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Pforzheim/Karlsruhe: Hort der Gesetzlosen: Rockerkrieg mitten in Pforzheimer Idylle

Pforzheim/Karlsruhe

Hort der Gesetzlosen: Rockerkrieg mitten in Pforzheimer Idylle

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    Erst kürzlich kam es in Pforzheim zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der "Hells Angels" und den rockerähnlichen "United Tribuns". Bei brutalen Angriffe mit Messern, Macheten und Reizgas wurden mehrere Mitglieder der Banden verletzt - teilweise schwer. Auch Schüsse fielen.

    Am vergangenen Wochenende verhinderte die Polizei Pforzheim schließlich einen Racheakt der "Hells Angels".Insgesamt waren 900 Polizisten an dem Großeinsatz beteiligt. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen planten die Hells Angels des in Pforzheim ansässigen Clubhauses "Borderland" einen konkreten Racheakt, um führende Köpfe der United Tribuns zu töten. Drei Mitglieder der Hells Angels wurden bei der Razzia festgenommen. Es gebe Anhaltspunkte, dass die Festgenommenen an dem Überfall auf die Türstehervereinigung United Tribuns am 27. November beteiligt gewesen waren, teilte die Polizei Pforzheim gegenüber ka-news mit.

    Rockerkrieg erschüttert Enzkreis

    Das Pforzheimer Clubhaus der Hells Angels "Borderland" besteht nach Polizeiangaben seit Oktober 2008. Die Behörde spricht von 16 sogenannte Vollmitgliedern, die dem  Pforzheimer "Charter" der Höllenengel angehören. "Charter" oder "Chapter" werden die kleinsten Organisationseinheiten der international agierenden Rockergruppierungen genannt.

    Hinzu kommen noch einige "Hangarounds" und "Supporter". Als Hangaround werden Biker bezeichnet, die sich in einer bestimmten Phase auf dem Weg zur Vollmitgliedschaft befinden. Supporter sind Unterstützer des Clubs. Die Polizei spricht von insgesamt etwa 25 für die Polizei relevanten Rockern, die im erweiterten Kreis zu den Hells Angels in Pforzheim gezählt werden könnten. Unterstützt werden die ansässigen Hells Angels durch das "Commando 81" - die Zahl 81 steht hierbei für den achten und ersten Buchstaben des Alphabets, also die Abkürzung der Hells Angels (HA). Das Commando 81 gewährt den Hells Angels Hilfe in "jeglicher Form", so die Polizei.

    Die rivalisierenden "United Tribuns" sind eine Türstehervereingung. Sie werden als "rockerähnlich" bezeichnet, da sie ähnlich hierarchisch organisiert sind wie die vier großen Motorradclubs (MC). Laut Innenministerium wird die bundes- und landesweite Rockerszene maßgeblich durch die vier großen Rockerbanden Hells Angels MC, Bandidos MC, Outlaws MC und Gremium MC geprägt. Die Clubs Hells Angels und Gremium sympathisieren untereinander und stehen im Konflikt mit den Bandidos und Outlaws.

    Rocker in der Region

    Rockergruppierungen zeichnen sich durch eine streng hierarchische Organisation, enge persönliche Bindungen zwischen den Mitgliedern und selbst geschaffene Regeln aus, berichtete das Innenministerium auf ka-news-Anfrage. Sie kooperieren wenig mit den Sicherheitsbehörden und hüllen sich in Schweigen. Die Mitglieder identifizieren sich durch das Tragen gleicher Kleidung wie Lederwesten mit Totenkopf-Emblemen oder ähnlichen Abzeichen.

    Auch die Mitglieder der United Tribuns besitzen gemeinsame Erkennungsmerkmale wie bestimmte Embleme und spezielle Kutten. Der Unterschied zu den großen Motoradclubs (MC) sei allerdings, dass die meisten keine Motorräder besitzen würden, so Frank Otruba, Polizeisprecher der Polizei Pforzheim. Die Gruppe wurde 2004 in Villingen-Schwennigen gegründet und ist seit etwa vier Jahren in Pforzheim angesiedelt. Die Polizei geht von bis zu 25 Mitgliedern im Raum Pforzheim aus.

    Mit Eskalationen muss immer gerechnet werden

    Wie das Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA) erläutert, gibt es in Baden-Württemberg etwa 1.200 Angehörige der vier großen Motorradclubs. Der Gremium MC ist mit etwa 400 Mitgliedern der größte Club im Land. Den Hells Angels werden etwa 250 Mitglieder zugerechnet. Zu den Outlaws werden rund 150 und den Bandidos zirka 20 Mitglieder in Baden-Württemberg gezählt. Hinzu kommen noch etwa über 1.000 Mitglieder "rockerähnlicher" Vereinigungen wie beispielsweise die "United Tribuns".

    "Baden-Württemberg hat die größte Dichte von Rockerclubs in Deutschland", so Horst Haug, Pressesprecher des LKA Baden-Württemberg, gegenüber ka-news. Jeder Landkreis und jede größere Stadt im Land habe demnach einen Motorradclub. Diese Entwicklung sei historisch gewachsen. Bei den Mitgliedern sei zudem ein hohes Gewalt- und Agressionspotential vorhanden. "Wir haben es hier nicht mit Sängerknaben zu tun", betont Haug. Daher müsse immer mit Auseinandersetzungen und Eskalationen gerechnet werden.

    Polizei: Pforzheim ist kein Bandennest

    Bundesweit sei mit einer zunehmenden Tendenz gewalttätiger Auseinandersetzungen im Rockermilieu zu rechnen, bestätigt auch das Landes-Innenministerium. Konflikte aufgrund der inneren Organisation und der überregionalen Vernetzung zwischen den Clubs könnten nicht ausgeschlossen werden.

    "Vor dem Hintergrund einer Erweiterung ihrer Einflussbereiche und der Sicherung wirtschaftlicher Interessen sind seit geraumer Zeit weltweite Expansionsbestrebungen der rivalisierenden Rockergruppierungen, vornehmlich des Bandidos MC und des Hells Angels MC, zu beobachten", heißt es in einem Schreiben des Ministerium, das ka-news vorliegt. Neben vermehrten Aufgriffen von Hieb-, Stich-, Schuss- und Kriegswaffen bei Angehörigen von Rockergruppierungen sei es insbesondere seit Jahresbeginn 2009 in Teilen Deutschlands zu schwersten Straftaten - darunter auch vollendete und versuchte Tötungsdelikte - gekommen, heißt es weiter.

    Pforzheim werde sich allerdings nicht zu einer Rockerhochburg entwickeln, ist sich Polizeisprecher Otruba sicher. Die Polizei werde rechtzeitig Präsenz zeigen und habe etliche Kontakbeamte im Einsatz. Die Einsatzkräfte könnten Ausschreitungen im Keim ersticken, wie auch der Großeinsatz am Wochende gezeigt habe, sagt der Polizeisprecher.

    "Wer die Tür kontrolliert, hat die Macht"

    Der regionale Führungsanspruch einzelner Rockerbanden ist gewinnorientiert und zielt auf einen Territorial- und Machtzuwachs gegenüber anderen konkurrierenden Rockerbanden, erläutert das Innenministerium. Häufig seien Rocker in Gewalttaten, Drogen-, Waffen- und Menschenhandel verwickelt. Es gebe zudem erkennbare Verbindungen zum Sicherheits- und Bewachungsgewerbe. "Wer die Tür kontrolliert, hat die Macht darüber, was dahinter passiert", bestätigt auch LKA-Sprecher Haug. "Es geht hier eben nicht nur um Folklore auf dem Motorrad." Die Polizei wolle daher die Szene sehr genau beobachten.

    Das Innenministerium möchte eine weitere Verlagerung und Eskalation der Machtkämpfe zwischen den Rockern in Baden-Württemberg verhindern und hat daher die seit dem Jahr 2004 bestehende Konzeption zur Bekämpfung der Rockerkriminalität im Januar 2010 aktualisiert und erweitert. Das geht ebenfalls aus dem Schreiben des Innenministeriums vor. Darüber hinaus werde derzeit auf Ebene des Bundes und der Länder ein mögliches bundesweites Clubverbot intensiv geprüft.

    Auch das BKA beschäftigt sich seit diesem Jahr ausführlicher mit dem Phänomen Rockerbanden. In diesem Jahr wurde das Fachreferat Rockerkiminaltiät gegründet. Die Aufgabe der Spezialisten sei es, bundesweite Ermittlungsergebnisse im Bereich Rockerkriminaltiät zusammentragen und auszuwerten. Mit einem ersten Bericht der Abteilung sei Anfang nächsten Jahres zu rechnen, so das BKA.

    Chronik des Rockerkrieges in der Region:

    27. März 2010
    Festnahmen im Rocker- und Rotlichtmilieu

    5. September 2010
    170 Polizisten verhindern Rockerausfahrt

    27. November 2010
    Verletzte bei brutalem Kampf zwischen Rockerbanden

    13. Dezember 2010
    Pforzheim: Polizei verhindert Racheakt der "Hells Angels"

    14. Dezember 2010
    Drei Haftbefehle bei Razzia gegen "Hells Angels"

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