Wer das Krankenhausbett hütet, der vertraut dem Personal vielleicht nicht gleich sein Leben, aber zumindest seine Gesundheit an. Ein Vertrauen, das im Angesicht der vielen Mangelerscheinungen, die auf das Gesundheitswesen schlagen, nicht immer erfüllt werden kann.
K.I. - Die Zukunft des Gesundheitssystems?
Defizite an Personal, finanziellen Mitteln oder Materialien würde den jeweiligen Pflegern immer häufiger die Zeit verwehren, ausnahmslos jedem Patienten die angemessene Sorgfalt entgegenzubringen. Ein Problem, das so schnell wie möglich einer angemessenen Lösung bedarf, findet Lukas Kohout, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungszentrums für Informatik (FZI) in Karlsruhe.

Und eine mögliche Lösung für die Probleme in der Pflege liege in der Künstlichen Intelligenz, erklärt er während des Tages der offenen Tür des FZI am 16. Februar: "Die große Stärke der K.I. ist sie letztendlich in großen Datenmengen Muster erkennen kann. Und das sehr viel präziser als der Mensch. So kann das medizinische Personal in kleinen wie in großen Dimensionen entlastet werden."
"Die Daten müssen erst einmal da sein - ohne den Datenschutz zu verletzen"
Für eine funktionierende Integration der K.I. müssten allerdings noch mehrere Problemstellungen überwunden werden. "Damit Daten ausgewertet werden können, müssen sie erst einmal da sein. Um etwa eine Krebstherapie zuverlässig durch K.I. unterstützen und sichern zu können, brauchen wir die Daten von sehr, sehr vielen Krebsverläufen - und dabei müssten wir auch den konkreten Lebensstil eines Patienten berücksichtigen", sagt Kohout.
Genau dort beginne eine weitere Hürde, die den Fortschritt im Bereich künstlicher Intelligenz bisweilen zurückhält. Und das aus gutem Grund, wie der Experte weiter anführt: "Wir müssten eine K.I. mit sehr vielen Daten trainieren. Daten, die stark ins Persönlichkeitsrecht gehen, können wir sie nicht so ohne Weiteres erheben können. Vieles muss da erst mit dem Gesetzgeber geklärt werden", erklärt er.
K.I. als Dokumentierungshilfe - und Gedächtnisstütze
Im großen Stil wird in den Krankenhäusern der Bundesrepublik wohl einstweilig nicht mit K.I. gearbeitet werden, zumindest nicht, bevor die Datenschutzgesetze daran angepasst werden. Wohl aber sei es schon jetzt möglich, K.I.-Projekte zu entwickeln, die das medizinische Personal von langwierigen Pflichten befreit und ihnen ein größeres Zeitfenster ermöglicht.
"Wir denken dabei vor allem an die Dokumentierungen im medizinischen Bereich", sagt Kohout dazu. "Ärzte verbringen den uns vorliegenden Schätzungen nach fast ein Drittel ihrer Arbeitszeit damit, sie zu dokumentieren. Die Dauer einer OP, ihr Beginn und Ende, was sie an wen verschrieben haben und so weiter, all das könnte schon heute durch K.I. automatisiert werden, sodass die Mediziner mehr Zeit zur Verfügung hätten und sich besser und fehlerfreier um Patienten kümmern könnten."
Ebenso gewichtig sei eine Hilfestellung für Pflegekräfte. Eines der Hauptprojekte, das Kohout betreut, liege darin, ihnen eine trivial wirkende Aufgabe zu erleichtern, an der dennoch die Gesundheit ihrer Patienten hängt.
IDial - Virtuelle Realität beim Pillen sortieren
"Beispielsweise müssen Pflegekräfte regelmäßig Pillen für ihre Patienten sortieren, sodass sie zu den richtigen Tageszeiten in der richtigen Dosis eingenommen werden können", sagt Kohout.
"Das ist eine leider fehleranfällige Aufgabe, auch wenn es kaum konkrete Zahlen bekommen konnten, wie viele Fehler bei der Pillenvergabe im tatsächlichen Krankenhausbetrieb vorkommen." Auch das Städtische Klinikum kann auf Anfrage von ka-news.de keine spezifischen Daten liefern.

"Hier kommt aber unser Projekt IDial ins Spiel. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, ein Programm für eine Virtual-Reality-Brille zu schreiben, die die Pflegekräfte beim Pillensortieren tragen können", erklärt er. Dieses Projekt leite Kohout gemeinsam mit seinem Kollegen Jens Juhl, und könne schon erste Erfolge vorweisen.
"Die Fehlerquote sank um 60 Prozent"
"Mittels einer Kamera an der Virtual-Reality-Brille kann unser Programm der jeweiligen Pflegekraft alle wichtigen Daten zum jeweiligen Patienten anzeigen und kann in Echtzeit wahrnehmen, welche Pille in welches Gefach gehört. Sollte eine Pille falsch sortiert werden, erkennt unsere K.I. und vor den Augen der Pflegekraft blinkt ein Warnhinweis auf", sagt Juhl.

"Wir haben bei den Tests eng mit dem Städtischen Klinikum, mit der Charité in Pforzheim, mit der Uniklinik Heidelberg und verschiedenen Pflegeheimen zusammengearbeitet", erklärt er weiter. "Einige Pfleger haben das System durch, wobei wir eigene Fehlerquoten aufstellen konnten. Gemeinsam mit der Virtual-Reality-Brille sank die Fehlerquote beim Pillensortieren um nicht weniger als 60 Prozent."
Vorteile, aber auch Nachteile einer virtuellen Realität
Falsche Pilleneinnahme könnte je nach Patient natürlich weitreichende Konsequenzen haben. Daher sei eine derartige Senkung der Fehlerquote von unschätzbarem Wert. "Deshalb werden wir das Projekt weiterverfolgen und die K.I. stetig entwickeln", erklärt Juhl. "Zum Beispiel soll sie Daten selbstständig erzeugen und sortieren, sollen Wundgewebe und sichtbare Krankheitsbilder erkennen und Daten an verschiedene Fachbereiche übermitteln."

Das habe zum Vorteil, dass auch Pflegekräfte weniger von der bürokratischen Seite ihres Berufs vereinnahmt werden würden, weniger Zettelwirtschaft zu verwalten hätten und weniger anfällig für zeitdruckbedingte Fehlerquellen. "Völlig rund läuft das Projekt aber auch nicht", räumt Juhl ein. "Viele unserer Testpersonen haben die Virtual-Reality-Brille als störend und zu sperrig empfunden", räumt Juhl ein.
Alternativ: Leinwand statt Brille
Aber auch das bringe den Erfindergeist der FZI-Entwickler nicht an seine Grenzen. "Dafür haben wir eine ziemlich simple Lösung: Statt mit einer Virtual-Reality-Brille wird das Kamerasystem einfach mit einem Beamer verbunden, der die wichtigen Informationen für die Pflegekräfte auf eine Leinwand projiziert", erklärt der Forscher weiter.

Die Effizienz mit der das System dann arbeitet, sei dieselbe, nur dass man nicht mehr auf die recht schwere Brille angewiesen sei, um das Sichtfeld mit einer zusätzlichen Dimension an Daten auszustatten. "Dank Förderung des Landes Baden-Württemberg können wir das Konzept auch immer weiterentwickeln", sagt Kohout dazu. "Die 2.500 Euro für die Brille oder die 1.000 Euro für die Leinwand konnten wir mit dieser Unterstützung finanzieren."
"In vier bis fünf Jahren könnte es gang und gäbe sein"
Staatliche Förderung alleine allerdings, löse nicht alle Probleme, die den Werdegang des Projektes "IDial" säumen. "Wir wollen natürlich so nahe wie möglich an der Arbeitsrealität der Pflege entwickeln und beziehen ihre Mitarbeiter deshalb immer mit ein", sagt Juhl dazu. "Allerdings nehmen sich nur wenige Pflegekräfte nach ihren oft erschöpfenden Schichten noch die Zeit, sich an unseren Projekten zu beteiligen - was wir völlig verstehen können."

Entsprechend könne es noch einige Zeit dauern, bis das Projekt "IDial" seine Serienreife erreicht hat. "Wir tippen auf vier bis fünf Jahre, bis wir so weit sind", erklärt Kohout abschließend. "Bis dahin könnten Verfahren wie diese im medizinischen Sektor gang und gäbe sein."
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