Seit es am 1. Oktober in Kraft trat, spaltete das neue Infektionsschutzgesetz gegen Covid-19 die öffentliche Meinung. Vor allem, da sich teilweise ganze Institutionen wie das Karlsruher Klinikum darüber beschwerten, dass das Gesetz ihr Tagesgeschäft und möglicherweise ihre gesamte Existenz bedrohe.

Demo Diakonie
Die Demonstranten halten die Schilder mit Forderungen und Vorwürfen gegen die Bundesregierung in Händen. | Bild: Lars Notararigo

Am Dienstag, 11.Oktober, reihte sich auch die Diakonie Baden in diesen Protest gegen das Infektionsschutzgesetz ein - zahlreiche Pfleger demonstrierten  vor dem Karlsruher Hauptbahnhof.

Maskenpflicht unabhängig von der Erkrankung

"Für die Pflegeeinrichtung ist es fünf nach zwölf", sagt die Pressesprecherin der Diakonie Baden, Ute Günther, um Punkt 12.05 Uhr. "Dieses Infektionsschutzgesetz bedroht letztendlich die Gesundheit der pflegebedürftigen Heimbewohner innerhalb der Diakonie mehr, als dass sie ihnen nützt. Stellen Sie sich vor: 25.000 pflegebedürftige Menschen und jeder einzelne muss eine Maske tragen, wenn er sein Zimmer verlässt - unabhängig von seiner Erkrankung."

Demo Diakonie
Ute Günther, Leiterin der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Diakonie. | Bild: Lars Notararigo

Grund für diese Maßnahme sei laut Bundesgesundheitsministerium die niedrige Impfquote in Pflegeeinrichtungen. "Das ist allerdings eine völlige Pauschalisierung. In den Pflegeheimen der Diakonie ist die Impfquote oft über 90 Prozent. Trotzdem wird uns und unseren Heimbewohnern vorgeschrieben, sich in sämtlichen Räumen außerhalb ihres eigenen, vielleicht 18 Quadratmeter großen Zimmers eine Maske ums Gesicht zu spannen", erklärt Günther.

"Wir brauchen die Mimik um zu helfen"

Das sei aus verschieden Gründen nicht zumutbar - vor allem aber psychologisch ein enormes Problem. "Zum Beispiel ist es eine unserer Aufgaben, Menschen aus einer persönlichen Krise zu holen und wieder zu erden", sagt eine der anwesenden Pflegefachkräfte, Marco Malchow.

Demo Diakonie
Marco Malchow, Pflegefachkraft mit Fokus auf psychiatrische Behandlung. | Bild: Lars Notararigo

Malchow weiter: "Dabei ist Mimik sehr wichtig. Sei es ein Lächeln oder ernster Ausdruck zur richtigen Zeit. Aber das alles ist mit Maske, die auch wir tragen müssen schwerlich möglich. Umgekehrt kriegen wir auch kein Feedback durch Mimik der Patienten."

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Psychische Erkrankungen und Krisen seien dabei einer von vielen Aspekten, die durch das bedingungslose Tragen von Masken erschwert werden. "Menschen mit geistiger Behinderung oder fortschreitender Demenz etwa verstehen oft nicht, wieso sie eine Maske tragen sollen und reagieren mit Angstzuständen, Aggression oder Entsozialisierung", sagt Beatrix Vogt-Wuchter, Vorstandsmitglied der Diakonie.

"Mein Bruder erkennt seine Kollegen nicht mehr wieder"

Vogt-Wuchter selbst sei Angehörige einer betroffenen Person. "Mein Bruder lebt nun schon seit einigen Jahrzehnten in unserer Einrichtung. Er selbst kann sich die Maske leider nicht aufziehen - und mehr noch: Seit jeder Maske trägt, erkennt er seine Kollegen nicht mehr. All das würde nicht passieren, wenn die Pflegeeinrichtungen selbst abwägen dürften, bei wem eine Maske nötig ist", sagt sie.

Demo Diakonie
Beatrix Vost-Wuchter, Vorstandsmitglied der Diakonie Baden. | Bild: Lars Notararigo

Immerhin funktioniere das beim Rest der Gesellschaft auch. "Sie müssen sich die Absurdität vorstellen. Viele Menschen, die in unseren Heimen wohnen, können hinaus in Restaurants, auf das Stadtfest am Samstag oder auf ein Oktoberfest -  dort spielt die Maske keine größere Rolle. Aber wenn sie nach Hause kommen, müssen sie Maske tragen, es sei denn, sie sind alleine in ihrem Schlafraum. Und das wurde pauschal für jeden Pflegebedürftigen Menschen entschieden."

Drei Forderungen für die Bundesregierung

Alle bisherigen Anstrengungen, diesen Zustand zu ändern, scheiterten, wie auch Gunther erklärt. "Wir versuchten es mit Briefen, Schreiben und Hilfsgesuchen - jetzt haben wir es satt. Am heutigen Tag wenden wir uns mit dieser Demo an die breite Öffentlichkeit. 'Nicht über unseren Kopf' ist der Titel der Veranstaltung und genau darum geht es. Wir wollen, dass die Politik nicht mehr über unseren Kopf hinweg entscheidet", sagt sie.

Demo Diakonie
Die Schilder mit Vorwürfen gegen die Bundesregierung werden symbolisch in eine Tonne geworfen. | Bild: Lars Notararigo

Dazu habe die Diakonie gemeinsam mit ihren Bewohnern und gepflegten Personen drei Forderungen formuliert: "Erstens wollen wir keine praxisfernen Regeln mehr von der Bundesregierung vorgeschrieben bekommen. Zweitens wollen wir keine überbordende Bürokratie zulasten der Bewohner, drittens wollen wir keine verschärfte Maskenpflicht für unsere Patienten."

"Wir wollen mit einbezogen werden"

Konkrete Verbesserungsvorschläge für das Infektionsschutzgesetz habe man aber nicht. "Da wollen wir der Regierung überhaupt nicht reinreden. Wir wollen nur, dass sie uns - die Vertreter der Pflege - bei der Gesetzgebung mit einbeziehen. Außerdem hoffen wir, dass die Landesregierung ihren Spielraum nutzen wird, um uns zu entlasten", sagt Günther. Wären die Pflegekräfte erst ermächtigt, über die Masken zu entscheiden, sei schon viel getan.

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"Trotz allem ist es ja ein Gesetz, das wir befolgen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Insassen Masken tragen, oder es kann eine Strafe von bis zu 25.000 Euro vom Ordnungsamt verhängt werden. Gleichzeitig können und wollen wir niemanden zwingen, die Masken zu tragen, der sich aus psychischen Gründen weigert. Es ist also eine Aufgabe, die wir gar nicht in vollem Umfang erfüllen können", sagt Vogt-Wuchter. "Und ich bin sicher, das Ordnungsamt hat auch anderes zu tun."

"Es ist abwertend und demütigend"

Zuletzt sei es eine mangelnde Wertschätzung, die die Pflegekräfte von der Bundesregierung ausgehen sehen, die sie veranlasste, am Dienstagmittag zu demonstrieren. "Sie müssen es sich mal vorstellen. Jetzt, fast drei Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie, schickt die Bundesregierung uns Briefe und Plakate, wie wir uns zu verhalten haben", sagt die Pflegefachkraft Jolanthe Schielek.

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Jolanthe Schielek, Christine Kless und Ina Faust (v.r.) drei Demonstrantinnen und Pflegefachkräfte der Diakonie. | Bild: Lars Notararigo

"Wir haben als Pflegerinnen durchaus Erfahrung mit Infektionskrankheiten. Mit Influenza, Noroviren, multiresistenten Keimen und sogar Tuberkulose. Trotzdem traut es uns die Bundesregierung nicht zu, dass wir zum besten Wohl der Patienten mit Corona umgehen können. Im Ernst, das ist ein Schlag ins Gesicht. Das ist herabwertend und demütigend", so Schielek. 

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"Bedenken Sie, jeder von uns könnte mit zunehmendem Alter oder einem Schicksalsschlag pflegebedürftig werden. Da ist der Gedanke, dass die Bundesregierung uns nicht vertraut, kein besonders Angenehmer", wie die Pflegerin schließt.

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