Die 25 Nachfahren kommen von überall – aus den USA, England, der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland. Organisiert hat das Ganze Heidemarie Leins, Ortsrätin aus Bretten, die Informationen von den Familien sammelt und an den Künstler Gunter Demnig weitergibt. Leins ist auch für die Organisation der Veranstaltungen zuständig.

Schülerprojekt im Kant-Gymnasium

Parallel dazu setzt sich Dirk Lundberg, Lehrer am Kant-Gymnasium, dafür ein, dass seine Schüler und Schülerinnen die Geschichten dieser Opfer im Dritten Reich kennenlernen. 

Monatelang recherchieren die Schüler im Rahmen eines Projektes mit Unterstützung des Stadtarchivs und außerhalb des Unterrichts über die Opfer und insbesondere die Geschichte von Karl Baer – einen ehemaligen Schüler des Kant-Gymnasiums, der 1942 in Ausschwitz ermordet wurde.

Dirk Lundberg vom Kantgymnasium und Yves-Andre Bara von der Jüdischen Kultusgemeinde
Dirk Lundberg vom Kantgymnasium und Yves-Andre Bara von der Jüdischen Kultusgemeinde | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

"Der Sinn des Projektes ist es, Empathie mit den Opfern zu entwickeln", erklärt Lundberg. Finanziert werden die Stolpersteine und die Verlegung von der Volkswohnung GmbH in Karlsruhe.

Begrüßung durch OB Frank Mentrup

Oberbürgermeister Frank Mentrup begrüßte alle Gäste und Nachfahren der Opfer. "Diese Personen haben keinen Platz gehabt", sagte er. "Die nachfolgenden Generationen haben sich bereit erklärt, zurück zu fahren und die Stolpersteine zu legen, damit die Betroffenen nicht vergessen werden. Mit den Stolpersteinen bleiben die Menschen im Gedächtnis und im Bild der Stadt. Gleichzeitig wird hier eine Mahnung ausgesprochen – jeder in der Gesellschaft hat das Recht zu leben und Teil der Gesellschaft zu bleiben."

OB Mentrup beim Empfang im Rathaus.
OB Mentrup beim Empfang im Rathaus. | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

Mentrup hofft, dass die Nachfahren die Tage in Karlsruhe benutzen werden, um die Stadt kennen zu lernen. "Es freut mich, dass wir diese 10 Karlsruher wieder in die Stadt holen können", sagte er abschließend.

Auch Dr. Yves-André Bara von der Jüdischen Kultusgemeinde dankte allen, die den Weg nach Karlsruhe gefunden hatten.

Urgroßneffe bringt die ganze Familie zusammen

Urgroßneffe George Stewart-Lockhart wohnt in Berlin. Er initiierte das Zusammenkommen der großen Familie aus England, den Niederlanden und der Schweiz. Seine jüdischen Vorfahren Karl und Rosa Baer, zusammen mit Karls Mutter Mina Baer, wurden 1942 nach Gurs bzw. Ausschwitz deportiert. Die Schwester Anna Baer war seit 1905 in der psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch und wurde 1940 im Rahmen der T4-Aktion in Grafeneck ermordet.

George Stewart Lockhart, Verwandte von der Familie Baer.
George Stewart Lockhart, Verwandter der Familie Baer.

Ursprünglich aus Weingarten gründete Karl Baer nach dem Ersten Weltkrieg eine Tabakhandlung in der Herrenstraße. Karl und seine Frau Rosa versorgten Karls Mutter Mina. Durch die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik wurde jedoch das Geschäft 1938 zur Liquidation gezwungen und vier Jahre später wurde das Ehepaar zusammen mit Mina Baer, damals 83, deportiert und ermordet.

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Nachfahren Jane und Clive Stewart-Lockhart aus England erzählten, das Karl Baer vor dem Ersten Weltkrieg nach England umgezogen war. Während des Kriegs wurde er – wie alle Deutsche damals in England – inhaftiert. Nach dem Krieg ging er wieder nach Deutschland zurück. Es war aber ein anderes Deutschland als früher.

Die Familie aus Minnesota

Paul Metzger ist mit seiner Frau und seinem Sohn aus Minnesota, USA, angereist. Seine Großtante Elsa Geiger ist 1883 in Karlsruhe geboren und wohnte in der Kronenstraße. Sie besuchte das Badische Konservatorium und arbeitete als Schauspielerin unter anderem im Elsass, in Österreich und der Schweiz.

Familie Metzger aus USA, Verwandte von Elsa Geiger.
Familie Metzger aus den USA, Verwandte von Elsa Geiger. | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

1910 kam sie nach Karlsruhe zurück und heiratete Albert Geiger, der 1915 gestorben ist. Elsa verdiente ihren Lebensunterhalt mit Schauspielunterricht, Malen und Mieteinnahmen. 1940 jedoch befand sich Elsa unter den nach Gurs deportierten Jüdinnen und Juden – von dort aus wurde sie im August 1942 nach Ausschwitz gebracht und ermordet.

Die Tante kommt in KZ um

Tessa Brackett aus England ist mit ihrem Mann Greg aus den USA angereist. Tessa ist die Nichte von Annelotte Weil, die 1921 in einer jüdischen Familie in Karlsruhe als Älteste von drei Kindern geboren ist. Das Geschäft ihres Vaters Nathan geriet vermutlich durch die Wirtschaftskrise 1931 in Konkurs und Nathan ging es selber schlecht, da er vom Ersten Weltkrieg kriegsbeschädigt zurückkehrte. Er starb 1937 und die Familie befand sich in großer Not.

Auf dem Marktplatz, alle Gäste und Verwandten der Opfer.
Auf dem Marktplatz sind alle Gäste und Verwandten der Opfer. | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

Annas Mutter Irene flüchtete in die USA und schaffte es, ihren Sohn Leopold mit einem Kindertransport nach England zu schicken. Leider war die 18-jährige Annelotte auf sich allein gestellt – sie überlebte eine Zeitlang als Hausgehilfin, wurde aber 1941 nach Riga deportiert und ermordet.

Haus wurde "arisiert"

Für Moritz und Jenny Emmerich sind keine Nachfahren anwesend. Das jüdische Ehepaar lebte seit 1917 in Karlsruhe. Moritz war Soldat im Ersten Weltkrieg und kehrte kriegsversehrt zurück – er konnte seinen Beruf nicht mehr ausüben. Jenny musste für die Familie sorgen und öffnete ein Hutgeschäft in der Kaiserstraße. Das Geschäft lief gut.

 

Alle Gäste und Verwandten im Rathaus.
Alle Gäste und Verwandten im Rathaus. | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

Der Geschäftsumsatz ging jedoch 1936 stark zurück und Jenny war gezwungen, alles zu verkaufen, erwarb aber dafür ein neues Haus in der Nelkenstraße. Nachdem dieses Haus "arisiert" wurde, sind die Emmerichs gezwungen, in ein sogenanntes Judenhaus zu ziehen. Im Oktober 1940 wurden sie nach Gurs deportiert, wo Moritz starb. Jenny wurde 1942 nach Ausschwitz verbracht und ermordet.

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Ihr Sohn Kurt überlebte und wurde zuerst Rechtsanwalt in Karlsruhe. 1935 ging er in die Schweiz und dann 1939 nach England, wo er die "Deutsche theologische Schule" geleitet hat. Nach dem Krieg kehrte er wieder nach Deutschland zurück und wurde zuerst Dozent an der Universität Göttingen, dann später Richter am Landgericht Karlsruhe. Er starb 1976 in Karlsruhe.

Verfolgung von Homosexuellen

Im Dritten Reich wurden auch Homosexuelle verfolgt. Beispielsweise die Brüder Valentin und Max Billmann, die sich beide wegen der Verfolgung durch das NS-Regime Selbstmord gegangen haben. 1936 wurde der 28-jährige Max Billmann vor dem Landgericht Karlsruhe wegen Homosexualität angeklagt und verurteilt.

Stolperstein für Max Billmann
Stolperstein für Max Billmann | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

Bei ihm war bei einer Hausdurchsuchung ein Liebesbrief seines Freunds aus Stuttgart gefunden worden. Dafür musste Max fünf Monate ins Gefängnis. In der Karlsruher Presse wurden sein voller Name und seine Adresse veröffentlicht, und er selbst wurde als Sittlichkeitsverbrecher dargestellt. Der Bruder von Max, der 29-jährige Valentin, auch Homosexueller, stand ebenfalls unter Polizeiüberwachung und erfuhr auch Stigmatisierung durch die Presse.

Verfolgte Homosexuelle bis 2006 nicht gewürdigt

Während Max noch im Gefängnis war brachte sich Valentin im Jahr 1936 um. Nach seiner Entlassung erfuhr Max, dass sein Onkel, auch Homosexueller, ins KZ Mauthausen überführt wurde, wo er starb. Max beging 1937 ebenfalls Selbstmord. Für die beiden Brüder sind keine Nachfahren anwesend.

Jürgen Wenke, vertritt die Gebrüder Billmann.
Jürgen Wenke, vertritt die Gebrüder Billmann. | Bild: Katherine Quinlan-Flatter

Sie werden aber vom Diplom-Psychologen Jürgen Wenke vertreten, der 2006 feststellte, dass verfolgte Homosexuelle aus der NS-Zeit in Deutschland durch Stolpersteine nicht gewürdigt wurden. Seitdem setzt er sich dafür ein, dass die Verfolgungsgeschichten der Homosexuellen im Dritten Reich dokumentiert und dass die betroffenen Personen durch Stolpersteine gewürdigt werden. 

 
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