Eigentlich wollte die 36-jährige Sylvia Gay, Mutter von drei kleinen Töchtern, bereits als 18-jährige zur Bundeswehr. Ihr älterer Bruder war beim Bund und ihr Vorbild. "Das fand ich unheimlich beeindruckend und ich war auch stolz auf ihn", erzählt sie im Gespräch mit ka-news.de."Er war wie ein großer Beschützer für mich. Seine Zeit bei der Bundeswehr hat ihn gestärkt und er hat sich dabei persönlich entwickelt."
Damals besuchte Gay eine Einführungsveranstaltung der Bundeswehr mit dem Ziel, sich für die Grundausbildung zu bewerben. Obwohl es damals nicht geklappt hat, ist sie heute umso entschlossener, die Ausbildung abzuschließen.

Gays Ehemann Daniel macht bereits bei dem Programm für Ungediente mit. So hat sie sich nun für das Programm beim Landeskommando Baden-Württemberg beworben.
Beweggründe für die Entscheidung
Das Thema Schutz ist jedoch ein wichtiges Kriterium. "Im Ernstfall wollen wir nicht nur unsere Familie, unsere Kinder, sondern auch unser Umfeld schützen können", sagt die junge Mutter. "Der Zustand in der Ukraine hat alles präsenter gemacht. Man wird halt wachgerüttelt."

Aber nicht nur im Verteidigungsfall, sondern auch in Katastrophensituationen wie im Ahrtal vor zwei Jahren wird das Militär eingesetzt. Gay möchte aktiver werden, um Menschen in solchen Krisensituationen zu helfen.

"Das sind natürlich keine schöne Umstände, aber ich möchte der Gemeinschaft nützlich sein", sagt sie. Das sind alles Auslöser, die bei ihrer Entscheidung mitgespielt haben.
Verschiedene Module der Ausbildung
Die Wahrscheinlichkeit, dass beide Elternteile eingezogen werden ist gering. "Einer von uns muss bei den Kindern bleiben", sagt Gay, die in der Pfalz lebt. Die Ausbildung möchte sie beim Landeskommando in Baden-Württemberg machen, weil die Module auf der anderen Rheinseite günstig auf Wochenenden gelegt sind, nicht zweimal zwölf Tage am Stück wie in der Pfalz.

"Das ist für mich mit meinen Verpflichtungen aktuell nicht möglich", erklärt die junge Frau. Soldaten in der Ausbildung werden zu Reservisten ausgebildet. Die Inhalte der Ausbildung reichen von Unterrichten in rechtlichen Themen, sportlichen Aktivitäten, den Umgang mit Waffen, Schießen und das richtige Marschieren.

Im Prinzip unterscheiden sich die Ausbildungsinhalte in den einzelnen Bundesländern nicht so sehr voneinander. Im Oktober gibt es eine Infoveranstaltung, da wird Gay zunächst mehr erfahren.
Vereinbarkeit der verschiedenen Verpflichtungen als Reservistin und Mutter
Klein aber stark und vor allem eigenständig ist Gay bereits im täglichen Leben hochorganisiert und zielgerichtet. Sie arbeitet sowohl in der Karlsruher Werbeagentur ihres Mannes, als auch in ihrer kleinen "Handmade"-Firma Coufleur, die sie letztes Jahr gegründet hat, “um etwas für mich zu tun“, erklärt sie.

Hier arbeitet sie mit Makramee, Trockenblumen und Aquarell und kreiert beispielsweise hübsche Dekorationen. "Ich bin sehr strukturiert", sagt sie, “vielleicht ist das mit ein Grund, warum ich mich zur Bundeswehr hingezogen fühle. Wir haben mit den Kindern sehr feste Abläufe."
Die junge Frau freut sich riesig, dass sie jetzt die Chance hat, zur Bundeswehr zu gehen. Was ihre Freundinnen dazu sagen? Gay kennt tatsächlich noch keine andere Frau, die das macht. "Meine Freundinnen sagen, cool, toll", erzählt sie.

"Trotzdem bin ich immer wieder überrascht, wenn jemand sagt, wow, Respekt, denn für mich ist es auch etwas, was jeder machen könnte." Ob sie Angst hat, was im schlimmsten Fall passieren könnte? "Nicht wirklich, eher geht die Angst in Richtung meiner Kinder", meint sie.
“Dass ich nicht mehr für sie da sein könnte. Die Ausbildung zu haben, sie schützen zu können, ist mir aber viel wichtiger."Vor Allem aber möchte sie ein Vorbild für ihre Kinder sein. "Ich möchte ihnen zeigen, dass sie ihre Ziele erreichen können, wenn sie das wollen."
Der Blog “Ungediente“ ist bundesweites Hilfswerk
Ehemann Daniel macht seine Ausbildung in der Pfalz. Hier sind die Module leicht anders, und er lernt sowohl den Umgang mit dem Gewehr G36 als auch mit der Pistole P8 – in Baden-Württemberg wird nur mit einer Waffe, dem Gewehr – geübt. "Neben dem Schießen vertiefen wir unter anderem die Themen ABC-Schutz und Erste Hilfe. Funken und Leben im Felde sind ebenfalls interessante Bereiche."

Weil es eben keine bundesweit einheitliche Vorgabe zum Ausbildungsprogramm gibt, betreibt Daniel Gay den Blog “www.ungedient.de“, der inzwischen als Hilfswerk für interessierte Menschen dient.

"Mir ist es ein Anliegen, die Bekanntheit des Programms zu steigern, weil nicht so viele davon wissen. Auch der Prozess ist sehr komplex, so dass viele Leute auf dem Weg dorthin aufgeben, und ich versuche mit meinem Blog, diese Hürden abzubauen", sagt er.
Durchgetaktete Ausbildungstage
Seit der Einführung des Programms im Jahr 2017 haben jedes Jahr bis zu 500 Personen daran teilgenommen. In Baden-Württemberg sind es zirka 80 Leute pro Jahrgang. Die Altersspanne reicht von Anfang 20 bis über 60 und die Ausbildung kann hart sein. "Morgens um 5 Uhr wird angetreten und das Programm geht bis nachts um 11", sagt Daniel Gay.

Der Geschäftsmann hat den ersten Teil bereits abgeschlossen und sein Gelöbnis abgelegt, er ist nun Jäger der Reserve. "Danach gibt es im Rahmen der Heimatschutzkompanie weitere Unterrichtseinheiten, die sich über das Jahr verteilen. Dies ist sehr gut mit Beruf und Familie zu vereinbaren."
"Für viele, die jetzt am Ausbildungsprogramm teilnehmen, sind die Beweggründe der Krieg in der Ukraine, aber auch das Ahrtalhochwasser und ganz allgemein die Arbeit der Reservisten", erklärt Daniel Gay, der jetzt Mitglied in der Reservistenkameradschaft in Karlsruhe ist.
"Die Reservistenkameradschaften sind eine gute Gelegenheit, mit Menschen ins Gespräch zu kommen", sagt er. "Ich habe das Glück, das die Kameradschaft in Karlsruhe ein vielfältiges Programm anbietet und sehr aktiv ist."
Nachwuchs zu Reservisten ausbilden
Oberst der Reserve Joachim Fallert ist Landesvorsitzende des Reservistenverbandes in Baden-Württemberg. "Die Landeskommandos wurden 2007 aufgestellt", erklärt er. "Primär sind sie für den Heimatschutz, Verteidigung aber auch Hilfeleistung im Notfall, Flut, usw. gedacht."

Heute ist Deutschland sozusagen kein Frontstaat mehr, sondern ein Transitland und im Verteidigungsfall müssten NATO-Truppen durch Deutschland hindurch, wo sie untergebracht und transportiert werden würden. "Über Baden-Württemberg sind drei Heimatschutzkompanien mit jeweils zirka 120 Personen verteilt", sagt Fallert.
“Um diese aufzustocken hatten wir mit dem Programm 'Ungediente' angefangen, Nachwuchs zu Reservisten auszubilden." Allerdings gibt es keine zentrale Steuerung auf Bundesebene und die Ausbildung ist für die Länder nicht einheitlich. Die Bundeswehr plant nicht, das Programm zu vereinheitlichen, jedes Land macht es aus eigener Kraft, weil es kein zusätzliches Personal dafür gibt.

"Nicht jedes Bundesland macht mit", so Fallert, "und einige kleinere Länder schließen sich zusammen." Wie viel Frauen sind dabei? “Insgesamt sind leider nur zehn bis 20 Prozent der Interessenten Frauen", sagt Joachim Fallert.
Und abschließend: "Aber der Anteil der Frauen, die tatsächlich teilnehmen, liegt deutlich unter zehn Prozent. Die Kombination von Mutter mit jungen Kindern, wie bei Sylvia Gay, habe ich noch nicht erlebt."