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Weit mehr als die Summe: Kante - "Die Tiere sind unruhig"

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Weit mehr als die Summe: Kante - "Die Tiere sind unruhig"

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    Und der nur wenige Tage alte Neuling "Die Tiere sind unruhig" (Labels/EMI) enthält wiedermal wenig Stücke; sieben an der Zahl, doch die sind allesamt gleich wiedermal zwischen sechs und zehn formatradiountaugliche Minuten lang. So ist's recht. Nach dem durchdachten, teils wieder jazzig verblasenen, aber mit "Warmer Abend", "Im Inneren der Stadt" und dem famosem Titeltrack bestückten Vorgänger "Zombi" hielten wir im Atem inne. So klingt Musikgeschichte.

    Der CD-Tipp von Patrick Wurster

    Und jetzt tief Luft holen, denn Kante scheinen etwas abgerückt vom überkandidelten "Diese-Platte-muss-ein-Meisterwerk-für-die-Ewigkeit-werden"-Gedanken, der sich gerade in der Hansestadt möglicherweise einer gewissen Beliebtheit erfreut; und bewegen sich dennoch im deutschsprachigen Bereich weiterhin in ihrer ganz eigenen Liga. Wer kann es sich schon leisten, ein musikalisches Meisterwerk wie "Am Rand der Nacht" einzig auf Vinylsingle mit exklusiver B-Seite zu veröffentlichen? Aber das wissen wir schon seit dem 97er Werk "Zwischen den Orten", das uns neben viel instrumentalem Leerlauf auch den Momente für die Ewigkeit mit Namen "Tourisme" geschenkt hat. Kante gelingen solche Stücke, so scheint's, "Im Vorbeigehen".

    2006 nun bricht man nicht nur mit dem Treppenwitz, dass alle Alben bislang ein "Z" zu Anfang tragen hatten. Es ist Rockattitüde angesagt! Und der neue "Schwedensound" steht den Indie-Musikern nicht schlecht, da denke man nur an den Giganten "Die Summe der einzelnen Teile" zurück. Gemischt hat solch großartig arrangierte, vielschichtige Soundcollagen wie den titelgebenden (ein toller Popsong kurz vorm großen Knall mit New Order-ähnlichen Gitarrenharmonien gen Ende) oder auch das chicago-jazzige "Die größte Party der Geschichte" (hier werden die Herren Musiker vors Weltgericht geladen, aber man kommt zu spät, "weil die Wegbeschreibung scheiße war") nämlich Schwede Michael Ilbert, der sonst Bands wie die Kaiser Chiefs, The Hives oder The Hellacopters (ka-news berichtete) produziert.

    Da schwingt denn dann auch mit einem Male so ein Hauch Queens Of The Stoneage (ka-news berichtete) mit bei "Ich hab's gesehen" (Herrn Thiessens Horrorvision mit Blick mitten hinein ins Herz der Finsternis) und "Nichts geht verloren"; ein heißes Stück Sex, aber gepflegten. Man nimmt sich Zeit fürs Vorspiel und wartet bis auch der Partner vor Genuss aufschreit und (zum Ende) kommt. Kante paaren dazu ihre schabenden Stoner-Gitarren mit hymnischen Streicherwänden - ein episches Klangerlebnis! Dann der Stilbruch bei "Ducks And Daws"; jetzt wird's wieder zutiefst jazzig samt 70er-Jahre-Filmmusik-Anleihen. Ein Track, der mit Bläsern, Bongos und Piano noch am ehesten an ihre frühen Tage erinnert. Auch das sind Kante, waren sie schon immer. Doch "Die Hitze dauert an", tröstende Versöhnung am Ende.

    Ja, sie haben es einfach immer mal wieder, dann aber hallo; dieses Gespür für entwaffnend schöne Melodien, versteckt in Liedern, die man nur noch als Kompositionen betiteln sollte. Und wie scheinbar leicht es Peter Thiessen (Gesang, Gitarre), Felix Müller (Gitarre und neuerdings sogar Rap!), Sebastian Vogel (Schlagzeug), Thomas Leboeg (Tasten) und dem Neuen am Bass, Florian Dürrmann, doch zu jeder Zeit fällt, mit ihrer Lyrik Bilder vor das geistige Auge des Hörers zu projizieren. Dabei sind sie so unruhig, nervös, fleckig und monströs wie in ihren Songs besungen; so wirr, stark, sensibel, elektrisierend und tiefgründig zugleich, wie es sonst hierzuland nurmehr den Grand Hotel van Cleef-Formationen um die Vorzeigetruppen Tomte (ka-news berichtete) und Kettcar (ka-news berichtete) attestiert werden kann.

    Eines sind sie jedoch im Gegensatz zu den beiden genannten Hamburger Formationen gar nicht selten definitiv auch: ein wenig "Zweilicht"ig nämlich, textlich verkopft und musikalisch zutiefst avantgardistisch. Denn sie leben von einem Glauben, der unserer Gegenwart vorauseilt. Ob sie die Zukunft wieder in ihre poppige "Zombi"-Welt zurückführt? Ist das vorliegende Stück Musik am Ende nur eine Interimsplatte? Jedenfalls setzen Kante mit "Die Tiere sind unruhig" Maßstäbe, nicht nur bezogen auf ihr eigenes Schaffen. Dieses Album ist weit mehr als die Summe der bisherigen drei Teile. "Ein Sturm ist im Kommen, es könnte jeden Moment passieren." Ganz ohne Zweifel - er ist längst da.

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