In Karlsruhe gibt es etwa 500 wohnungslose Menschen. "Im Winter ist die Zahl, wie immer, ein wenig angestiegen" wie Sonja Rexhäuser von der Sozial- und Jugendbehörde Karlsruhe anmerkt.
Zahl von Wohnungslosen wird weniger
Doch die allgemeine Tendenz sinkt: "Wir bewegen uns mit diese Zahlen deutlich unterhalb des Niveaus von 2018", so Rexhäuser. "Damals mussten 600 Betroffene in Unterkünften versorgt werden."

Die Fächerstadt bietet zahlreiche verschiedene Einrichtungen für Betroffene, die ihr Dach über dem Kopf verloren haben, an. Die Ursachen für den Verlust der eigenen Wohnung sind ganz unterschiedlich: Häufig führen Schicksalsschläge oder persönliche Probleme dazu. Ohne festen Wohnsitz sind alltägliche Tätigkeiten und auch das Nachgehen eines Berufs extrem erschwert.
Ein Teufelskreis, der sich schnell zuspitzt
Und hier beginnt die Abwärtsspirale: Wer keinen Job hat, wird ohne Wohnung und Anschrift auch nur schwer eine Anstellung finden, was wiederum die Chance auf ein neues Zuhause immer unwahrscheinlicher macht.

In dieser Situation befand sich auch Martin. Seinen Namen haben wir für diesen Artikel geändert, er möchte anonym bleiben. Er hat im Interview mit ka-news.de über seine Vergangenheit und das jetzige Leben gesprochen.
Martin hat mittlerweile wieder ein Zuhause, welches ihm mit Hilfe der Sozialpension Augustiner von der AWO Karlsruhe vermittelt wurde. In dieser Einrichtung können Wohnungslose auf Zeit leben und sich zusammen mit Sozialarbeitern um ihre Zukunftsperspektiven kümmern.
Eine Vergangenheit geprägt von Drogen, Kriminalität und der Straße
In den 90er-Jahren kam der Deutschlandrusse mit seiner Familie als Spätaussiedler nach Deutschland, damals war er 18 Jahre alt und hatte eine Lehre als KfZ-Mechaniker in der Tasche.

Zum Arbeiten kam er jedoch in Deutschland nie - die falschen Kreise, sowie eine Heroinabhängigkeit und damit verbunden mehrere begangene Delikte im Rahmen der Beschaffungskriminalität führten schließlich dazu, dass Martin immer wieder ins Gefängnis musste - insgesamt 16 Jahre saß er in Haft.
Seit 2020 ist er nun entlassen, doch die Probleme verschwanden dadurch nicht - während der langen Haftzeit wurde er immer wieder wohnungslos und rückfällig, verlor seinen Job und landete auf der Straße. "Als ich rauskam, hatte ich nichts", erzählt er.
Die "letzte Chance" muss genutzt werden
Von der Stadt wurde er nach seiner letzten Haftentlassung zur Sozialpension Augustiner zugeteilt, hier lebte er insgesamt ein halbes Jahr. Und ab diesem Moment machte es "klick" bei ihm, wie er sagt: "Ich wusste, das ist jetzt meine letzte Chance."
Martin zeigte sich vor Ort sehr kooperativ, wie Lisa Neufang berichtet: "Er kam mit seinen Papieren ins Büro, hat sein Zimmer saubergemacht und sich immer an Absprachen gehalten."

Neufang ist Einrichtungsleitung des ABW (Ambulant Betreutes Wohnen) von der AWO Karlsruhe und hat zuvor auch im Augustiner gearbeitet. Das dortige Team und sie kümmerten sich dort vor allem um seine Finanzen, Bußgelder und Schulden.
Schließlich ergab sich aus diesen Mühen der Einzug in seine eigene Wohnung. Die Kosten für die Miete werden vom Jobcenter gestellt. "Das war das übergeordnete Ziel, nun möchte ich diese Wohnung auch behalten", sagt er.
Hilfe bei der Alltagsbewältigung
Martin ist seit mehreren Jahren im Substitutionsprogramm - einmal am Tag holt er sich sein Methadon beim Arzt ab. Dies bestimmt einen großen Teil seiner Tagesstruktur.
Als überleitende Hilfe im eigenen Wohnraum greift Neufang bei diesen Dingen mit unter die Arme. Die Betreuung findet in Form von ein- bis zwei Terminen pro Woche statt.

Die Sozialarbeiterin schaut zum Beispiel zusammen mit Martin über seine Post oder begleitet Martin zu Behördengängen, der Bewährungshilfe, Amtsterminen oder Beratungsstellen.
Auch sein gesundheitlicher Zustand ist ein wichtiges Thema - in einem längeren Prozess konnte seine Hepatitis C-Erkrankung ausgeheilt werden, außerdem ist er erstmals an einen Psychiater angebunden, den er in regelmäßigen Abständen aufsucht.
Mentaler Beistand
Doch auch Lisa Neufang hat bei psychischen Themen ein offenes Ohr für den 45-Jährigen. Im Moment belastet vor allem ein Thema ihn sehr: Der Gesundheitszustand seiner Mutter. Sie hatte 2008 einen Schlaganfall und ist seitdem halbseitig gelähmt.
"Jahrelang hatte ich gar keinen Kontakt zu seiner Familie. Jetzt besuche ich meine Mutter regelmäßig, greife ihr dann unter die Arme wo ich kann, und gehe auch auf Familienfeste", freut er sich.

"Bei Redebedarf kann er sich jederzeit melden", meint Neufang im Gespräch mit ka-news.de. "Martin hat viel erlebt und muss noch einige Dinge verarbeiten, die tief sitzen. Doch es geht in kleinen Schritten voran!"
Raus aus der alten Szene
An das Substitutionsprogramm ist er stabil angebunden, seit drei Jahren ist er straffrei und mithilfe des ABW hat er ein Insolvenzverfahren und sein eigenes Bankkonto eröffnet. "Das sind Hürden, an denen viele schon scheitern", so die Einrichtungsleitung.
Außerdem achtet Martin darauf, sich von bestimmten Kreisen fernzuhalten. "Ich war damals viel am Werderplatz unterwegs, wo die Szene sich aufhält. Dadurch gab es immer wieder neue Probleme. Davon möchte ich mich in Zukunft fernhalten."

Auch wenn es nach der Haftentlassung für ihn schwierig war, an neue Leute zu geraten und sich einen stabilen Tagesablauf aufzubauen, hat er andere Freunde gefunden, mit denen er auch Dinge unternimmt.
"Ich koche zum Beispiel gerne jeden Tag frisch. Außerdem mag ich die Natur, vor allem die Berge, letzten Sommer war ich viel im Schwimmbad, darauf freue ich mich auch schon. Ich möchte nach vorne schauen und auf eigenen Füßen stehen", erzählt er.
Zukunftspläne
Aus langer Sicht soll gewährleistet werden, dass Martin auf Dauer im Substitutionsprogramm bleibt. Diesen Sommer steht nun zudem ein Termin an, bei dem besprochen werden soll, welche Beschäftigungsmaßnahme für ihn Sinn ergeben würde.

Worauf er sonst in der Zukunft blickt, fragen wir ihn? "Bald bekomme ich eine Zahnsanierung, außerdem würde ich gerne einen Computerkurs machen." Die Arbeit seiner Betreuerin weiß er außerdem sehr zu schätzen: "Ich bin sehr dankbar für all die Hilfe und Unterstützung, die ich von Frau Neufang bekommen habe und immer noch bekomme."
Ambulant Betreutes Wohnen (ABW)
Die AWO Karlsruhe bietet seit 2002 Ambulant Betreutes Wohnen für wohnungslose und psychisch kranke Menschen an. Die Finanzierung erfolgt entweder über die Eingliederungshilfe (SGB IX) oder über die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§ 67 SGB XII). Die Übergänge zwischen den Hilfeformen sind fließend.
Viele wohnungslose Menschen haben unter anderem auch eine psychische Erkrankung. Zugleich ist das Risiko eines Wohnungsverlustes bei Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen deutlich erhöht. Aktuell werden 90 Menschen vom ABW beraten, begleitet und unterstützt, circa ein Viertel davon wohnen in von uns angemieteten Einzelapartments und Wohngemeinschaften, welche über das ganze Stadtgebiet verteilt sind.
Ziel des ABWs ist es, die Klient*innen darin zu unterstützen, ihr Leben weitestgehend selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu gestalten und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Die Nachfrage nach unseren betreuten Wohnplätzen ist besonders hoch, teilweise leben die Menschen mehrere Jahre im Wohnraum der AWO gemeinnützige GmbH, weshalb nur selten Plätze frei werden. Deshalb freuen wir uns als Träger über Wohnraumangebote von Vermieter*innen, im Gegenzug sichern wir regelmäßige Mietzahlungen und kümmern uns um kleinere Anliegen, die im Wohnraum anfallen.
Hinweis: Kommentare geben nicht die Meinung von ka-news wieder. Der Kommentarbereich wird 7 Tage nach Publikationsdatum geschlossen. Bitte beachten Sie die Kommentarregeln und unsere Netiquette!