Am 28. Juli traf sich ka-news mit dem Karlsruher Bundestagsabgeordneten Parsa Marvi (SPD) auf ein Bier im Vogelbräu.
Hat sich für Sie Ihr Alltag in Berlin durch die neue Koalition verändert?
PARSA MARVI: Auffällig ist, dass mich die CDU-Abgeordneten auf den Gängen jetzt grüßen. Das ist wohl das deutlichste Anzeichen für das neue „Koalitions-Feeling“. Aber auch mit den neuen Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition pflege ich weiterhin ein gutes, kollegiales Verhältnis. Zum Beispiel habe ich mit Frau Mayer nach wie vor ein sehr gutes persönliches Verhältnis. Im menschlichen Umgang hat sich hier nichts verändert. In der Sache machen diese Kolleginnen und Kollegen jetzt natürlich Oppositionsarbeit – dazu gehören kritische Nachfragen im Plenum oder in Ausschüssen. Fachlich geht es da manchmal etwas härter zur Sache, aber gerade bei den Grünen hat sich das Zwischenmenschliche dadurch nicht verschlechtert.

Eine neue Koalition ermöglicht immer, auch anderen oder neuen Themen mehr Fokus zu geben. Gibt es auch Karlsruher Themen, die sie nun mehr in den Fokus setzten möchten?
PARSA MARVI: Karlsruhe steht vor Herausforderungen, die viele Großstädte kennen: ÖPNV, Infrastruktur und Personal. In der neuen Koalition haben wir dafür völlig neue finanzielle Grundlagen geschaffen – besonders im Hinblick auf die Reform der Schuldenbremse. Mir ist dabei wichtig zu betonen, dass es nicht nur um Investitionen in Beton geht, sondern auch um die Förderung von Personal. Das geht in der Diskussion oft unter. Wir brauchen in entscheidenden Bereichen mehr Fachkräfte – im ÖPNV genauso wie in unseren Kliniken. Wenn wir das nicht angehen, werden wir die Zukunft nicht bewältigen. Ein weiteres zentrales Thema ist Wohnen. Hier konnten wir in der neuen Koalition die Mietpreisbremse verlängern, und beim „kommunalen Vorkaufsrecht“ werde ich nicht locker lassen. Auch der Strukturwandel ist für Karlsruhe zentral – wir haben hier führende wissenschaftliche Institutionen, die die Bundesregierung beraten.
Waren Sie überrascht, dass Friedrich Merz im ersten Wahlgang nicht zum Kanzler gewählt wurde?
PARSA MARVI: Ich war entsetzt, wie leichtfertig manche Abgeordnete in einer ohnehin schwierigen Situation für die Demokratie ihre Stimme abgegeben haben. Einige, die das gemacht haben, waren vermutlich selbst überrascht, wie schwierig es war, den Wahlgang noch am selben Tag zu wiederholen. Ich bin überzeugt: Das war für diese Personen eine lehrreiche Erfahrung.

Die Haushaltslage der Kommunen ist äußerst prekär. Im neuen Karlsruher Doppelhaushalt gibt es deutliche Kürzungen. Wird Berlin hier in naher Zukunft mehr Verantwortung übernehmen?
PARSA MARVI: Die neue Koalition will die Stimmung im Land verändern, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Alles, was wir tun – ob Sondervermögen, Investitions-Booster oder Bürokratieabbau – soll neue Investitionen anziehen. Gelingt uns das, profitieren am Ende auch die Kommunen. Darüber hinaus wollen wir Kommunen direkt unterstützen. Einnahmeausfälle aus dem Investitions-Booster sollen durch 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen vollständig ausgeglichen werden. Außerdem sind acht Milliarden Euro für Kitas und Kliniken vorgesehen – davon werden die Kommunen spürbar profitieren. Wir wissen, wie ernst die Lage ist. Früher waren Haushaltskrisen vor allem ein Problem in Ostdeutschland – inzwischen trifft es auch wirtschaftlich starke Regionen. Karlsruhe erlebt derzeit eine Haushaltssituation in bisher unbekanntem Ausmaß. Persönlich reichen mir die ersten Schritte nicht: Wir sollten bald verbindlich festlegen, dass die Länder einen Teil der 100 Milliarden direkt an die Kommunen weitergeben.
Wenn Sie sagen, die neue Koalition wolle die Stimmung im Land verändern – weshalb hat das in der Ampel-Koalition nicht funktioniert?
PARSI MARVI: Politische Erfolge zeigen sich oft erst mit Verzögerung. Die Ampel hat unter anderem das Einwanderungs- und Migrationsrecht modernisiert. Bei den neuen Regelungen zur Einreise von Fachkräften gehört Deutschland heute neben Kanada zu den Ländern mit den modernsten Einreiseregeln. Auch bei der klimaneutralen Industrie haben wir große Fortschritte gemacht – etwa mit der deutlichen Anhebung der Solarförderung. Jetzt, wo Lindner und die FDP nicht mehr dabei sind, wirkt die Kombination aus dem neuen Sondervermögen und der Infrastrukturpolitik der Ampel. Investoren sind bereit, milliardenschwere Projekte in Deutschland zu starten. Das sind die Früchte der Regierungszeit von Olaf Scholz.

Sie sehen also die neue Migrationsgesetzgebung als Errungenschaft der Ampel mit positiven Langzeitwirkungen. Werden diese Erfolge nicht durch CDU-Vorstöße zu Verschärfungen wieder zunichtegemacht?
PARSA MARVI: Nein, das sehe ich nicht so. Es gibt Punkte, die uns als SPD Bauchschmerzen bereiten – etwa die zeitweise Aussetzung des Familiennachzugs oder die Situation an den Grenzen. Das sind schwierige Kompromisse gewesen. Aber die Union hat im Kern die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts akzeptiert und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht angefasst. Das ist im Koalitionsvertrag so festgehalten.
Sprechen wir über eines der größten Probleme in Karlsruhe: die Mietpreissituation. Wie will die Regierung hier künftig für Entspannung sorgen?
PARSA MARVI: Man muss zwei Bereiche trennen: zum einen die Rechte der Mieterinnen und Mieter. Instrumente wie die Mietpreisbremse müssen wirksam sein – Umgehungsmöglichkeiten wollen wir schließen. Hier konnten wir uns in der Ampel wegen der FDP nicht so stark durchsetzen, wie wir es gewollt hätten. Zum anderen geht es um die Kostensituation am Wohnungsmarkt. Am Thema Bauen führt kein Weg vorbei. Steuerliche Förderungen haben bisher nicht genug Wirkung gezeigt. Mit dem „Wohnungsbau-Turbo“ wollen wir die Genehmigungsverfahren in den Kommunen deutlich beschleunigen. Aber auch im sozialen Wohnungsbau müssen wir noch stärker eingreifen.
Durch Kürzungen im Karlsruher Doppelhaushalt sehen sich viele soziale und kulturelle Vereine bedroht. Kann der Bund hier helfen?
PARSA MARVI: Die neue Koalition unterstützt die Kommunen bereits, aber es muss mehr passieren, wenn die Krise anhält. Bund und Länder müssen gemeinsam handeln. Auf kommunaler Ebene stimme ich Oberbürgermeister Mentrup zu: Man sollte prüfen, welche Aufgaben ehrenamtlich übernommen werden können. Konsolidierung muss mit Augenmaß erfolgen. Als SPD Karlsruhe sagen wir: Menschen mit sehr hohen Einkommen sollten sich fragen, ob sie wirklich alle staatlichen Leistungen in Anspruch nehmen müssen. Ein Haushalt mit 150.000 Euro Jahreseinkommen benötigt nicht jede Form staatlicher Unterstützung.
Traditionell betrachtet gelten CDU und SPD als sogenannte „Volksparteien“. Sie sind im politischen Spektrum in der Mitte angesiedelt. Jüngere Menschen wählen nun zunehmend Parteien am äußeren Rand. Was sagen Sie dazu?
PARSA MARVI: Die SPD muss vor allem gute Politik machen. Unsere Zukunftsinvestitionen sollen Vertrauen schaffen – gerade bei jungen Menschen, die wieder überzeugt sein müssen, dass sie eine Perspektive in diesem Land haben. Das ist der Stimmungswandel, den ich vorhin angesprochen habe. Substanz kann nicht durch schicke Social-Media-Clips ersetzt werden. Deutschland hat seine besten Tage noch vor sich – das müssen wir besser vermitteln.
Sie sagen: „Social Media ersetzt keine Substanz“. Die Linke ist eine der Parteien, welche im letzten Wahlkampf insbesondere durch eine gute Online-Strategie junge Menschen erreicht hat. Werden Sie sich dennoch etwas davon abschauen?
PARSA MARVI: Wir können von der Linken lernen, dass die Ansprache lockerer sein darf. Das hat im letzten Bundestagswahlkampf sicher dazu beigetragen, dass sie unerwartet in den Bundestag eingezogen sind. Aber das Wählerpotenzial der SPD liegt bei 50 Prozent – das heißt, man sieht uns eher in Regierungsverantwortung. Und wer regiert, kann nicht einfach nur Sprüche klopfen, um im Netz modern zu wirken. Für uns ist Regieren wichtiger als Demonstrieren.
Wie verbringen Sie die sitzungsfreie Zeit im Sommer – eher in Karlsruhe oder in Berlin?
PARSA MARVI: Ich bin im Sommer gerne in Karlsruhe. Ohne Plenarsitzungen hat man Zeit, Institutionen zu besuchen, für die sonst keine Gelegenheit bleibt. Privat nutzen wir als Familie aber auch die Zeit gerne für uns – deshalb fahren wir noch zwei Wochen an die Nordsee.

Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden