Im 18. Jahrhundert wird in Karlsruhe noch kräftig gebaut. Dafür braucht man Baustoffe wie Holz und Steine, die aus dem Schwarzwald geholt und über den Landgraben, der 1768 als Steinschiffkanal bis Durlach verlängert wird, in die Stadt transportiert werden. Der Kanal, dessen Verlauf zu dieser Zeit schon festgelegt ist, bleibt lange offen, ohne Überdeckung.
Karlsruhe wächst aber der Landgraben ist im Weg
Gleichzeitig wächst die Stadt und zwar nach einem festen Plan. Über die Jahrzehnte nach der Gründung wächst die Stadt an den Landgraben, Karlsruhes einziges Fließgewässer, heran. Eigentlich möchte man symmetrische Achsen und ein fächerartiges Muster haben, das vom Schloss ausgeht.

Aber der Graben läuft im Gegensatz zum Stadtgrundriss nicht symmetrisch und gibt bestimmte Verläufe vor. An mehreren Stellen müssen die Planer auf Kompromisse eingehen und dem Verlauf des Grabens folgen, anstatt über dem Graben zu bauen oder diesen zu korrigieren. So entstehen an bestimmten Ecken in der Stadt Straßen, die schräg verlaufen, anstatt sich an die Symmetrie des Stadtplans anzupassen.
Sowohl die Steinstraße beim Lidellplatz als auch der kleine und der große Ludwigsplatz haben sozusagen Restflächen – alle weisen ein Dreieck am Landgrabenufer auf. Der Grund dafür wird nur klar, wenn man weiß, wie der darunterliegende Landgraben verläuft.
Auch das Rathaus knickt an einer Ecke
Miriam Kühnel ist Architektin, hat Städtebau und Architektur studiert und hat bereits vor Jahren angefangen, sich mit dem Thema des Landgrabenverlaufs zu beschäftigen. "Der Landgraben ist heute in seinem Verlauf im Stadtgrundriss ablesbar", erklärt sie. "Wenn man am südlichen Ende in der Hebelstraße steht und in Richtung Westen schaut kann man die Landgrabenflucht genau nachvollziehen."

Ganz prominent ist der Verlauf des Landgrabens am Rathaus und in der Hebelstraße zu erkennen. Eigentlich sollten die Gebäude am Marktplatz symmetrisch nebeneinanderstehen und einander gegenüberstehen. Aber wenn man auf den Bauplan schaut, macht das Rathaus hinten auf der rechten Seite einen Knick und die Ecke ist wie abgeschnitten. Hier musste das Gebäude dem Verlauf des Landgrabens folgen.
Vorgärten sitzen direkt auf dem Landgraben
"Auf der Südseite der Durlacher Allee sind die Vorgärten direkt auf dem Landgraben, weil die Häuser nicht darauf stehen durften“, sagt Kühnel. Aus diesem Grund verfügen die Häuser überhaupt über Vorgärten – was auch der Grund dafür ist, dass die Sophienstraße zweispurig angelegt ist.

Nachdem die Überwölbung des Landgrabens 1815 anfängt, war es an manchen Orten schwierig, auf dem Gewölbe zu bauen. "So gibt es manche Stellen, die nicht mit Häusern bebaut sind oder wo der Bau zurückspringt", erläutert die Architektin. Diese Stellen nennt man Lieferhöfe. Man sieht sie beispielsweise in der kleinen Straße hinter dem Karstadt-Gebäude, hinter Schlaile und hinter dem Kammertheater – alles Höfe südlich der Kaiserstraße.

Auch die Lieferhöfe Bankhof, Südlicher Herrenhof und Erbprinzenhof existieren nur, weil es im 19. Jahrhundert problematisch und kostenaufwendig war, den 6 Meter breiten offenen Kanal mit Fundamenten und Gebäuden zu überbauen. Vor der Überwölbung gab es kleine Brücken über den Graben – diese verschwinden natürlich nachdem der Kanal geschlossen wird.
Jeder hat sein eigenes Grundstück für sich gestaltet
Man hat immer bis zur Grenze des Landgrabens gebaut. Die Bürger, die im 19. Jahrhundert direkt am Landgraben wohnten, mussten die Überwölbung selber bezahlen, hatten aber dann die Eigentumsrechte an den neu entstandenen Flächen.

Am Lidellplatz beispielsweise hat dann jeder sein eigenes Grundstück für sich selbst gestaltet. Hier am Lidellplatz ist der Landgraben jedoch nicht so tief unter dem Boden. Der Hochpunkt des Gewölbes fängt höchstens 50 Zentimeter unter der Oberfläche an. In der Durlacher Allee liegt der Graben knapp unter der Oberfläche, während er in Mühlburg ein deutliches Gefälle hat.
Schlachthäuser waren direkt am Landgraben
"Alle Schlachthäuser in Karlsruhe befanden sich immer am Landgraben", sagt Kühnel. Das hatte praktische Gründe. "So konnte man die Abfälle direkt einleiten", erklärt die Architektin. "Das erste Schlachthaus war am Marktplatz, das zweite in der Leopoldstraße. Das dritte Schlachthaus war auf dem Gelände des Alten Schlachthofs."

Im Prinzip läuft der Landgraben von Durlach im Osten bis zum Rhein im Westen von Karlsruhe. Mit der Überwölbung des Landgrabens wird jedoch zumindest ein Risiko geringer: Vor der Überdeckung des Kanals wurden von Zeit zu Zeit Leichen im Landgraben gefunden. Ob dies auf Unfälle oder dunklere Gründe zurückzuführen war, bleibt das Geheimnis des Landgrabens.