Der Kita-Bericht wird von der Stadt Karlsruhe erstellt und ist eine rückblickende Darstellung der Betreuungssituation. Er liefert konkrete Zahlen über die Plätze in Kindertagesstätten und Kindergärten, sodass auf seiner Basis entsprechende Bedarfsplanungen erstellt werden können - und jedes Kind ein passendes Betreuungsangebot erhalten könnte. Oder?
Plant die Stadt mit zu wenig Plätzen?
Ganz so einfach ist es nicht. Die Planungen rund um die Kita-Bedarfsplätze scheinen kompliziert: Im Bericht wird mit unterschiedlichen Quoten gearbeitet. Konkrete Antworten scheinen schwierig - vermehrte Bitten der Redaktion, einen städtischen Gesprächspartner vermittelt zu bekommen, bleiben unerfüllt.
Fest steht: Wie aus dem Kita-Bericht 2022 hervorgeht, fehlen für Karlsruher Kinder über 1.000 Plätze in den Kitas - um exakt zu sein: 1.136. Wie kann das sein? Darauf angesprochen, antwortet die Stadt Karlsruhe: "Es handelt sich dabei um einen rechnerischen Fehlbedarf. Dieser ergibt sich aus der Differenz zwischen der Platzkapazität und dem politisch beschlossenen Bedarfsanhalt für 100 Prozent der Kinder über drei Jahre sowie für 46 Prozent der Kinder unter drei Jahren einen Betreuungsplatz gemäß dem Rechtsanspruch vorzuhalten."
100 Prozent Anspruch
Der "politisch beschlossene Bedarfsanhalt" für Kinder unter drei Jahren ist in den Augen der Stadt also 46 Prozent. Laut dem Bundesministerium der Justiz und Sozialgesetzbuch jedoch stehen 100 Prozent der Kinder eine entsprechende Betreuung zu denn: "Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege." So das Sozialgesetzbuch (SGB VIII § 24 Abs. 2.2).

Auf vermehrte Anfrage der Redaktion zu diesem Sachverhalt, verweist die Stadt Karlsruhe auf den Kita-Bericht 2022. Auf die Frage, wie diese beiden "Versorgungsquoten" zusammenpassen, gibt es keine konkrete Antwort. Es wird sich auf den ermittelten Bedarf durch eine Elternumfrage bezogen - schließlich werde nicht für jedes Kind unter Drei Jahren ein Platz benötigt.
Bedarf aus Elternbefragung 2012
Die errechneten 46 Prozent der Versorgungsquote für U3-Jährige ergeben sich aus folgender Kalkulation: "Der Bedarfsanhalt basiert auf einer Elternbefragung zum Betreuungsbedarf, welche im Jahr 2012 unter allen Eltern mit Kindern unter drei Jahren in Karlsruhe durchgeführt wurde", so der Kita-Bericht.

Den so ermittelten Bedarf kann die Stadt Karlsruhe nach eigenen Angaben "übererfüllen". Also sollte doch alles in Ordnung sein, oder? Nicht direkt. Denn wie die Stadt bereits anfangs erläuterte, stehen den Berechnungen keine tatsächlichen Kinder gegenüber: "Es handelt sich hier um eine rein rechnerische Bedarfserhebung!"
83 Eltern bitten um Hilfe
Demnach wird nur ein theoretischer Bedarf erfüllt, anhand von Daten, die entweder erweitert, überdacht oder zumindest aktualisiert werden müssten. Zumindest wenn der Stadt an einer aktuellen Ermessung des Versorgungsbedarfs in Karlsruhe gelegen ist. Die Frage, ob und inwiefern dies angedacht ist oder welche anderweitigen Daten vielleicht zur Orientierung beitragen könnten, bleibt vonseiten der Stadt unbeantwortet.

Und das, obwohl sich das Problem zuspitzt. Was den derzeitigen Bedarf angeht, merkt der Landkreis Karlsruhe an: "Nicht alle Kommunen können ausreichend Betreuungsplätze anbieten. Das zeigen die 83 Unterstützungsanfragen von Eltern, die bereits im vergangenen Jahr beim Jugendamt eingingen."
Theorie vs. Realität
Es offenbart sich ein Dilemma. Zum einen müssen Kommunen einen zukünftigen Versorgungsbedarf anhand vergangener Daten prognostizieren. Für diesen müssen gegebenenfalls Projekte geplant werden. Jedoch: "Wird nicht für alle Kinder ein Kinderbetreuungsplatz nachgefragt, da es Eltern und Erziehungsberechtigten frei steht, ob sie familienergänzende Betreuungsangebote in Anspruch nehmen möchten", erklärt die Stadt. Der tatsächliche Bedarf ist also stets unter 100 Prozent.
Darauf, dass sich der Versorgungsbedarf für U3-Jährige derzeit jenseits der 46 Prozent befindet, weisen Indizien hin. Neben der Zunahme an Hilfegesuchen gegenüber des Landratsamts Karlsruhe gibt auch der erhöhte ermittelte Bedarf vonseiten des Deutschen Jugendinstituts Aufschluss über die gegenwärtige Lage. Dieses hält für Baden-Württemberg folgenden Bedarf fest: Für 50 Prozent aller Einjährigen und 71 Prozent aller Zweijährigen wird nach Kinderbetreuung gefragt.

Auch wenn diese Zahlen sich nach Aussagen der Stadt nicht auf die Karlsruher Bedarfsermittlung auswirken, so ist sich die Stadt der Situation bewusst: "Vor dem Hintergrund von Bevölkerungswachstum, stadtteilbezogener Wohnraumentwicklungen und steigender Nachfrage seitens der Eltern ist in Karlsruhe nach wie vor ein zielgerichteter Ausbau an Kitaplätzen sinnvoll."
Stadt ist zufrieden: "Versorgungsquote ist übererfüllt"
Die Nachfrage nach Kindertagesbetreuung scheint also nach eigenen Aussagen zuzunehmen - die Zielquote bleibt jedoch bei 46 Prozent. Weiter könne nur für 41,6 Prozent aller U3-Jährigen in einer Kita ein Platz gefunden werden - mindestens 341 Kinder müssen also anderweitig versorgt werden, um die Mindestversorgungsquote von 46 Prozent zu erreichen. Dieser Pflicht kommt die Stadt über Tagesmütter nach.

So werde gar ein Überschuss an Versorgungsmöglichkeiten erreicht, meint die Stadt: "Zahlreiche Tagespflegepersonen betreuen in Karlsruhe 659 Kinder. Damit wird – wie dem Kita-Bericht zu entnehmen ist – die Versorgungsquote in der Altersgruppe U3 übererfüllt." Zumindest rein rechnerisch. Der Kitabericht spricht von abstrakten 49,8 Prozent Versorgung.
Wie steht es um die Ü3-Betreuung?
Anders sieht es bei den älteren Kindern aus. "Im gesamten Stadtgebiet Karlsruhe gibt es für 9.013 Kinder von drei Jahren bis zum Schuleintritt 8.218 Plätze in altersgemischten Gruppen und Kindergartengruppen. Die Versorgungsquote beträgt für das Stadtgebiet durchschnittlich 91,2 Prozent", heißt es im Kita-Bericht 2022.

Damit hat sich die Versorgungslage der über Dreijährigen seit Dezember 2016 von 89,5 Prozent um weniger als zwei Prozent verbessert. Der Schaffungsvorgang für neue Betreuungsplätze ist dem wachsenden Bedarf also nur eine Haarbreite voraus. Dennoch heißt es in besagtem Bericht: "Seit 2017 sind bislang 390 U3- und 307 Ü3-Kitaplätze entstanden. Damit ist das Ziel zu knapp 70 Prozent erreicht."
Fünf Projekte seit 2022 umgesetzt
Um den Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen in den Griff zu bekommen, stellen sich die Jugendhilfeplanung und kommunale Bedarfsplanung als "wesentliche Instrumente" dar. "Im Rahmen der Kita-Bedarfsplanung werden für das gesamte Stadtgebiet, für die einzelnen Stadtteile sowie auf der Ebene von Planungsgebieten kontinuierlich die Platzkapazitäten in den Kindertageseinrichtungen ermittelt und mit den Bedarfen ins Verhältnis gesetzt", erklärt der Bericht.

Um das Defizit auszugleichen, sind zahlreiche Projekte im Kita-Bericht 2022 vermerkt, welche zusätzliche Plätze schaffen sollen. "Geplant waren fünf Projekte, die im Zeitraum zwischen Veröffentlichung des Kita-Berichtes und 15. März 2023 in den Betrieb überführt werden sollten", sagt die Stadt.
Welche neuen Kitas wurden gebaut?
In Betrieb gegangen ist seit März 2022 eine Kita, die zusätzliche 40 Plätze schuf, sowie eine weitere mit 60 Plätzen, davon 20 für Kinder unter 3 Jahren. "Außerdem sind an drei Standorten entsprechende Erweiterungen und Umbauten vorgenommen worden, um die Kapazitäten zu erhöhen", erklärt die Stadt.

Weiter merkt die Stadt Karlsruhe an: "Die seit Jahren steigenden Kinderzahlen, die stetig wachsende Nachfrage nach Betreuungsplätzen, die kontinuierlich zunehmenden Wünsche der Eltern nach längeren Betreuungszeiten, Inklusion und nicht zuletzt die Pluralisierung der Bedürfnisse und Bedarfe der Kinder nehmen Einfluss auf die Entwicklung im Bereich der Kindertagesbetreuung."
Stadt will Kita-Plätze ausbauen
Über in der Bedarfsplanung gelistete Projekte will die Stadt Karlsruhe sukzessive die Versorgungsmöglichkeiten im Bereich Kindertagespflege ausbauen. "Deshalb wurde im Oktober 2022 das Projekt Am Ostring 6 in der Oststadt mit 10 Plätzen für Kinder unter 3 und 40 Plätzen für Kinder ab drei Jahren bis zum Schuleintritt in die Bedarfsplanung aufgenommen", erklärt die Stadt Karlsruhe.

Allerdings wird mit Blick auf den Stand 2022 deutlich, dass der Ausbau nur schleppend vorangeht und der ermittelte Bedarf nicht länger den gegenwärtigen Ansprüchen entsprechen könne. Laut Angaben der Stadt können "in der Kindertagespflege (U3) derzeit 659 Plätze angeboten werden (Stand 1. März 2023). Im Vergleich zum letzten Erhebungsdatum (1. März 2022) ergibt sich eine Platzmehrung von 24 Plätzen.