Im diesjährigen Karlsruher #digiTalk dreht sich alles um den Jugendschutz. Die geladenen Redner versuchen in Ihren Vorträgen aufzuzeigen, wie sich Kinder und Jugendliche im Internet schützen können und welchen Beitrag eine gute Medienerziehung hierbei leisten kann oder muss.

Der Jugendschutz sei im Internet ein Thema, das noch nicht mit einem großen Knall in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt sei, erklärte Uwe Gradwohl, der Moderator der Veranstaltung. Viele der im #digiTalk vom 25. April, behandelten Themen seinen zwar wichtig, aber derzeit noch Fußnoten im digitalen Umfeld.
Handykonsum wird von den Eltern vorgelebt
Nach einem kurzen Freestyle-Rap startet der Lehrer und Sozialarbeiter Benjamin Bohnert in den ersten Impulsvortrag des Abends.

"Die analoge Jugend wird es wohl nie wieder geben", so die zentrale These des rappenden Sozialarbeiters.
Deutsche Jugendliche verbrächten im Schnitt 70 Stunden pro Woche mit dem Konsum von digitalen Medien. Doch woher komme überhaupt das Bedürfnis der Jugendlichen so viel Zeit im Internet zu verbringen? Für Bohnert liegen die Ursachen für die "daueronline Jugend" in den Elternhäusern:

"Sobald ein Kind heute was Gutes, Cooles oder Süßes macht, hat es direkt ein Smartphone vor der Nase. So lernt es schon von klein auf, dass durch dieses Kästchen Bestätigung kommt und verbindet es direkt mit positiven Emotionen", so schildert Bohnert seine Erfahrungen.
Eltern müssten mit gutem Beispiel vorangehen und ihren Kindern einen gesunden Umgang mit Medien vorleben, so der Sozialarbeiter. Sähen die Kinder Ihre prägendsten Bezugspersonen meistens nur am Handy, könnten sie gar nicht anders, als diese Verhaltensweisen zu übernehmen.
"Mein 6-jähriger Sohn, konnte noch nicht mal richtig lesen, geschweige denn schreiben und hat mithilfe des Sprachassistenten auf meinem Handy Fußball Ergebnisse abgerufen."
Daran knüpft Prof. Dr. Christian Gleser an. Er ist seit über 28 Jahren in der Lehrerbildung tätig. Er konnte bei seinem jüngsten Sohn beobachten, wie schnell der Zugang zu Medien von Kindern erlernt werden kann, wenn sie die Eltern oder Geschwister beobachten.

"Mein 6-jähriger Sohn, konnte noch nicht mal richtig lesen, geschweige denn schreiben und hat mithilfe des Sprachassistenten auf meinem Handy Fußball Ergebnisse abgerufen. Das hat er bei seinem großen Bruder abgekuckt und es zeigt, wie schnell Kinder durch Nachahmung lernen".
Das Lernen durch Nachmachen, so der Professor sei ein psychologisch gut erforschtes Gebiet. Man müsse versuchen diese Erkenntnis besser in die Medienerziehung einfließen zu lassen. Dies sei zwar seit 2016 vom Landesbildungsplan gefordert, die Umsetzung dieser Vorgabe gestalte sich im Schulalltag jedoch häufig als schwierig.
Eltern leben Medienkonsum vor - aber Schule soll Medienerziehung leisten
Der derzeitige Stand sei, dass die Medienerziehung Teil eines jeden Schulfaches sein soll, was jedoch dazu führe dass es von der jeweiligen Lehrkraft abhinge ob die geforderten Inhalte vermittelt würden. Hier sieht Gleser noch enormes Nachholpotential in den Schulen:

"Der digitale Raum endet ja nicht in der Schule und beginnt im Kindezimmer. Er umspannt alle Facetten des Lebens. Daher ist es unerlässlich, dass Eltern von den Schulen mit ins Boot geholt werden. Der Prozess der Medienerziehung kann durchaus unangenehm sein und fordert ein großes Maß an Einsatzbereitschaft von Lehrern und Eltern, ist aber enorm wichtig. Denn nur durch informierte Diskussionen, können wir die Kinder dazu bringen, ihr eigenes Verhalten kritisch zu reflektieren".
Sperren und Blocker funktionieren in der digitalen Realität meistens nicht
Das Internet ist schier grenzenlos, es gibt nichts, was man in den Weiten des weltweiten Datenstroms nicht finden kann. Und das alles nur einen kurzen Mausklick. Doch viele der Inhalte sind auch Jugendgefährdend.
Wie lässt sich also Jugendschutz im Internet effektiv umsetzen, wenn jeder volljährig ist, sobald man nur die richtige Schaltfläche anklickt?

Bei einem ist sich Professor Doktor Christian Gleser sicher, Sperren und Blocker funktionieren in der digitalen Realität meistens nicht. Sie würden zu oft noch unangemessene Inhalte durchlassen oder könnten zu leicht von den Kindern deaktiviert werden. Man müsse die Kinder und Jugendlichen dahingehend schulen, selbständig und kritisch mit Medien umgehen:
"Die Kinder und Jugendlichen müssen das kritische Reflektieren lernen. Welche Inhalte sind gut und welche lehne ich für mich selbst ab. Bei dieser Entwicklung muss das Elternhaus und die Schule zusammenarbeiten, um die Kinder zu unterstützen", so Gleser.

Unangemessenen Inhalte könne man nicht von den Kindern fernhalten, sie sickern immer irgendwie durch, sei es durch Klassenchats, über soziale Medien oder durch Werbung. Und weiter erklärt der Professor, dass es in Schulen viel wichtiger werden müsse, Kompetenzen zu vermitteln, mit denen die Kinder selbständig lernen mit solchen Inhalten umzugehen. Und damit auch lernen, wie sie sich vor ihnen schützen können.
Eltern sollten selbst Zocken und Problem-Influencer kennen
Dass die Medienerziehung im Schulalltag häufig eine untergeordnete Rolle spielt, erleben auch die beiden letzten Impulsredner des #digiTalks. Inga Klas und Adrian Kirchenbauer werden an Schulen gerufen, wenn es mal wieder so richtig gekracht hätte.
Frau Klas vom Karlsruher Medienkompetenz Team und Herr Kirchenbauer vom Landesmedienzentrum arbeiten mit Schulen zusammen, in denen Cybermobbing, Rassismus und Sexismus im digitalen Raum überhandgenommen haben und versuchen den Schülern Strategien und Kompetenzen zu vermitteln, mit denen sie sich und andere im digitalen Raum schützen können.

Inga Klas und das Karlsruher Medienkompetenz Team vertreten hier einen eher konservativen Ansatz, sie brechen aktuelle Gesetzgebung kindgerecht herunter und zeigen den betroffenen Jugendlichen auf, welche Konsequenzen fehlverhalten nach sich ziehen kann. Und welche Rechte und Möglichkeiten diese durchzusetzen überhaupt offenstehen.
Hier sieht sie sich häufig mit äußerst drastischen Inhalten und Meinungen konfrontiert, die in Schulklassen die Runde machen:

"Ich kenne kaum eine siebte Klasse in deren Klassenchat nicht Kinderpornografische Memes und Sticker die Runde machen. Auch hochproblematische Influencer wie Andrew Tate machen auf den Schulhöfen die Runde. Dass Zehnjährige die dort propagierten Meinungen aufschnappen und nach plappern ist leider keine Seltenheit mehr."
Es sei daher enorm wichtig, dass sich Eltern und Lehrkräfte auch mit den derzeit für Kinder und Jugendliche relevanten Themen und Influencern auskennen würden. Eltern sollten sich am besten auch mal die Videos anschauen, die die Bildschirme Ihrer Kinder füllen und auch mal den Controller in die Hand nehmen und mit ihren Kindern Zocken.

"Nur wenn die Kinder das Gefühl haben, meine Eltern verstehen das, was ich hier mache, kann ein offener und ehrlicher Diskurs stattfinden, indem die konsumierten Inhalte auch kritisch hinterfragt werden und die Konsequenzen dieser Inhalte besprochen werden können. Die Verantwortung sich zu informieren, was derzeit hip ist, liegt auch bei uns Großen."
Schüler sollen eigene Medieninhalte produzieren
Adrian Kirchenbauer und das Landesmedienzentrum (LMZ) verfolgen hingegen einen etwas moderneren Ansatz. Betroffenen Schulen, können die Angebote des LMZ war nehmen und bis zu 25 Schülerinnen und Schüler zu sogenannten Medien-Mentoren ausbilden lassen. Diese Mentoren werden vom LMZ in der Produktion von eigenen Medieninhalten geschult und sollen so lernen, was genau hinter den von ihnen konsumierten Medien und Influencern steckt.

"Unsere Mentoren werden fit gemacht, sich mit aktuellen Problematiken im Netz auseinander zu setzen und hierfür Lösungsstrategien zu erarbeiten. Diese sollen sie dann in den von ihnen erarbeiteten und produzierten Medienprodukten kommunizieren und so ihre eigenen Mitschüler aufklären und beraten", erklärt Kirchenbauer den Ansatz des LMZ.
Dieser Ansatz, dass Schüler andre Schüler in Fragen der Medienerziehung aufklären und weiterbilden wird als "Peer to Peer"- Ansatz bezeichnet und verspräche, so der Vertreter des LMZ, deutlich höhere Aussichten auf Erfolg, da die klassische Kommunikation von "oben herab" bei Schülern häufig auf taube Ohren stieße.

"Wir müssen die Schüler ermächtigen, sich solche Kompetenzen selber beizubringen", betont Adrian Kirchenbauer.
Was die Besucher des #digiTalks sonst noch beschäftigt hat:
Im Anschluss an die Vorträge der geladenen Redner machte der diesjährige #digitalk seiner Natur eines "Stammtisches" alle Ehre.
Besorgte Eltern, Lehrer und sogar eine Schulleiterin eines Karlsruher Gymnasiums diskutierten die Inhalte der Impulsvorträge mit den Experten. Deutlich wurde hierbei, dass sich viele Eltern vom Staat alleingelassen fühlen.

"Was ist denn seit 2016 passiert? Man hat da einen Plan aufgestellt, in dem es heißt, die Schulen sollen Medienerziehung stärker betonen, aber in der Realität merkt man davon einfach nichts. Das ist jetzt acht Jahre her. Das sind doch digitale Ewigkeiten."
So kritisierte ein anwesender Vater, der nach eigenen Angaben selbst in der IT-Branche tätig sei, die schleppende Umsetzung der vom Land Baden-Württemberg aufgestellten Lernziele.
Dieser Einwand fand viel Zustimmung bei den anwesenden Experten. Inga Klas ging sogar noch einen Schritt weiter:

"Es braucht keine Reform, sondern eine Revolution des Schulwesens um mit den rasanten Entwicklungen der Digitalisierung schritthalten zu können".
Auch Prof. Dr. Christian Gleser, der die kommende Lehrergenerationen ausbildet, stimmte dem besorgten Vater zu. Die Aufteilung der Medienerziehung auf alle Schulfächer sei ein Fehler. So würde sich kein Lehrer wirklich zuständig fühlen und dieser so wichtige Bereich würde vernachlässigt werden. Er fände es sinnvoller, hier ein neues Schulfach zu schaffen und sieht hier vor allem die Politik in der Pflicht.

"Bitte kein weiteres Schulfach!" die Schulleiterin eines Karlsruher Gymnasiums findet klare Worte.
Der Vorschlag von Herrn Gleser trifft zwar bei den versammelten Experten auf viel Zustimmung, löst aber bei einer Schulleiterin eines Karlsruher Gymnasiums Bauchschmerzen aus. Sie fürchtet die Einführung eines neuen Schulfaches in den ohnehin schon sehr vollen Lehrplan.

"Ohne eine grundlegende Überarbeitung der derzeitigen Prüfungsstrukturen, kann die Implementierung eines neuen Schulfaches, von den Schulen nicht geleistet werden. Es müssen veraltete Lerninhalte rausfliegen, bevor neue Inhalte eingefügt werden können. Ansonsten müssten sich die Schulen zwischen guten Abi-Schnitten und einer guten Vorbereitung ihrer Schüler für das richtige Leben entscheiden und das könne einfach nicht sein."
"Bis sich diese Veränderungen im Schulsystem umsetzen lassen, wie können wir den derzeitigen Bedarf an Angeboten und Informationsveranstaltungen decken?"
Das wollte ein anwesender Vater von den Experten wissen. Adrian Kirchenbauer, antwortete hierauf ganz ehrlich:

"Es fehlt an Geld. Das Mentoren-Programm des LMZ wurde bereits von oben ordentlich gekürzt. Früher konnten wir beinahe 40 Stunden pro Kurs anbieten, heute sind es nur noch knapp 25 Stunden die vom Land finanziert werden. Hier werden die Prioritäten oft noch falsch gesetzt".
Solange jedoch kein Umdenken in der Politik stattfinde, hat der rappende Sozialarbeiter Benjamin Bohnert einen Tipp an alle Eltern:

"Schaltet mal das Wlan für feste Zeiten in der Woche zu Hause aus und setzt euch mit euren Kindern zusammen. So schafft ihr Momente, die im Gedächtnis bleiben und könnt auch mal ungestört über wichtige Themen diskutieren. "
Auch Inga Klas möchte den besorgten Eltern noch etwas mit auf den Weg geben:

"Habt keine Angst davor, Nein zu sagen. Ich erlebe es häufig, dass sich Eltern aufgrund von Gruppendruck zu Sachen bringen lassen, die außerhalb ihrer Komfortzone liegen. Beispielsweise bei der Frage, in welchem Alter das erste Smartphone angeschafft wird. Ein Nein kann langfristig viel Gutes bewirken."
Vergangene #digiTalks
Der #digiTalk beschäftigt sich meist mit den Großen Themen der Digitalisierung. Künstliche Intelligenz in der Kunst, Virtuelle Realitäten und die eigene Identität im Internet wurden bereits in den vergangenen digitalen Stammtischen diskutiert.