Seit einigen Tagen ist die Nosferatu-Spinne, oder auch Zoropsis spinimana genannt, in aller Munde. Eine Situation, die den Experten aus dem Naturkundemuseum in Karlsruhe auf Trab hält. "Ich bearbeite fast kein anderes Thema mehr", teilt Biologe Hubert Höfer der ka-news-Redaktion mit.
Mit Fakten die Panik überwinden
Nach Ansicht des Spinnenfachmanns haben die zahllosen Medienberichte über das Tier zur Verunsicherung der Menschen beigetragen. "Vor allem die Titel implizieren halt doch gerne etwas Gefährliches", sagt Höfer, obwohl von der Spinne keine tatsächliche Bedrohung ausgehe. "Die Angst vor Spinnen reicht von hysterisch-unnötig bis zu vernünftiger Zurückhaltung", erklärt Höfer.

Um den eigenen Ekel und die Panik zu überwinden, empfiehlt der Experte die Beschäftigung mit Fakten. Denn wie sagte schon Goethe: "Der Mensch fürchtet nur, was er nicht kennt, und was er meidet, wird er bald verkennen". Und wenn sich jemand mit Spinne-Fakten beschäftigt hat, dann Hubert Höfer.
Passion: Spinnenforschung
Er fand während des Studiums seinen Weg zu den Achtbeinern. "Auf Exkursionen traten Spinnen vielfältig in allen Lebensräumen auf, was mein Interesse weckte", erzählt Höfer. Diese Faszination wurde dann bald zum Beruf – los ging die Reise in Amazonien.
"Die wissenschaftliche Beschäftigung im Rahmen einer Diplomarbeit hat das Interesse einer Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Limnologie erweckt, die im Amazonasgebiet Forschung betrieb und mir dann zur Bearbeitung der fast gänzlich unbekannten Spinnenfauna in Amazonien ein Stipendium für eine Doktorarbeit ermöglichte", erzählt der Experte.
Riesiges Interesse für Medizin und Technik
Aber warum Spinnen? "Spinnenseide, Gift, sekundäre Begattungsorgane, kryptische Weibchenwahl und viele weitere Punkte sorgen bei Wissenschaftlern für riesiges Interesse", so Höfer. Die gewonnenen Erkenntnisse fänden dann sowohl medizinische als auch technische Anwendung.

Deshalb sei es umso notwendiger, Spinnen zu erhalten, meint der Experte. "Mit dem Verlust der Artenvielfalt geht auch der Verlust von Genen und spezifischen Merkmalen einher", so Höfer. Der einzige Weg, um die Achtbeiner nachhaltig zu schützen, sei seiner Meinung nach der Schutz ihrer Lebensräume – und da gehöre inzwischen auch Karlsruhe dazu.
Die Spinnen fahren mit dem Zug nach Karlsruhe
Denn wie der "Spinnen-Atlas" zeigt: Die Ausbreitung der Nosferatu-Spinne ist gut dokumentiert. "Sie breitet sich mithilfe des Menschen – über Gütertransport – schnell und weit aus", erklärt Höfer – das Ziel der Reise sei dabei zweitrangig.

"Karlsruhe ist nicht attraktiv! Sie gelangen dorthin, überleben und pflanzen sich fort", so der Experte. "Einmal angekommen, etablieren sich die Tiere schlichtweg in ihrem neuen Lebensraum. Dieser Lebensraum ist seit einiger Zeit auch mal ein Karlsruher Wohnzimmer." Darüber ist aber nicht jeder erfreut.
"Spinnenphobie kommt in Deutschland häufig vor"
Frau Lena Sarter ist Psychologin in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Städtischen Klinikum Karlsruhe. Dort arbeitet sie mit Patienten, die an Angststörungen oder Phobien leiden – unter anderem auch an Spinnenphobie.

"Die Spinnenphobie kommt in Deutschland recht häufig vor, allerdings gehen nur sehr wenige Menschen deshalb tatsächlich in Behandlung", sagt die Psychologin. Immerhin acht Prozent aller Deutschen haben dennoch eine nachgewiesene Spinnenphobie.
Anzeichen einer Phobie: Angst, Schweiß und Flucht
Sarter erklärt ka-news.de, wie die Diagnose vonstattengeht: "Nicht jedes Ekelgefühl ist eine tatsächliche Phobie. Diese zeichnen sich durch klare Angstreaktionen wie Schweißausbruch und Zittern aus und wecken zumeist einen Fluchtinstinkt." Die Entstehung der Phobie lasse sich häufig auf das Kindesalter, zwischen fünf und neun Jahren, zurückführen.
"In diesem Alter werden die Kinder zu einer gewissen Verhaltensweise gegenüber Spinnen konditioniert. Hat die Mama Angst vor Spinnen, dann übernehmen die Kinder diese Einstellung", erklärt die Psychologin.

Die Kinder können allerdings auch durch unglückliche Umstände an einer Phobie erkranken. "Bei einem Kind ist der Hamster in seinem Käfig verstorben und in der Ecke saß eine Spinne. Im kindlichen Kopf ist jetzt natürlich die Spinne der Mörder", berichtet Sarter.
Furcht mindert Lebensqualität
Den meisten Patienten sei ihre unverhältnismäßig starke Reaktion auf die Tiere bewusst, sagt Sarter: "Dass von den Spinnen in der Regel keine Gefahr ausgeht, wissen die Patienten. Dennoch ist eine Fluchtreaktion nur schwer zu kontrollieren." Das Ausmaß, in dem dieses Verhalten die eigene Lebensqualität einschränke, sei dabei der zentrale Faktor für eine Therapie.

"Wir hatten schon Patienten, die konsequent mehrere Zimmer ihrer Wohnung mieden, um nicht erneut einer Spinne darin zu begegnen", so Sarter. Bei solchen Vermeidungsstrategien könne eine Therapie ansetzen und den Patienten wieder mehr Freiheit im Alltag gewährleisten – doch dafür muss der Schritt in die Praxis gewagt werden.
"Stell dich nicht so an"
Nach Ansicht der Expertin nehmen zu wenig Menschen mit psychischen Problemen ärztliche Hilfe in Anspruch. "Der psychologischen Behandlung und Therapie lasten immer noch starke Stereotypisierungen an", so Sarter. Zu oft höre man auch heute noch den Satz: "Stell dich nicht so an."

Der Verzicht auf professionelle Hilfe sei im Fall einer Spinnenphobie geradezu tragisch, meint die Psychologin. "Unsere belegte Wirksamkeit von Behandlungen einer Spinnenphobie liegen bei etwa 90 Prozent! Dieser Erfolg wird bereits nach wenigen Stunden erzielt", so Sarter.
"Annäherung, keine Schocktherapie!"
Bei der Behandlung geht Sarter wie folgt vor: "Zunächst bestimmen wir den Auslöser der Angst, mögliche Verstärker und die Bedingungen. Dann beginnen wir mit der eigentlichen Behandlung – der Expositionstherapie." Auch bekannt als Konfrontationstherapie.

"Der Volksmund nennt diese Behandlung 'Schocktherapie‘, aber die Bezeichnung ist falsch", erklärt Sarter. "Unseren Patienten wird nicht einfach eine Spinne auf den Schoß geworfen."
Stattdessen wird den Betroffenen eine kontrollierte Kontaktaufnahme zu dem Objekt der Angst gewährt – statt der sonstigen Flucht. "Sämtliche Schritte geschehen dabei nur unter der ausdrücklichen Einwilligung des Patienten", sagt die Psychologin.
Durch regelmäßige Wiederholung und Übungen werde so ein Gefühl von Vertrautheit geschaffen, sagt die Psychologin. "Die beißt mich nicht zu Tode, die Spinne – diese Erfahrung sollen die Patienten machen." So trauen sie sich, sich immer eingehender mit dem Tier zu beschäftigen. Somit können Patienten schlussendlich von ihrer Spinnen-Phobie geheilt werden.
