Wer in Karlsruhe drogenabhängig ist, für den gibt es seit über 20 Jahren eine Anlaufstelle: das "get IN". Es ist vielen Konsumenten zu einer Art zweitem Wohnzimmer geworden. Dort gibt es Sofas, etwas Heißes zu trinken und vor allem: sauberes Spritzbesteck. Rund 40.000 Nadeln und Spritzen werden hier jedes Jahr getauscht. Um zu konsumieren wurden die Besucher bislang allerdings wieder zurück auf die Straße geschickt.

Das ändert sich nun. Am Montag eröffnet direkt neben der Anlaufstelle in der Kriegsstraße ein Drogenkonsumraum. Es ist der erste in ganz Baden-Württemberg. Einen solchen in Karlsruhe einzurichten war schon lange im Gespräch, doch bis März dieses Jahres fehlte die Zustimmung der Landesregierung.
Ganz unscheinbar sieht die Türe an der Kriegsstraße aus, hinter der sich die Kontaktstelle für Drogenabhängige der Arbeiterwohlfahrt (AWO) verbirgt. Zuerst springt die leuchtend rote Theke ins Auge, Bilder an den Wänden und ein Weihnachtsbaum sorgen für eine gemütliche Atmosphäre.

Von dort geht es nach links durch eine Türe hindurch - hier befindet sich der neu eingerichtete Drogenkonsumraum: Mit weißen Fließen und Spiegeln an den Wänden, grünen Plastikstühlen und Apothekerschränken wirkt er sehr steril.

Wer ihn betritt wird meist von Krankenpfleger Baris Polat-Göttelmann und Sozialarbeiterin Melanie Hillmer in Empfang genommen. Alle Drogenabhängigen, die zum ersten mal die Stelle aufsuchen, müssen sich ausweisen und einen Fragebogen zu ihrem Suchtverhalten ausfüllen. Anonym darf sich hier niemand einen Schuss setzen, doch: "Wir haben natürlich eine Schweigepflicht und die nehmen wir auch sehr Ernst", sagt Krankenpfleger Polat-Göttelmann im Gespräch mit ka-news.de.

Ihre Drogen bringen die Konsumenten selbst mit und müssen sie den Mitarbeitern vorzeigen. Überprüfen, was die Besucher sich tatsächlich spritzen, können die Mitarbeiter allerdings nicht. "Wir schauen die mitgebrachten Stoffe lediglich an und fragen, was der Konsument mitgebracht hat, um im Notfall richtig reagieren zu können", sagt Melanie Hillmer. Ein sogenanntes "Drug-Checking" findet nicht statt.

Der Raum ist für sogenannte "harte Drogen" vorgesehen, weder Alkohol noch Cannabis dürfen hier konsumiert werden. Die erlaubten Stoffe sind in der Verordnung der Landesregierung festgeschrieben: Sie reichen von Opiaten über Kokain bis hin zu Amphetaminen. Je nachdem, ob sie intravenös, nasal oder oral konsumieren, wird den Abhängigen daraufhin das passende Besteck ausgehändigt.

Dann geht es für sie an einen der vier Drogenkonsumplätze, die mit Plexiglasscheiben voneinander abgetrennt sind. Bis zu einer halben Stunde haben sie Zeit, sich - beispielsweise - den Schuss zu setzen.
Danach wird das Besteck am Tresen wieder abgeben werden. "Alles, was hier konsumiert wird, wird auch bei uns entsorgt", sagt Krankenpfleger Polat-Göttelmann. Die gebrauchten Pumpen und Nadeln werden über ein Schiebefach zurückgegeben. "Somit stellen die Nadeln und Spritzen keine Gefahr für andere dar," so Polat-Göttelmann weiter.

Auch die Mitarbeiter selbst werden geschützt - mit stichfesten Handschuhen und einer stichfesten Schürze. Damit sich niemand infiziert, findet sich eine der wichtigsten Regeln leuchtend rot an der Wand:

Wie viele Abhängige das Angebot annehmen werden, kann nur schwer vorhergesagt werden. "In Bochum, einer ähnlich großen Stadt wie Karlsruhe, nutzen den Drogenkonsumraum etwa 80 Personen pro Woche", sagt Petra Krauth, Leiterin des getIN. Um die Abhängigen mit dem Angebot zu erreichen sind die Sozialarbeiter auf den Straßen und Plätzen in Karlsruhe unterwegs und sprechen die Betroffenen direkt an.
In der Kriegsstraße 76 in Karlsruhe, eröffnet am Montag, 9. Dezember 2019, der erste Drogenkonsumraum in Baden-Württemberg. In Trägerschaft der Arbeiterwohlfahrt (AWO) sollen Abhängige dort unter Aufsicht und hygienischen Bedingungen konsumieren.
Bereits im April 2018 hat sich der Karlsruher Gemeinderat für die Einrichtung des Drogenkonsumraums ausgesprochen. Rund ein Jahr musste die Stadt daraufhin auf die fehlende Verordnung der Landesregierung warten. Im März 2019 war es soweit: Der Landtag hat einstimmig für das Projekt gestimmt.
Die vorrangigen Ziele des Drogenkonsumraumes sind unter anderem die Verhinderung von Überdosierungen und Drogentodesfällen, Vermeidung von Infektionen und die Entlastung des öffentlichen Raumes. Zudem soll er Anlaufstelle für diejenigen sein, die der Drogenszene den Rücken kehren und aussteigen möchten.
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