Mit einem Spatel und einer Sprühflasche bewaffnet, rücken zwei Mitarbeiter der sogenannten "SOKO Schmierfink" den Stickern auf einem Verkehrsschild zu Leibe. "Was für eine Sisyphos-Aufgabe", denke ich mir, als nach und nach die Sticker zu Boden fallen. Die Aufkleber werden doch ohnehin innerhalb einer Woche wieder da sein.

Als die Bahn weiterfährt und die beiden Mitarbeiter hinter sich lässt, fallen sie mir auf einmal vermehrt auf: Sticker. Beinahe jede Straßenlaterne, jede Ampel und jedes Straßenschild zieren kleine bunte Bildchen. "Wie lange die beiden wohl brauchen werden, all diese Sticker zu entfernen? Und was das wohl kostet?"
Viele Fragen, aber kaum Antworten
Zurück in der Redaktion stelle ich eine Anfrage an die Stadt Karlsruhe. Ich möchte wissen, wie häufig zur Entfernung ausgerückt werden muss und ob es besondere Hotspots in der Stadt gibt, die sehr häufig beklebt werden.

Doch auf viele meiner Fragen gibt es im Rathaus keine Antworten. Zur Kostenfrage teilt ein Sprecher lediglich mit, dass die Kosten der Sticker-Entfernungen nicht separat aufschlüsselt werden. Eine Einschätzung der Kosten sei daher nicht möglich.
Auch auf die Frage, welche Aufkleber besonders häufig vorkommen, könne keine Auskunft geben werden. Lediglich bei der Frage nach den Kleber-Hotspots wird der Sprecher konkreter: "Insbesondere im Innenstadtbereich gibt es häufige Schwerpunkte, an denen Aufkleber entfernt werden müssen."
Die SOKO Schmierfink soll sich auch um Stickerkleber kümmern
Illegale Graffiti und Sticker zu entfernen fällt in Karlsruhe seit 2018 in den Aufgabenbereich der SOKO Schmierfink. Diese Stelle soll auch durch präventive Maßnahmen das Stadtbild nachhaltig verbessern. Dabei arbeitet die SOKO eng mit der Polizei und dem Kommunalen Ordnungsdienst zusammen. Sie sieht sich jedoch immer wieder mit demselben Problem konfrontiert:
"Der Verursachende muss hierbei auf frischer Tat von den Vollzugskräften angetroffen werden, um im Falle des Falles auch eine gerichtsverwertbare Beweissicherung zu ermöglichen", erklärt ein Sprecher der Stadt. Dies sei der SOKO seit 2018 noch nicht gelungen.
Trotzdem sei man im Rathaus zufrieden mit den Ergebnissen: "Die Erfolge sind sichtbar, da eine deutliche Verbesserung des Stadtbildes erreicht wurde." Daher sei die ursprünglich als Modellprojekt angelegte Einheit mittlerweile dauerhaft eingerichtet worden. Die beiden Vollzeitstellen gehören nun fest zum Konzept der Stadt.
Wer tapeziert die Stadt – und warum?
Zwei Stellen der SOKO Schmierfink kämpfen also gegen die Flut der Sticker und Graffiti in Karlsruhe? Eine undankbare Aufgabe, denke ich mir.

In der Mittagspause fallen mir weitere Sticker auf – viele von ihnen sind blau-weiß. Warum sind ausgerechnet Fußballfans so begeistert von Stickern? Zeit für eine zweite Presseanfrage – diesmal an das Karlsruher Fanprojekt. Wenn jemand etwas über die Fankultur in der Fächerstadt weiß, dann die Sozialarbeiter, die Tag für Tag mit den KSC-Fans zusammenarbeiten.
Sticker als Reviermarkierung
"Sticker symbolisieren die Zugehörigkeit zum Verein, zur Stadt und zu einer speziellen Gruppe", teilt das Fanprojekt auf Nachfrage mit. Sie würden genutzt, um die eigene Zugehörigkeit auszudrücken. Dafür nutzten die einzelnen Fangruppen verschiedene Motive und Aufschriften.

Gerade innerhalb der Ultra-Gruppierungen erfüllten die Sticker eine nicht zu unterschätzende Rolle: "Für die Ultras sind Sticker kleine Symbole ihrer eigenen Identität als Teil der Szene."
Doch sie können auch einen provokativen Charakter haben, erklärt das Fanprojekt: "Gerade bei Auswärtsspielen werden Sticker bewusst im Umfeld des gegnerischen Stadions verklebt."

Sticker oder Sammlerstück?
Besonders spannend: Viele Fans leben mit den Stickern ihre kreative Ader aus. Sie designen die kleinen Bildchen häufig selbst und werden dabei immer einfallsreicher, wie das Fanprojekt erklärt: "Neben klassischen Standardmotiven sind auch immer mehr kreative Stickermotive und Slogans im Umlauf."

Auch das Tauschen von Stickern sei ein beliebter Zeitvertreib im Stadion: "Das Designen und Tauschen von Stickern gehört zur kreativen Ausdrucksform in der Ultraszene. Bei anderen Stadiongängern gehört das Tauschen der teilweise selbst designten Sticker zum Stadionbesuch dazu." Dabei werde den Stickern teilweise sogar ein hoher emotionaler Wert zugemessen. Sie seien beinahe schon Sammlerstücke, erklärt das Fanprojekt.
Fankreativität in konstruktive Bahnen lenken
"Sticker tauschende Fußballfans? Eine schöne Vorstellung", denke ich mir, als ich die Antworten des Fanprojekts lese. Doch viele der Bildchen landen ja offensichtlich auf den Karlsruher Straßenschildern – und nicht in einem Sammelalbum.

Ein Umstand, der auch im Fanprojekt mit den KSC-Anhängern diskutiert wird: "Gerade bei den jüngeren Stadiongängern findet hier beispielsweise Aufklärungsarbeit zu möglichen Ordnungswidrigkeiten (z. B. Sachbeschädigung) statt", erklären mir die Sozialarbeiter.
Hier sei für ihre Arbeit besonders wichtig, dass nicht mit Vorverurteilungen und Verboten gearbeitet werde. Man setze vielmehr auf Kommunikation und Verständnis: "In Workshops oder Gruppenarbeiten können Kreativität und Ausdrucksformen gemeinsam erarbeitet werden."
Eure Meinung: Sammlerstück oder Schandfleck?
Jetzt seid ihr gefragt: Wie steht ihr zu Stickern im Stadtbild? Stören sie euch – oder findet ihr, sie gehören mittlerweile einfach dazu? Schreibt es uns in die Kommentare oder nehmt an unserer Umfrage teil. Oder habt ihr besonders witzige Sticker in Karlsruhe gefunden? Dann schickt uns eure Favoriten doch einfach zu.
