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Karlsruhe: "Liebe hat viele Formen" - Warum der CSD 2023 in Karlsruhe so wichtig ist wie nie

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"Liebe hat viele Formen" - Warum der CSD 2023 in Karlsruhe so wichtig ist wie nie

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    Der CSD im Jahr 2022 (Archivbild).
    Der CSD im Jahr 2022 (Archivbild). Foto: Thomas Riedel

    Familien, Liebe, Familienliebe. Das seien die zentralen Motive, die den CSD 2023 bestimmen sollen. "Queere Familien sind ein Thema, das in der Gesellschaft und auch in der queeren Community oftmals übersehen wird. Es gibt so viele Beziehungsmodelle, die über das klassische Bild von Mama, Papa und zwei Kindern hinausgehen", sagt Yannik Hödl, Vorsitzender des CSD-Vereins Karlsruhe.

    CSD 2023 in Karlsruhe: Bis zu 8.500 Menschen erwartet

    "Regenbogenfamilien, mit zwei Männern oder Frauen als Elternteile, Familien mit vier Elternteilen, polyamore Beziehungen, eine Familie, die auf emotionaler Bindung statt auf Blutsverwandtschaft basiert. All das ist auch Familie, ist auch Liebe. Unter anderem deshalb lautet das diesjährige Motto 'Stand Up. For Love'."

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    Foto: Thomas Riedel

    "Am 3. Juni um 11 Uhr startet der CSD mit einem Familienfest. Um 13 Uhr beginnt die politische Demonstration durch die Innenstadt. Startpunkt ist der Karlsruher Marktplatz. Aufgrund der aktuellen Baustellensituation mussten wir unsere Demonstrationsstrecke anpassen, aber auch das kein zu großes Problem für die Planung", erklärt er.

    Seit 2016 sei er aktives Mitglied des CSD-Vereins und könne entsprechend einschätzen, in welcher Dimension die Besucherzahl ausfallen wird. "Wir rechnen mit zirka 7.000 bis 8.500 Menschen, bestehend aus 60 Gruppen, die entweder als Fußgruppen oder mit einem Wagen teilnehmen werden."

    "Wir sind keine Parade"

    Zusammenkommen werde diese Masse an Menschen aus einem  zentralen Grund: "Wir gehen für alle queeren Menschen auf die Straße und setzen uns für queere Rechte ein. Nicht umsonst ist die queere Community die größte Menschenrechtsorganisation der Welt", so Hödl.

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    Foto: Lars Notararigo

    "Deshalb darf man den CSD auch nicht missverstehen. Oft wird er lediglich als Parade betitelt und als bunte und schrille Partyveranstaltung stilisiert", erklärt Hödl. "Natürlich kann es beim CSD gerne bunt zugehen, aber in erster Linie sind wir eine politische Demonstration, keine Parade "

    "Menschen sollen lieben dürfen, wie sie wollen"

    Eine Demonstration, die seit ihrer ersten Zusammenkunft 1969 in New York zum Ziel hat, "dass die Gesellschaft die Menschen lieben lässt, wen und wie sie wollen. Natürlich sind die Gesetzeslage und der Umgang mit queeren Menschen dabei in jedem Teil der Welt anders. Deshalb ist auch jeder CSD individuell und unabhängig. Alle CSD-Gruppen vereint aber für die Rechte queerer Menschen auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren, im Kleinen wie auch im Großen", sagt Hödl am Rondellplatz, wo auch der Demonstrationszug verlaufen soll. 

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    Foto: Lars Notararigo

    "Es geht beim CSD nicht nur darum, queere Beziehungen zu entstigmatisieren, sondern auch darum, Mehrfachdiskriminierungen sichtbar zu machen und queeren Menschen mit Behinderungen, mit nicht weißer Hautfarbe oder queeren Menschen aus Ländern, wo Homosexualität eine Straftat ist, Solidarität und Sicherheit zu bieten", erklärt er.

    "Auch asexuellen und aromantischen Menschen - sprich Menschen die kaum oder gar keine sexuelle bzw. romantische Anziehung empfinden und dadurch andere Formen von Beziehung leben - soll dadurch Toleranz und Akzeptanz zuteilwerden." So lange Menschen wie diese stigmatisiert werden, sei der CSD auch weiterhin notwendig. Das gelte auch für Deutschland.

    "Gleichberechtigung kommt sehr langsam"

    "In Deutschland gibt es auf dem Papier mittlerweile in vielerlei Hinsicht die gleichen Rechte für queere wie für heterosexuelle Personen. In manchen Punkten gibt es aber deutlichen Ausbaubedarf, was queeren Menschen viel Kraft abverlangt", erklärt Hödl. "Zum Beispiel wurde erst 2023 das Blutspendeverbot für Homo- und Bisexuelle oder trans-Personen abgeschafft."

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    Foto: Lars Notararigo

    Andere diskriminierende Gesetze gelten noch heute. "Etwa das Abstammungsgesetz, das bei verheirateten lesbischen Paaren mit eigenen Kindern nur die leibliche Mutter als Elternteil anerkennt. Die Partnerin gilt rechtlich nur dann als gleichberechtigtes Elternteil, wenn ein langwieriger Adoptionsprozess durchlaufen wird. Bei heterosexuellen Paaren dagegen ist der Elternteil ohne biologische Verbindung zum Kind rechtlich sofort Vormund des Kindes", sagt Hödl.

    Entlang der CSD-Route - am Friedrichsplatz vorbei - bespricht Hödl weitere solcher Beispiele. "Der Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzes, der Homosexualität zwischen Männern als Sexualstraftat erklärte, wurde Wort für Wort aus der nationalsozialistischen Gesetzgebung übernommen und erst 1994 gänzlich abgeschafft", sagt er.

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    Foto: Lars Notararigo

    "Wir sind sehr froh, dass die diskriminierenden Gesetze Vergangenheit sind, aber leider ist nicht garantiert, dass das auch so bleibt. Deshalb müssen wir unsere Anstrengungen jeden Tag fortsetzen."

    Politik mit Queerfeindlichkeit

    Man müsse sich dazu nur in Deutschland und der Welt umsehen, sagt Hödl. "Gesellschaftlich dauert die Entstigmatisierung queerer Personen sogar noch länger als auf dem Papier. Und damit wird Politik gemacht. Nicht nur im Bundestag, wo bestimmte Abgeordnete die Rechte zur Ehe für alle und das Adoptionsrecht für queere Paare wieder rückgängig machen wollen."

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    Foto: Lars Notararigo

    Sich gegen solch eine Politik solidarisch zu zeigen, sehe der CSD als seine Pflicht an. "So lange es derartige anti-queeren Einstellungen gibt, brauchen wir den CSD. Sowohl auf internationaler als auch auf nationaler und kommunaler Ebene", so der Vorsitzende. Gerade auf kommunaler Ebene dürfe man Karlsruhes Sonderstellung nicht außer Acht lassen.

    "Eine Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität ist verfassungswidrig. Und Karlsruhe als Sitz des Bundesverfassungsgerichts sollte unserer Meinung nach eine besondere Vorbildfunktion übernehmen, der es aber lange Zeit nicht nachkam", meint Hödl, nun in der Kaiserstraße.

    Lebenspartnerschaften in Kfz-Stellen?

    Seit dem ersten Karlsruher CSD 1984 seien auch hier Akzeptanz und Gleichstellung queerer Menschen eher schleppend vorangeschritten. "In Karlsruhe mussten beispielsweise eingetragene Lebenspartnerschaften noch vor wenigen Jahren auf der Kfz-Zulassungsstelle oder dem Amt für Bürgerservices statt auf dem Standesamt geschlossen werden", sagt Hödl, der nun die Abzweigung in den Zirkel nimmt.

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    Foto: Lars Notararigo

    "Das haben wir als Diskriminierung wahrgenommen und 2010 gab es sogar einen Antrag im Gemeinderat, um das zu ändern. Der Antrag wurde damals nicht zur Abstimmung freigegeben. Erst unter Frank Mentrup wurde es ein wenig liberaler für die queere Community", erklärt er weiter.

    "Wir möchten Erreichtes erhalten und verbessern"

    Jener politische und gesellschaftliche Druck habe vor allem in früheren Jahrzehnten nicht wenige queere Personen das Leben gekostet, wie Hödl weiter ausführt. "Besonders in der älteren Generation aber auch heute versterben viele queere Menschen aufgrund von Gewalt oder Suiziden. Früher auch öfter an HIV. Deshalb halten wir beim Karlsruher CSD auch seit 2011 jedes Jahr eine Schweigeminute für diejenigen, die direkt oder indirekt durch Diskriminierung ihr Leben verloren."

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    Foto: Lars Notararigo

    Im gleichen Atemzug wolle der CSD auch "feiern, dass wir als queere Community noch da sind. Auch das ist Teil unserer Demo", erklärt Hödl als er über die Adlerstraße zur Kaiserstraße zurückführt. "Alles in allem wollen wir mit dem CSD aber zur gesellschaftlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung mahnen. Wir wollen Gesetze, die wir bereits erreichen konnten erhalten und mangelhafte Gesetze verbessern."

    "Man muss sich von uns nicht bedroht fühlen"

    "Beim CSD gab es seit seinem Bestehen Hass und Anfeindungen gegen die queere Community - auch in Karlsruhe. Gewalttätige Übergriffe sind immer Einzelfälle und selten gegen die Demo selbst gerichtet. Aber sie häuften sich von Jahr zu Jahr", erklärt Hödl als es in die Markgrafenstraße geht. "Und nicht nur physische Gewalt. 2017 gab es eine Neonazi-Demo in Durlach. Außerdem gibt es immer wieder Infostände und Einzelpersonen in der Nähe, die queerfeindliche Flyer verteilen."

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    Foto: Lars Notararigo

    Viele dieser queerfeindlichen Kampagnen haben zum Inhalt, dass ein traditionelleres Familienbild in Gefahr sei oder verstehen sich in der eigenen Sexualität angegriffen. "Hier entsteht eine Täter-Opfer-Umkehr", sagt Hödl.

    "Manche Menschen fühlen sich davon bedroht, dass die queere Community zunehmend Rechte erhält, die ihnen aber auch jahrzehntelang vorenthalten wurden und fürchten, dass ihre eigenen Rechte dadurch beschnitten werden."

    "Wir begegnen Hass mit Liebe"

    Das halte Hödl für unangemessen. Immerhin könne man Rechte gleichermaßen an heterosexuelle wie an gleichgeschlechtliche Ehen vergeben, ohne sie zu schmälern. Eine Patch-Work-Familie habe nicht zum Zweck, eine traditionelle zu verdrängen. "Queere Paare wollen nicht mehr Rechte als Heterosexuelle. Genauso wenig wollen sie mehr wert sein. Sie wollen nur die gleichen Rechte und den gleichen Wert", sagt Hödl.

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    Foto: Lars Notararigo

    Mit der Ankunft zurück am Rondellplatz, dem Endpunkt der CSD-Demo, ist der Kreis für Hödl geschlossen. "Viele Menschen, besonders die jüngere Generation, verstehen immer mehr, dass eine friedliche Koexistenz und Toleranz unabhängig von einer sexuellen Orientierung und geschlechtlicher Identität wichtig sind. Sie verstehen, dass Liebe viele verschiedene und auch für sie ungewohnte Formen annehmen kann und suchen den Dialog. Dieser Dialog ist auch dem CSD-Verein sehr wichtig", sagt er.

    "Darum werden wir bei allem Hass, der uns entgegenschlägt, auch nicht verbittert, sondern begegnen dem Hass mit Liebe. Wir möchten ein Vorbild an Solidarität und Zivilcourage sein. Ein weiterer Grund, warum unser Motto 'Stand up. For Love' lautet."

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