängers in der Bahn bei allen Fahrmanövern ermöglicht und Gefährdungen ausschließt", so der Projektleiter.

"Nicht zu vergessen, dass es auch körperlich eingeschränkte Fahrgäste gibt - ebenso Gäste, die einen Kinderwagen oder ein Fahrrad dabei haben. Sie dürfen durch die Postanhänger natürlich nicht blockiert werden", ergänz Frey. Damit all dies bewerkstelligt werden kann, benötige es eine zentrale Intelligenz hinter dem Lieferkonzept.
Pakete sollen alleine "aus den Bahnen rollen"
"Momentan verzeichnen wir größere Fortschritte bei der Entwicklung einer Informations- und Koordinationstechnologie Plattform, kurz IKT", sagt Frey dazu. "Dort gibt es seit 2021 auch die größte Entwicklung."
Ziel sei es, dass diese Plattform eines Tages alle Vorgänge bei der Paketlieferung koordiniere und somit auch Zugriff auf den Echtzeitfahrplan des AVG-Gebiets erhalte. Anschließend soll dort dann genau protokolliert werden, wo sich welches Paket befindet, wann es ankommt und bei Problemen den Fahrer informieren. Im Gegenzug müssten sich aber auch die Bahnen teilweise an das Programm anpassen.
"Wir planen, dass die elektrischen Paketwagen ohne direktes menschliches Zutun in und aus den Bahnen rollen", erklärt Rentschler. "Also automatisiert durch eine vorprogrammierte Bewegung. Das bedeutet, dass die Bahnfahrer immer an derselben Stelle zum Stehen kommen müssen, ansonsten würde der Anhänger die Tür verfehlen. Um das zu verhindern, erarbeiten wir derzeit Lösungen."
Radkurier und Roboter?
Was natürlich ebenso wenig vergessen werden dürfe, sei die Feinverteilung, die die Pakete letztlich von der Bahn über die Türschwellen der Adressaten befördere. "Da haben wir verschiedene Ansätze geplant. Immerhin ist Karlsruhe in den verschiedenen Stadtteilen ja auch sehr unterschiedlich aufgebaut – vom engen Straßenzug bis zum dörflichen Charakter", sagt Rentschler.
Bisher der naheliegendste und wahrscheinlichste Ansatz sei es, den Anhänger beim Ausfahren aus der Bahn einfach an das Fahrrad eines entsprechenden Kuriers zu hängen.

"In den engeren Gassen der Innenstadt, etwa bei Lieferungen für verschiedene Einzelhändler, könnte man sie aber auch zu Fuß ziehen. Da sie mit eigenen Elektromotoren ausgestattet sind, werden die Kuriere beim Ziehen zu Fuß und mit dem Fahrrad unterstützt und entlastet", so Rentschler weiter.
In einem Folgeprojekt sei außerdem angedacht, Versuche mit teilautonomen Lieferwagen oder auch Lieferrobotern zu unternehmen.
"Das ist aber noch Zukunftsmusik, die nicht vor 2027 von praktischer Relevanz sein wird", ergänzt Frey. "Die Verantwortlichkeit für die Paketlieferung wird übrigens noch immer bei den jeweiligen Kurierdiensten liegen", wie er zusätzlich anfügt.
"Die Mitarbeiter werden entlastet statt ersetzt"
Wenn nun aber die Liefermethoden immer stärker automatisiert werden - besteht nicht die Gefahr, dass der Berufsstand des Kuriers überflüssig wird und viele Mitarbeiter ihre Arbeit verlieren?
"Ganz im Gegenteil", widersprechen Rentschler und Frey. "Wir sind sogar sicher, dass die Automatisierung und der Schienentransporte die Mitarbeiter der Transportunternehmen entlasten und in ihrer Arbeit bestärken wird."

Man müsse sich vor Augen führen, "dass die Branche der Kuriere auch mit massivem Personalmangel zu kämpfen hat", so Frey. "Das führt zu einer Überbelastung der Kuriere und Postboten, was ja aktuell auch ein Grund für den Karlsruher Poststreik ist."
Erste Praxisversuche 2024
Doch bei all diesen Zukunftsperspektiven, die eine Paketbahn eröffnen mag, stellt sich doch die Frage, wann steht denn der erste Praxistest für "LogIKTram" an? Und wie sehen die Kosten aus?
"Tatsächlich hat die EU und das Land Baden-Württemberg das Projekt im Dezember 2022 mit 3,9 Millionen Euro gefördert. Erste praktische Tests haben wir für das Jahr 2024 bei uns auf dem Betriebshof West eingeplant", so Rentschler.
Ob die Paketbahn auch von der Bevölkerung angenommen wird, da seien die beiden Projektleiter unbesorgt. "Immerhin ziehen die AVG und ihre Partnerfirmen keinen direkten Nutzen daraus, wir verwirklichen das Projekt mit der Absicht, das Klima zu schonen und den Karlsruhern eine schönere Stadt zu bieten", erläutert der Projektleiter weiter.
Eine Ansicht, die Frey noch weiter bestärkt: "Technische Neuerungen mögen zunächst kritisch beäugt werden, aber die Erfahrung zeigt, dass die Menschen Ideen, die das Leben erleichtern, sehr schnell und sehr gerne annehmen."
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