So wie es ist, kann es für Werner nicht bleiben, denn im Produktionsprozess werden immer weniger Menschen gebraucht. Trotzdem ist das Einkommen nach wie vor an die Arbeitsleistung gebunden, und das muss sich ändern, wenn uns Maschinen den Großteil der Arbeit abnehmen. Dafür ist aber auch ein Paradigmenwechsel im Menschenbild notwendig: weg von Kontrolle und Anreizsystemen hin zu Vertrauen und mehr (Eigen-)Initiative.
ka-news: Sie sagen, wir bewegen uns hin zur Individualität. Also jeder Einzelne soll sich selbst entfalten.
Werner: Will sich selbst entfalten!
ka-news: Nicht jeder kann mit dieser Freiheit umgehen. Muss eine Gesellschaft Einzelnen nicht die Möglichkeit lassen, nicht in sich hineinschauen zu müssen, wenn sie nicht wollen?
Werner: Ja, gibt es ja genügend. Es geht immer nur darum, die potenziellen Möglichkeiten zu eröffnen. Auch wir haben bei uns viele Mitarbeiter, die gerne schauen, was der Vorgesetzte macht. Aber wenn man alles weisungsgebunden aufbaut, auf Drill, Angepasstheit, Opportunismus und so weiter, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass sich Menschen auch so verhalten. Wir müssen - das ist auch unser Bemühen bei dm - Aufgaben vergeben und Arbeitsplätze schaffen, die dem Einzelnen andere Möglichkeiten geben. Und ich muss sagen, die Resultate sind immer wieder überraschend. Da ist viel mehr möglich, als die meisten denken. Das steckt in den Menschen schon drin. Und viele sagen dann: Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich das früher anders machen konnte.
ka-news:
Wenn dieses System, dieses neue Menschenbild im Großen funktioniert, ist es denkbar, dass es im Kleinen heute schon funktioniert?
Werner: Na ja, es gibt natürlich gewisse Dinge, die man tun kann. Wenn ich zum Beispiel sage: dm Drogeriemarkt hat noch nie leistungsbezogene Vergütung ausgelobt. Aber wenn es zu einer gesellschaftlichen Rahmenbedingung werden soll, dann kommt man natürlich auf die normative Ebene - und das Grundeinkommen ist eine normative Frage. Es ist eine Frage, ob wir das wollen. Das ist kein Problem der Wirtschaftswissenschaften. Es kommt darauf an, ob wir sagen: Wir wollen jedem Menschen diesen Grundfreiraum ermöglichen, schon allein um unter den Menschen das Gleichheitsprinzip zu verwirklichen, um Menschen dialogfähig zu machen. Eine Insellösung, in der man das ausprobieren kann, ehe man das auf den ganzen Staat überträgt? Stellen Sie sich mal vor, wir würden das in Karlsruhe machen. Das würde unsere Bevölkerungserosion schlagartig verändern. Man kann natürlich kleine Kommunen bilden, aber die funktionieren nur deswegen, weil es drum herum so bleibt wie es war. Nein, das kann man ebenso wenig machen, wie wenn man den Straßenverkehr von rechts auf links umstellt und bei den Lkw anfängt.
ka-news: Bei der Umsetzung ist auch die Politik gefordert, welche die entsprechenden Schritte steuert oder einleitet. Wie sehen Sie die Umsetzbarkeit?
Werner: Schauen Sie sich ein Unternehmen an. Da haben wir es mit zwei Qualitäten zu tun: Das eine ist der Entrepreneur, der Unternehmer, und das andere ist der Manager. Der Manager sorgt dafür, dass es klappt, und der Entrepreneur sagt, wo es lang geht. Die Politik ist die Kunst des Machbaren, hat mal ein berühmter Staatsmann gesagt. Das ist also die Rolle des Managements. Die Engländer haben dieses wunderschöne Wortspiel: "To Do The Things Right" und "To Do The Right Things". Die Politik, das ist "To Do The Things Right", sozusagen nach Gesetzeslage. Und jetzt kann man fragen: Wo ist das Element "To Do The Right Things"? Das sind die Bürger und die Wissenschaft. Erwarten Sie so etwas nicht von der Politik. Wir, jeder Einzelne, sind der Souverän. Die Politiker sind die von uns beauftragten Auszuführenden.
Das "bedingungslose Grundeinkommen" existiert momentan auf der Ideenebene. Die Politiker werden einmal ein Programm daraus machen. Es wird nicht lange dauern, dann wird die erste Partei entdecken, dass man damit Wählerstimmen gewinnen kann. Aber die entdecken das erst, wenn sie plötzlich feststellen, es gibt viele Menschen, die so denken. Der Politiker ist wie ein Segler: Der gute Segler spürt vorher, wenn der Wind dreht, nicht erst wenn das Segel anfängt zu flattern. Das ist das Gespür des Politikers. Um die Politiker mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Die kommen von ganz alleine. Sorgen mache ich mir, ob genügend Menschen bereit sind, das aufzunehmen.
ka-news: Sie werben aktiv für Ihr Konzept des "bedingungslosen Grundeinkommens". Wie ist die Akzeptanz? Auf welche Reaktionen stoßen Sie?
Werner: Ich lese Ihnen da mal ein Zitat vor, von jemandem, der mir mal geschrieben hat. Er schreibt: "... neige ich eher zum US-amerikanischen Modell". Jetzt passen Sie auf: "Der deutsche Staat, als exzellenter Arbeitgeber für die Arbeitslosen, muss - nach meiner These - ein Drittel der Arbeitslosen, die nur das System knacken, aussortieren und über harte Strafen und Bußen zum Arbeiten vergattern." Es handelt sich übrigens um einen sehr anerkannten Menschen. Also solche Meinungen gibt es auch. Viele sind im alten Denken gefangen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. "Ändert Euren Sinn!" - das muss stattfinden.
ka-news: Und deswegen schalten Sie Anzeigen?
Werner: Das haben wir einmal gemacht (ka-news berichtete), weil es gepasst hat. Das war so eine Idee morgens auf dem Fahrweg von der Schule hierher im Auto. Da hab ich gedacht: "Mensch, das wäre doch was." Heute ist ja das Schlimme mit dem Autotelefon, dass man gleich tätig werden kann. Aber in dem Fall war es nicht schlecht. Wir haben die Kampagne geschaltet, einfach um die Sache noch mehr in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Letzten Endes richtet sich das an jeden Einzelnen. Jeder Einzelne ist heute der Souverän. Es ist ja nicht so, dass der Staat die Regeln macht und wir wollen sie alle nicht.
ka-news:
Wir müssten also das Grundeinkommen zuerst wollen und dann langsam umsetzen.
Werner: Stellen Sie sich jetzt einmal den Endzustand vor: Wir hätten nur noch die Mehrwertsteuer. Mit der Mehrwertsteuer wird der gesamte Wertschöpfungsprozess besteuert. Das heißt auch die Maschinenarbeit wird besteuert, und die Arbeit wird entlastet. Ich mach' das mal an einem Beispiel deutlich: Als ich zehn Jahre alt war und zum Friseur gegangen bin, kostete der Haarschnitt 80 Pfennig. Also 40 Cent. Wenn heute mein Sohn, der ist auch zehn Jahre alt, zum Friseur geht, kostet das 15 Euro. Als ich damals eine Glühbirne gekauft habe, hat die 4,50 Mark gekostet. Also 2,25 Euro. Wenn ich heute eine Glühbirne kaufe, dann kostet die zirka 65 Cent und hält dreimal länger. Beim Friseur ist freilich die Maschinenarbeit und die Produktivitätsentwicklung begrenzt. Aber die Herstellung der Glühbirne ist heute wahrscheinlich vollautomatisch. Heute wird die Friseurarbeit als Wertschöpfungsgeschehen viel höher besteuert als das Herstellen einer Glühbirne. Wird nur die Mehrwertsteuer erhoben, wird der Friseur enorm entlastet und die Glühbirnen-Herstellung wird dadurch viel stärker belastet. Das können Sie nicht von heute auf morgen verändern.
ka-news: Was bedeutet das für unsere Exportwirtschaft?
Werner: Anderes Beispiel: Einkommenssteuer heißt ja, dass wir unsere Sozialstandards exportieren. Wenn wir beispielsweise eine Brille in Deutschland bei 50 Prozent Staatsquote produzieren, dann ist der Preis der Brille - sagen wir mal - 100 Euro und zu diesem Preis geht sie in den Export. Wenn wir nur die Mehrwertsteuer hätten, dann würde die Brille auf dem inländischen Markt auch 100 Euro kosten, aber die Hälfte davon wären Mehrwertsteuer, nämlich die Staatsquote. Die Brille könnte ich für 50 Euro exportieren, das heißt die Mehrwertsteuer verbilligt unsere Exporte. Die Brille in China hergestellt, kostet wahrscheinlich mehr als in Deutschland, denn Sie können nirgends so produktiv produzieren wie hier. Sagen wir, die Brille kostet dann in China 60 Euro mit Transport nach Deutschland. Mit der alten Besteuerung würde sie hier dann 70 Euro kosten, 30 Prozent billiger als die hier hergestellte Brille. Hätten wir nur Mehrwertsteuer, käme die Brille für 70 Euro ins Land und bei 100 Prozent Mehrwertsteuer würde die chinesische Brille 140 Euro kosten. Dann würden endlich die Exporte nicht mehr belastet und die Importe richtig besteuert. Von heute auf morgen umgesetzt, würde das natürlich zu einer kleinen Katastrophe führen. So etwas muss schrittweise passieren.
Bei gleicher Staatsquote wäre die Mehrwertsteuer dann bei 100 Prozent (Foto: ka-news) |
ka-news:
Sie sehen eine Mehrwertsteuer von 100 Prozent als realistisch an?
Werner: Wenn wir von der heutigen Staatsquote ausgehen, dann wären es etwa 100 Prozent. Heute haben wir 50 Prozent Staatsquote und jede Steuer landet in den Preisen. Ob einem das passt oder nicht.
ka-news: Wie sind Sie zu dieser Idee des "bedingungslosen Grundeinkommens" gekommen?
Werner: Anfang der 80er Jahre wurde mir in Gesprächen mit Freunden und Bekannten das klar. Wir haben schon 1989 den ersten Konsumsteuerkongress in Heidelberg finanziert. Und bei der Beschäftigung mit der Konsumsteuer ist mir dann die Gerechtigkeitsfrage gekommen: Wenn alles Mehrwertsteuer wäre, wo bliebe dann der Steuerfreibetrag? Und dann sagte ich mir: Wenn der Steuerfreibetrag fehlt, dann müssten die Menschen eine Mehrwertsteuer-Rückvergütung bekommen. Ich zahle ja dann überall die Mehrwertsteuer und die soziale Komponente wird dadurch gegeben, dass man die Mehrwertsteuer in Höhe der Grundbedürfnisse rückvergütet bekommt. Und so bin ich auf das Grundeinkommen gekommen und dann eben auf das "bedingungslose Grundeinkommen".
In der Wissenschaft wird es schon lange besprochen. Es braucht ja immer einen unheimlich langen Anlauf, bis man sozusagen die Schulweisheit überwunden hat. Sie finden auf unserer Website einen Text Erich Fromms von 1966 und Rudolf Steiner hat ja schon 1919 darüber gesprochen. Auch bei Ludwig Erhard werden Sie die Ansätze des Grundeinkommens finden. Und wir haben es heute auch schon. Es ist ja nicht so, dass wir jemanden, der nicht am Arbeitsprozess teilnimmt, in der Gosse verrecken lassen. Deswegen werden auch nicht die Menschen eingespart, es werden bloß die Arbeitsplätze wegrationalisiert durch Anwendung von Geist auf Arbeit. Stellen Sie sich mal vor, alle Obdachlosen bekämen plötzlich Grundeinkommen. Sie wären damit zumindest erst einmal aus der Opferrolle draußen. Oder denken Sie an Mobbing. Viele Menschen sagen doch: "An meinem Arbeitsplatz ist es unerträglich, aber ich bin auf das Einkommen angewiesen." Viele psychische Erkrankungen hängen mit solchen Zwangssituationen zusammen.
ka-news: Und wie könnte das neue Bild der Gesellschaft schließlich aussehen?
Werner: Die Befreiung von der erzwungenen Lohnarbeit könnte in jedem Einzelnen kreative Kräfte freisetzen. Die Menschen würden den Sinn in ihrer Arbeit wieder entdecken. Wir hätten es mit einem neuen Begriff von Arbeit zu tun. Und im Unternehmenssektor wäre ein Arbeitsplatz- und Investitionsparadies die Folge. Keine Einkommenssteuer mehr bedeutet, wir hätten ein Investitionsparadies, wir würden sozusagen die Arbeit subventionieren. Heute subventionieren wir durch degressive Abschreibung die Maschinen, in Zukunft hätten wir die Subventionierung der Menschenarbeit.
Lesen Sie am morgigen Samstag (ka-news berichtete), was die Politik zu Götz Werners Idee des "bedingungslosen Grundeinkommens" sagt. ka-news hat sich bei den Bundestagsabgeordneten aus dem Stadt- und Landkreis Karlsruhe umgehört.