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Aus-, Um- oder Stilbruch?: Götz Widmann - "Habt euch lieb"

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Aus-, Um- oder Stilbruch?: Götz Widmann - "Habt euch lieb"

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    Schon auf seinem Vorgängeralbum "Zeit" (ka-news berichtete) sind die leisen Zwischentöne lauter geworden, sowohl die textlichen und erst recht die musikalischen; die Songstrukturen rafinnierter, das Gitarrenspiel filigraner, weniger vorausschaubar und die Texte nachdenklicher. Nun hat der Liedermaching-Rebell von einst den gewohnten Stil zumindest vorübergehend grundrevolutioniert, singt viel vom Alleinsein und sucht die Gruppe: Nach langen Jahren als Einmannuniversum hat er mit "Habt euch lieb" (Ahuga/Alive) eine komplette Bandproduktion eingespielt.

    Der CD-Tipp von Patrick Wurster

    Eine ungekannte Dichte schafft das 14-köpfige Kollektiv um Widmanns vertraut eindringliches Organ und seine Nylongitarre; dabei zugleich so neu, so anders, so gewöhnungsbedürftig, so passend und so unangemessen klingt es, wenn neben in Szenekreisen bestens bekannten Musiker-Kollegen wie Heinz Ratz und Pensen aka Strom & Wasser, Rüdiger Bierhorst (ka-news berichtete) oder Janina (ka-news berichtete) auch noch Flügel, Flöte, Geige, Percussion (Jesse Günther von den Busters) und JBO-Gitarrist Veit Kutzer zum Einsatz kommen. Klassische Liedermacher-Mucke? Diesmal eher nicht.

    Mit einem überwiegend warmen, ausgeklügelten Schmuse-Sound, dem man die Liebe zum Detail anhören kann, zollt Widmann Größen wie Cohen, Dylan oder Reiser Hochachtung. Entgegen seiner Ankündigung im ka-news-Interview (ka-news berichtete) es würde auf dem "Zeit"-Nachfolger wieder rockiger werden, ist's musikalisch noch verspielter geraten. Der denkende Mensch - und zu denen ist ein Götz Widmann ohne Umschweife hinzuzurechnen - ändert nun mal seine Meinung von Zeit zu Zeit.

    Der "Erguss von meinem Schwanz" war von seinen Konzerten seit geraumer Zeit bekannt, steht aber stellvertretend für eine auf Dauer beinahe schon übertrieben lieblich säuselnde Platte in Dur. Seine Sprache besitzt dagegen dieselbe ehrlich-sympathische unverkrampfte Direktheit wie eh und je: Welch herrlicher Gedankengang beim "Badmülleimer" - die Ex zu vergessen, indem man sich all die dort versammelten Ekelhaftigkeiten vor Augen führt!

    Ebenso im Song von den "Kamikazefraun" - so viel Wahrheit drin ("durchgeknallt, gestört, psychotisch, alles andre find ich unerotisch - total verrückt, ich will wissen wie die fickt"), da ist schlicht kein Platz mehr für übertrieben ambitionierte Instrumentierung. Wie's auch klingen kann in Begleitung zeigt "Meine nächste große Liebe" - ein sehr leises Lied, aber richtig groß in Bild und Ton! Den Bogen überspannt er am Ende dann doch noch: Das "Kosmische Kind" ist doch eher ein komisches und passt mit seiner Lagerfeuerromantik vielleicht noch auf auf ein CVJM-Zeltlager, aber nicht auf 'ne Götz Widmann-Platte.

    Bei so viel süßlicher Harmonie (und stellenweise bitterer Melancholie) sind die beiden stilistischen Abweichler auf "Habt euch lieb" denn auch dringend nötig, um wenigstens für ein kleines bisschen Dynamik zu sorgen: Das sampleverzierte, sich stoisch hocharbeitende "Zivilisation" klingt tatsächlich wie der Soundtrack einer rastlosen High-Tech-Gesellschaft, getragen von seiner inneren Unruhe, immer kurz vorm Überschwappen, bricht aber doch nie endgültig aus. Der andere Widerpart hat ausnahmsweise die Stromgitarre umgeschnallt: "Nüchtern werden auf der Bühne". Der "Weedman" besingt einen verkaterten Auftritt, reflektiert dabei mit geradezu entwaffnender Offenheit eigenes Künstlerdasein und sprichwörtliche Vergötzung durch die Fans ("der ganze blöde Kult ist meine eigne Schuld").

    Aus-, Um- oder gar Stilbruch? Die Diskussionen ums Kollektiv sind auf Widmanns Website längst in vollem Gang. Halblang. Denn Liedermacher sein dagegen sehr. Es ist nur legitim für einen etablierten Künstler, sich das Recht herauszunehmen, auch mal etwas völlig anderes als das von jedermann Erwartete abzuliefern. Habt euch lieb. Und ihn ebenso ihr Puristen und Bewahrer. Er wird's auch euch sicher wieder danken. Spätestens auf der nächsten Platte.

    Ganz Götz gibt's nach wie vor und zwar live. Auf seinem Tourplan stehen im Januar gleich vier Termine in der Region: Am 12. spielt Widmann in der Alten Feuerwache Mannheim, am 16. und 17. einen weiteren Karlsruher Doppelgig im Jubez - präsentiert von ka-news - und auch Stuttgart darf sich Tags drauf auf ein Konzert in der Röhre freuen.

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