Als "Brücke zwischen Forschung und neugierigen, interessierten Menschen" bezeichnet Moderator Uwe Gradwohl den #digitalk am 20. Oktober, als "Stammtisch für kontroverse Themen der Digitalisierung". Im Triangel Open Space in Karlsruhe wurde deshalb auch dieses Mal ein wichtiger Aspekt der neuen digitalen Welt in offenem Plenum zwischen Künstlern, Wissenschaftlern, Studierenden und allen Interessierten besprochen.

Das heutige Thema: Nachhaltigkeit und ihr Verhältnis zur Digitalisierung. "Eine stabile und stetige Digitalisierung ist essenziell für eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft", meint Gradwohl dazu. "Leider ist das bisher noch nicht ganz in den Köpfen der meisten Menschen angekommen - ein Grund mehr für uns, diesen #digitalk-Stammtisch abzuhalten und uns von drei Referenten aufklären zu lassen."
Drei Referenten für grüne Digitalisierung
Besagte Referenten bestehen aus Heike Brugger, Ulrich Oberhofer und Michael Saup, drei namhafter Vertreter verschiedenster informatischer Disziplinen, die jeweils in Digitalisierung und Nachhaltigkeit eine Schnittstelle finden. So beschäftigt sich Brugger am Fraunhofer Institut in der Waldstadt mit Energiepolitik und damit, wie sich ein sinnvoller Einsatz von Ressourcen optimieren lässt.

"Grundsätzlich lassen sich durch Informationstechnik fast alle Lebensbereiche so gestalten, dass Material- und Energieverbrauch bestmöglich eingespart werden. Wir können durch digitale Erfassung CO2-Ausstoß minimieren, Lieferketten kurz halten, nur die Ressourcen verbrauchen, die nötig sind und vieles mehr", erklärt sie.
Smarte Anwendungsbereiche
Dabei lässt sich Bruggers Arbeit und ihre Zielsetzung in vier Bereiche einteilen: Gebäude, Motoren, Industrie und Energienetze. "Wir wollen in diesen Feldern smart arbeiten", erklärt die Physikerin. "Beispielsweise durch ein Smarthome, das seinen Energieverbrauch bestmöglich reguliert, die Fenster automatisch schließt, das Licht ein- und ausschaltet oder die Wassertemperatur steuert."

Genauso sei es möglich, Wartungsprozesse und Stromnetze zu optimieren. "Mittels installierter Sensoren könnte man in etwa die Fahrt- und Bremsgeräusche eines Zuges erfassen und damit bestimmen, wann er gewartet werden muss. So könnte man auf regelmäßige Wartungen verzichten und die Probleme des Zuges würden nicht erst entdeckt werden, wenn der Zug auf den Schienen steht", so Brugger.
"In Italien ist die Digitalisierung schon weiter fortgeschritten"
Dem zugrunde liege eine weitere Optimierung, nämlich die des allgemeinen Stromverbrauches. "Sogenannte Smart Meter sind Stromzähler, die die elektrische Leistung eines Gebäudes selbstständig anpassen und dann reduzieren, wenn sie weniger benötigt wird", erklärt sie weiter. "Leider sind solche Smart Meter in Deutschland bisher kaum zum Einsatz gekommen."

Erst jetzt werde eine erste Generation solcher Smart Meter hierzulande marktfähig. "In Italien zum Beispiel ist schon die vierte Generation davon in Umlauf. Dort ist die Digitalisierung - wie in vielen europäischen Ländern - weiter fortgeschritten als in Deutschland", sagt sie. Als einen Hauptgrund sieht sie die Datenschutzgesetze. "Natürlich ist Datenschutz wichtig, doch Bürger sollten selbst entscheiden dürfen, wofür sie ihn lockern und wofür nicht."
"Wir dürfen nicht mehr Energie aufwenden
In Bezug auf die Nachhaltigkeit sei es auch auf den Datenschutz bezogen wichtig, Kompromisse einzugehen. Gleichzeitig dürfe man aber auch nicht vergessen, dass Digitalisierung selbst Ressourcen und Energie verbraucht. "Es bedarf teils kritischer Rohstoffe und elektrischer Energie, um die Digitalisierung aufrechtzuerhalten. Und da die Digitalisierung voranschreitet, immer mehr davon", sagt die Wissenschaftlerin.

"Natürlich dürfen wir im Ergebnis nicht mehr Energie für die digitale Optimierung aufwenden, als wir durch sie einsparen", erklärt sie. "Gerade deshalb, weil sich die schiere Masse internationaler Daten von 2017 bis jetzt vervierfacht, müssen wir den Energieaufwand gering halten und bestenfalls aus erneuerbarer Energie beziehen."
Angebot und Nachfrage ermitteln
In europäischen Rechenzentren werde derzeit nämlich eine Energiemenge von 90 Terawattstunden im Jahr aufgewendet, das entspreche dem Jahresaufwand sämtlicher deutscher Haushalte. Es gelte also zu reduzieren. Doch wie? Hierbei sei es zunächst wichtig, festzulegen, wie viel Energie eigentlich benötigt und verbraucht wird. "Und das ist unsere Aufgabe", sagt Ulrich Oberhofer dazu.

Seine Fachgruppe innerhalb des Instituts für Automation und angewandte Informatik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sei ins Leben gerufen worden, um solche Daten zu erfassen. "Dabei müssen wir im Großen wie im Kleinen denken: Einzelne Haushalte, Länder, Nationen und ganz Europa analysieren. Wir ermitteln vor allem das Verhältnis von Angebot und Nachfrage und wie es sich verändert", sagt er.
"Wir wollen voraussehen und erklären können"
Daten gewinne Oberhofers Fachgruppe vor allem durch die Netzbetreiber, aber auch durch selbst am KIT entworfene Messverfahren. "Wir wollen durch diese Daten verlässlich prognostizieren können, wie hoch der Energieverbrauch durch Digitalisierung in naher Zukunft ausfallen wird und wie gut die Optimierung der Nachhaltigkeit anschlägt", so Oberhofer.

Zwar könne man dabei nicht alle äußeren Faktoren voraussehen, doch die meisten würden in die Datenauswertung einfließen. "Selbst wenn wir ein bestimmtes Ereignis nicht vorhergesehen haben, wollen wir es trotzdem rückwirkend erklären können", meint er weiter. Da die Frage, wie nachhaltig Digitalisierung eigentlich ist aber sehr jung sei, leisteten Oberhofer und seine Kollegen in dieser Hinsicht Pionierarbeit.
Wie viel Energie benötigt das Internet?
Das bedeute aber keineswegs, dass sie die einzigen Pioniere seien. Michael Saup erklärt als dritter Referent, dass er sich diese Frage schon 1999 gestellt hat. Und als Musikwissenschaftler und Informatiker habe er außerdem auch eine künstlerische Sicht auf den Verbrauch entwickelt. "1999 wurde mir gesagt, dass in etwa ein Pfund Kohle nötig ist, um Strom für zwei Megabyte zu erzeugen", sagt er.

Zwei Megabyte seien damals in etwa genug gewesen, um ein Musikstück zu speichern, "Das ist nicht viel, wenn man so darüber nachdenkt. Und jetzt stellen Sie sich die Kohle vor, die man bräuchte, um ein Youtube-Video eine Million Mal abzuspielen. Natürlich sind die Geräte heute energieeffizienter, aber der Bedarf an ihnen ist auch sehr viel höher, wie Frau Brugger schon angeschnitten hat."
"Eine Pyramide sechsmal so hoch wie Cheops' Grabmal"
Genauer gesagt verdoppelten sich alle zwei Jahre die Effizienz und der Bedarf. Insgesamt sei der Energieverbrauch im Lauf der Zeit also nahezu linear angestiegen. "Stellen Sie sich einmal vor, man würde das Bild mit der Kohle auf das gesamte Internet projizieren", sagt Saup. "Seit das Internet für alle zugänglich wurde, hat es nahezu 12 Billionen Kilowatt an Leistung verbraucht."

Würde man diese nun in Kohle umrechnen "könnte man sie in eine Pyramide stapeln, die 1,4 Kilometer breit und 900 Meter hoch ist. Das ist über sechsmal so hoch wie das Grabmal von König Cheops in Gizeh", erklärt Saup. Doch wie soll man die Gesamtheit des Internets nachhaltiger gestalten?
"Sustainable Websites"
Beginnen könne man laut Saup damit, eine Website so zu designen, dass sie möglichst wenig Energie verbraucht. "Dieses Konzept nennt man sustainable Website. Das ist ziemlich jung und nur wenigen Webdesignern überhaupt bekannt. Genauer gesagt lebt so eine Website vom Verzicht", sagt er.
Verzicht auf zu aufwendig codierte Videos und Bilder, auf komplexere Schriftarten, auf unnötige Datenbanken, auf rechenintensive Browser und einiges mehr. "Man kann auch mit wenig Ressourcen eine ansprechende Website gestalten. Ich selbst möchte mit einem von mir gestarteten Projekt namens minimalcarbon sites dabei helfen, solche sustainable Websites weiter zu verbreiten. Zukünftig wird Design auch eine Energiefrage werden."
Wie werden solche Maßnahmen umgesetzt?
Mit diesem Statement enden die Vorträge. In einer anschließenden Fragerunde zeigt sich nun, ob die Ansätze der drei Forscher das Publikum überzeugt haben. Nicht in Gänze, wie sich herausstellt. So spricht ein Zuschauer mit Namen Manuel eine im Raum schwebende Frage aus.

"Neue digitale Regulierungen, gesammelte Daten und sparsamere Websites sind ja schön und gut, aber wie kriegt man Wirtschaft und Politik dazu, solche Maßnahmen auch großflächig umzusetzen." Eine Frage, die von Saup mit einer denkbar einfachen Antwort versehen wird: "Gar nicht."
"Unsere Gedanken sind fossil"
Eine für Energiewende und Nachhaltigkeit notwendige Mentalität der Verzichtbereitschaft sehe Saup derzeit nämlich nicht. "Natürlich hat ein Stromkonzern kein Interesse daran, Strom zu sparen. Natürlich wird sich ein fossiler Regent kaum für die Energiewende einsetzen. Besonders bei meiner - bei der älteren Generation sind nicht nur die Ressourcen, sondern die Gedanken fossil", meint Saup.
Verzicht und Veränderungsbereitschaft sehe Saup daher bei der jüngeren Generation. "Damit sich die Nachhaltigkeit durchsetzt, müssen junge Menschen sie für sich entdecken und ihr folgen. Verzicht muss ein Trend werden und schließlich Eingang in die Technik finden. Erst wenn sich dieses Mindest großflächig verbreitet, können Wirtschaft und Politik dazu bewegt werden, nachzuziehen."
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