"Wenn die Idee gut ist, dann wird sie sich epidemisch verbreiten", sagt Götz Werner. Im Bundestag jedenfalls ist diese Epidemie noch nicht ausgebrochen - vielmehr ist eine ausgeprägte Resistenz zu beobachten. Der Unternehmer-Professor kann damit leben: "Es wird nicht lange dauern, dann wird die erste Partei entdecken, dass man damit Wählerstimmen gewinnen kann", so Werner (ka-news berichtete). "Aber die entdecken das erst, wenn sie plötzlich feststellen, es gibt viele Menschen, die so denken."
Wellenreuther stellt Finanzierbarkeit in Frage
"Das einzig Utopische am Grundeinkommen ist: Wir haben es noch nicht", sagt Sascha Liebermann (ka-news berichtete), dessen Initiative "Freiheit statt Vollbeschäftigung" sich, wie dm-Chef Werner, für die Einführung eines "bedingungslosen Grundeinkommens" stark macht. Der Karlsruher CDU-Bundestagsabgeordnete Ingo Wellenreuther sieht das anders: "Es darf keine Denkverbote geben", betont er, "wir müssen jedoch das Machbare im Visier behalten." Zwar würden manchmal erst durch radikale Ideen sinnvolle Entwicklungen in Gang gesetzt werden. Aber als Politiker müsse er sich die Frage stellen: Ist das machbar oder nicht? Wellenreuther: "Wir haben ja in Deutschland bereits eine steuerfinanzierte Grundsicherung. Mehr ist heute nicht machbar."
Ingo Wellenreuther, CDU-MdB für Karlsruhe (Foto: ka-news) |
Der Karlsruher Bundestagsabgeordnete glaubt nicht, dass ein "bedingungsloses Grundeinkommen" die heutigen Probleme lösen könne. Seiner Ansicht nach gibt es "kein überzeugendes Konzept für die Finanzierbarkeit der Vorschläge". Zudem würde dem Wunsch des Bürgers nach einem eigenverantwortlichen Leben nicht ausreichend Rechnung getragen, sagt Wellenreuther: "Grundsätzlich möchte doch jeder Mensch selbst für sich und seine Familie sorgen können." Nur in Notfällen sollte der Staat in Anspruch genommen werden können.
Binder: Wir brauchen ein existenzsicherndes Grundeinkommen
Es sei auch fraglich, so der CDU-Politiker weiter, ob eine Grundsicherung volkswirtschaftlich sinnvoll wäre, da es bei ihrer Einführung an Leistungsanreizen fehlen könnte. Dass uns, wie Götz Werner annimmt, aufgrund von Produktivitätszuwächsen zunehmend die Erwerbsarbeit ausgeht, glaubt Wellenreuther nicht: "Gerade die Technologieregion Karlsruhe ist ein gutes Beispiel dafür, dass man durch Ansiedlung innovativer Technologien neue Arbeitsplätze schaffen kann." Ziel einer vernünftigen Politik müsse es sein, Bedingungen zu schaffen, damit möglichst viele Menschen in "Lohn und Brot" gebracht werden könnten.
Karin Binder, MdB der Linken für Karlsruhe (Foto: pr) |
"Ein bedingungsloses und existenzsicherndes Grundeinkommen ist auch aus meiner Sicht die einzige Möglichkeit, der Verarmung und Verelendung großer Teile unserer Gesellschaft entgegenzuwirken", kommentiert die Karlsruher Bundestagsabgeordnete der Fraktion Die Linke, Karin Binder, die Idee eines "bedingungslosen Grundeinkommens". Unsere Gesellschaft definiere sich immer noch ausschließlich über bezahlte Erwerbsarbeit und das damit erzielte Einkommen, so die Linkspartei-Abgeordnete. "Arbeit" als solche zähle nicht wirklich, und hier müsste dringend eine Wertediskussion geführt werden: "Welchen Wert oder besser: gesellschaftlichen Nutzen messen wir unter anderem der Erziehung, der Hausarbeit, familiärer Pflege, ehrenamtlicher Arbeit im Verein, in der Nachbarschaftshilfe, im Umweltschutz oder in politischen Organisationen bei?"
Tauss übt deutliche Kritik an Götz Werners Steuerkonzept
Binder weiter: "Der riesige Bedarf an gesellschaftlich wichtigen Dienstleistungen ist da, aber unser Staat ist bisher nicht bereit, dafür die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen." Bei der Frage, wie das zu finanzieren wäre, hat sie jedoch einen anderen Ansatz als der dm-Chef. Die Umstrukturierung des Steuersystems nach Götz Werners Vorstellung hält sie für "sehr problematisch". "Wenn die gesamten Staatsausgaben über Verbrauchssteuern bestritten werden sollen, dann müssten diese extrem hoch sein. Der Konsum und die Teilhabe der Einkommensschwachen würden damit wieder drastisch reduziert." Stattdessen müssten die erhobenen Steuern nicht nur von den Lohnsteuerzahlern, sondern auch von den Einkommenssteuerzahlern eingetrieben werden, so Binder - "und zwar in vollem Umfang ohne Dutzende von Abschreibungsmöglichkeiten und Schlupflöchern".
Jörg Tauss , SPD-MdB für Karlsruhe-Land (Foto: pr) |
Der SPD-Bundestagsabgeordnete für Karlsruhe-Land, Jörg Tauss, äußert sich ähnlich skeptisch wie sein Karlsruher Fraktionskollege Johannes Jung (ka-news berichtete), der Götz Werners Konzept einen "alten Hut" nennt. Nach Ansicht von Tauss bleibt die Frage der Finanzierbarkeit des "bedingungslosen Grundeinkommens" unbeantwortet. Ganz im Gegenteil, so Tauss weiter: Werners Bürgergeld stehe der "von ihm gleichzeitig geforderte Verzicht auf eine solidarische gesamtgesellschaftliche Finanzierung seines Projekts gegenüber". Das Steuerkonzept des Unternehmer-Professors sei "nicht sonderlich überzeugend", kritisiert der SPD-Politiker. Eine reine Konsumbesteuerung wäre seiner Ansicht nach zutiefst ungerecht. "Ein solches Modell ist nicht leistungsfördernd, sondern zudem zutiefst unsolidarisch" - laut Tauss eher "abstoßende Aussichten".
Ein politisch-gesellschaftlicher Diskurs mit offenem Ausgang
Kritik übt Tauss auch an den Überlegungen zur Zukunft der Erwerbsarbeit: "Professor Werners Betrachtungen zum Arbeitsmarkt gehen von einem statischen Modell traditioneller Industriearbeit aus." Durch neue Produkte und neue Dienstleistungen könnten sehr wohl zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden, gibt der SPD-Abgeordnete zu bedenken: "Solche Chancen gibt es durchaus, werden in Deutschland aber viel zu wenig genutzt." In einer innovativen Gesellschaft würden neue Arbeitsplätze nicht zwangsläufig zu Lasten bestehender Arbeitsplätze entstehen. Das Ziel, individuelle Freiräume für sinnstiftende Tätigkeiten im sozialen und kulturellen Bereich zu schaffen, bezeichnet Tauss als "Werners interessantesten Ansatz": Die Frage, wie gesellschaftlich notwendige, aber nicht bezahlte Arbeit, entlohnt werden könnte, sei sicher eine Zukunftsaufgabe. "Aber auch hier", moniert Tauss, "stellt sich die von Werner leider nicht beantwortete Frage der Finanzierbarkeit seines Modells."
Es wird vermutlich noch jede Menge Kongresse zum "bedingungslosen Grundeinkommen" benötigen, um eine tatkräftige Koalition aus Wissenschaft und Politik, aus Theorie und Praxis zu schmieden - vorausgesetzt, sie ist überhaupt von beiden Seiten gewollt. Es bleibt abzuwarten, wohin die Debatte schlussendlich führen wird. Fakt ist: Die Politiker werden weiter reformieren (müssen), und der Unternehmer-Professor wird weiter für seine Ideen werben. Das Resultat dieses Neben- oder vielleicht auch Miteinanders? Hier mag man es mit dem deutschen Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg halten: "Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird; aber soviel kann ich sagen, es muss anders werden, wenn es gut werden soll."