Am vergangenen Freitag, den 01. Juli, startete der Karlsruher #digiTALK im Rahmen der "Nacht der Digitalisierung" in die erste Runde im Jahr 2022.
Im Vortragsaal des ZKM lieferten Journalistin und Kolumnistin Silke Burmester und Sozialpädagoge Mathieu Coquelin, Leiter der Fachstelle für Extremismusdistanzierung am Demokratiezentrum Baden-Württemberg (FEX), jeweils einen Impulsvortrag von zirka 10 Minuten. Anschließend folgte die Diskussionsrunde. Die Moderation übernahm Uwe Gradwohl vom Südwest Rundfunk (SWR).
Die "Kriegsführung" gegen die Frau
Unter dem Namen "Wenn es in der Küche zu heiß wird" referierte Burmester per Videochat über die Art von Hassrede, die darauf abziele, Frauen aus der Öffentlichkeit "fertig zu machen" und "zum Schweigen zu bringen". Sie selbst wurde bereits in der Vergangenheit zur Zielscheibe solcher verbaler Attacken von sogenannten Maskulisten. Eine Gesinnungstruppe von Männern, die zumeist "weiß und über 45 Jahre alt" sind und die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ablehnen.

Diese verfügen über ein ausgeklügeltes System, welches dazu ausgelegt ist, Frauen mit Hasskommentaren zu belästigen. Sogar Bots werden dazu eingesetzt.
"Mir ging es immer darum, diesen Kit, der das Patriarchat zusammenhält, aufzuweichen. Dahingehend, dass die Welt so gestaltet werden kann, dass sie für alle passt, nicht nur für Männer", beginnt Burmester ihren Beitrag im ZKM. Ihre stilistische Waffe: Ihr Humor. Doch der kommt bei vielen Männern nicht gut an. "Ich habe es gewagt, mir selbst das Wort zu erteilen und ungefragt zu sprechen. Dazu bin ich lustig und selbstbewusst, das ist auch eine ganz große Schwierigkeit für viele Männer", führt Burmester weiter fort.

Das Resultat: Die 56-Jährige erhielt Drohungen von den Maskulisten, darunter auch Mordfantasien. Zwar ist das bereits 10 Jahre her, doch Beispiele anderer Journalistinnen, die Burmester in einem kleinen Film-Ausschnitt einer Arte-Dokumentation zeigt, versinnbildlichen, dass das Thema aktueller den je ist. All dies führt Burmester zu der Ansicht, dass hier gezielt ein "Krieg gegen die Frau" geführt werde. "Es wird die Botschaft vermittelt, wage es nicht, oder rechne mit dem Schlimmsten", so Burmester abschließend. "Das macht mit den Frauen was, das geht von Depression bis zu Selbstmordgedanken."
"Warum hassen Menschen, warum hassen Jugendliche?"
Anschließend übernimmt Sozialpädagoge Mathieu Coquelin das Wort. In seinem Vortrag "Feind.Bilder" erzählt der Sozialpädagoge von seinem Projekt "Da.gegen.rede", welches von 2017 bis 2019 mit Jugendlichen durchgeführt wurde. Das Ziel: Über die Gefahren der Netzpropaganda von Extremisten aufzuklären, eine Sensibilisierung der eigenen Sprache erlangen und sich diesem Hass im Internet, der immer auch ein Feindbild braucht, entgegenzustellen. Doch dieses Feindbild ist eben nur ein "Bild", also imaginär, oder anders gesagt: nur eine Konstruktion im Kopf.

"Wir haben uns damit auseinandersetzen wollen, warum hassen Menschen und warum hassen vor allem Jugendliche. Es geht aber auch darum, nicht nur dieses 'gegen' in den Fokus zu rücken, sondern auch füreinander da zu sein", so Coquelin. Auch hinsichtlich der Sprache gebe es bei den Jugendlichen Handlungsbedarf. So sei auffällig, dass ihr abwertendes Vokabular aus Kontexten entnommen wird, der mit homosexuellen oder körperlich eingeschränkten Menschen in Verbindung steht. "Hier muss schon widersprochen und eine Grenze gezogen werden", erklärt Coquelin.
Jedoch ist nicht "die Sprache zu verändern" das Problem, sondern, dass häufig die Bedeutung hinter den gesagten Wörtern nicht bewusst sind.
"Ich kann dir nicht verbieten, dass du zum Beispiel das 'N-Wort' nicht mehr sagen darfst, aber ich kann dir sagen, was mit dem Begriff verbunden ist. Ob du es weiter sagst, ist dir überlassen, aber ich bin gespannt, wie du dich dann positionierst. Man muss einen Reflexionsprozess in Gang bringen", so der Sozialpädagoge. Dem stimmt auch Burmester zu und ergänzt: "Man muss aber auch immer hinterfragen, warum muss ich das jetzt sagen, warum muss ich jetzt so abwertend reden und mich damit überhöhen."
Meldestellen sollen Abhilfe schaffen
Darüber hinaus wurde im Zuge dieses Projektes eine Meldestelle im Demokratiezentrum eingerichtet, an die sich Betroffene von "Hate Speech" wenden konnten. Der Vorteil: Die Stelle kümmert sich darum, dass Hasskommentare aus dem Internet verschwinden und ersparen einem gegebenenfalls den langwierigen Prozess einer Zivilklage. Bis Projektende gingen über eine Million Meldungen ein.

Auch die Journalistin Burmester gibt in der anschließenden Diskussionsrunde zu, dass sie infolge des Shitstorms zu einer solchen Meldestelle gegangen sei. Der Grund: Eine von ihr gestellte Anzeige hatte "zu nichts geführt".
"Es gab mal den 'Hassmelder', denen habe ich mitgeteilt, dass ich auf der Seite Wikimania als feministische Hasspredigern dargestellt werde. Es war ein tolles Gefühl, dass ich nicht wieder selbst eine Anzeige stellen musste, sondern, dass die sich darum kümmern. Allerdings war der Hassmelder ein ehrenamtliches Projekt und die waren irgendwann mit den ganzen Meldungen so überfordert, dass sie dicht machen mussten."
"Hass lässt sich nicht über einen Kamm scheren"
Im Anschluss an Coquelins Vortrag gibt Burmester außerdem zu bedenken, dass Hassnachrichten nicht unbedingt gleich Hassreden sind. Es müsste immer erstmal geschaut werden, wer dahinter stecke. "Jugendliche wollen sich austoben, stellen Autorität infrage und lassen sich vielleicht auch von einer Frau weniger sagen. Aber ich finde, Hass lässt sich da nicht über einen Kamm scheren. Man muss gucken, von welcher Quelle dieser Hass kommt. Das hat bei den Maskulisten einen ganz anderen Grund als bei den Pubertierenden, die zum Beispiel gegenüber Lehrerinnen ausfällig werden. Aber das habe ich früher ebenso gemacht."

Dem stimmt Coquelin insofern zu, da man Jugendliche noch über die Hintergründe ihrer Worte aufklären könnte. "Bei einem Jugendlichen darf ich eine ganz andere Toleranz anlegen, als bei einem Erwachsenen, der aus Überzeugungen aus einem problematischen Weltbild heraus agiert."
Stellt sich aber die Frage, wie könnte Hassrede besser bekämpft werden und was kann ich selbst unternehmen?
Hassrede im Netz: Das kann ich tun
Denn wie an dem Beispiel von Silke Burmester dargestellt, bringen Strafprozesse häufig nicht zum gewünschten Erfolg und brauchen lange. Hier hat die Journalistin einen wichtigen Tipp parat: "Ich habe damals zu lange gewartet, ich würde heute das ganze schneller zur Anzeige bringen. Ansonsten funktioniert Konfrontation ganz gut. Zu sagen ' wo habe ich das gesagt'. Da merken die Leute, oh die gibt es wirklich", so die 56-Jährige.
Coquelin fände es wiederum praktisch, wenn Google beispielsweise Hasskommentare automatisch erkennen und gleichzeitig zur Anzeige bringen würde. Doch hier würden noch die rechtlichen Grundlagen fehlen.
Ansonsten könnten derartige Kommentare auch bei NetzDG gemeldet werden. Die beantragen eine Löschung des Kommentars beim Provider, ohne das eine Schuldfeststellung stattgefunden hat. "Ich denke, den meisten geht es darum, dass eben diese Einträge aus dem Netz verschwinden. Danach kann man aber immer noch entscheiden, ob eine Klage folgen soll", so Coquelin abschließend.
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