Startseite
Icon Pfeil nach unten
Karlsruhe
Icon Pfeil nach unten

Karlsruhe: Erst wurde sie eingesperrt, jetzt hat sie ein neues Zuhause: Gisela Linder zeigt, dass das Wohnen im Pflegeheim auch Vorteile haben kann

Karlsruhe

Erst wurde sie eingesperrt, jetzt hat sie ein neues Zuhause: Gisela Linder zeigt, dass das Wohnen im Pflegeheim auch Vorteile haben kann

    • |
    • |
    Um Angehörige auch nachts zu entlasten, hat der ASB die Nachtpflege geschaffen.
    Um Angehörige auch nachts zu entlasten, hat der ASB die Nachtpflege geschaffen. Foto: ASB Karlsruhe

    Als ich das Einzelzimmer betrete, sitzt Gisela Linder gemütlich in ihrem Sessel, schaut aus dem Fenster. Auch wenn das Wetter heute etwas bewölkt ist, genießt sie den Blick nach draußen. "Es ist schön, dass man im Sommer auch etwas nach draußen kann auf die Terrasse. Das ist gerade auch für den Felix wichtig. Ich kann ihn auch mal ins Gras setzen", begrüßt mich die 90-Jährige. 

    Auf ihrem Schoß sitzt Felix, ein Stoffkater - für die betagte Dame allerdings ist er ihr "Ersatzkind", wie Günter Fischer erklärt. Er ist ein Freund von Gisela Linder und schon seit vielen Jahren eine wichtige Bezugs- und Betreuungsperson für sie. "Sonst hat sie keine Angehörigen mehr, die sich um sie kümmern können", sagt der ehemalige Karlsruher Stadtrat. 

    undefined
    Foto: Felix Haberkorn

    Die beiden kennen sich schon seit über 50 Jahren und waren früher auch zusammen im gleichen Gesangsverein. "Zuerst ist ihr Sohn gestorben. Deswegen hat mich ihr Mann irgendwann gefragt, ob ich mich, wenn mal etwas wäre, um seine Frau kümmern würde", sagt Fischer und nimmt einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. 

    "Du bleibst jetzt bei mir"

    Seit Oktober 2017 lebt die 90-jährige Gisela Linder nun schon in der Seniorenresidenz Am Park in der Südstadt-Ost, die vom Arbeiter Samariter Bund (ASB) Karlsruhe betrieben wird. Geboren wurde sie in Durlach, lebte zuletzt in Hagsfeld, bevor sie 2007 unmittelbar neben der Seniorenresidenz eine Eigentumswohnung für Betreutes Wohnen bezog.

    Dort fand sie auch ihren Kater Felix. "Er hat immer auf mich gewartet, wenn ich den Müll rausgebracht habe. Ich habe ihn dann mit zu mir genommen. Er schläft auch bei mir im Bett. Da hab ich gesagt: Du bleibst jetzt bei mir, ich gebe dich nicht mehr her", erzählt sie mir freudestrahlend und streichelt den kleinen Stoffkater.

    undefined
    Foto: Felix Haberkorn

    Auch wenn Felix "nur" ein Stofftier ist - für Frau Linder stellt er ein reales Lebewesen dar, um das sie sich sorgt und das ihr nach dem Tod ihres Sohnes und ihres Mannes Halt gibt. Früher besaß sie drei echte Katzen - ihre Liebe für diese Tiere gibt sie nun an ihren Stoffkater weiter.

    "Eine der Betreuerinnen hat mich eines Tages eingesperrt!"

    Doch wie es im Alter so üblich ist, fangen die Dinge an, sich zu verändern - langsam, aber Stück für Stück. "Ab Oktober 2014 konnte Gisela nach mehreren Erkrankungen und Operationen nicht mehr allein in ihrer Wohnung leben", weiß Günter Fischer zu berichten. Mit einer rund-um-die-Uhr-Betreuung war zunächst eine Lösung gefunden. Abwechselnd kümmerten sich mehrere Betreuerinnen um Gisela Linder. Doch dann kamen die Schwierigkeiten.

    "Die ständigen Wechsel unter den Betreuerinnen waren auf Dauer ein Problem. Damit ist Gisela nicht mehr klar gekommen", so Günter Fischer weiter. Auch das sprachliche Defizit sei ein Problem gewesen. Bis zu jenem Tag im Spätsommer 2017, als als sich alles hochschaukelte und in einem verstörenden Ereignis sein Ende fand. 

    undefined
    Foto: Felix Haberkorn

    "Eine der neuen Betreuerinnen hat mich eines Tages eingesperrt. Sie sagte, sie müsse sich jetzt hinlegen. Man konnte gerade meinen, sie hätte was getrunken", ärgert sich die Heimbewohnerin, ich lausche ihren schrecklichen Erlebnissen. Ohne Schlüssel und Telefon gab es keinen Weg hinaus. Die Situation hat sich noch weiter zugespitzt, als nach Linders Aussage die Betreuerin nach dem Aufwachen zu kochen anfing und - im wohl betrunkenen Zustand - das Gas am Herd aufdrehte.

    Und plötzlich muss eine Lösung her

    Nur durch einen glücklichen Zufall konnte die Seniorin ihrem "Gefängnis" entkommen. "Als die Tür plötzlich wieder aufging, bin ich zu meiner Nachbarin gegangen und habe um Hilfe gerufen. Daraufhin kamen der Rettungsdienst, die Polizei und Herr Fischer", so die gebürtige Durlacherin. "Die Polizei sagte, die Betreuerin darf nicht mehr in die Wohnung. Das ist zu gefährlich - und ich war gezwungen, zu reagieren", ergänzt ihr langjähriger Freund Günter Fischer.

    Der ehemalige Karlsruher Stadtrat und Landtagsabgeordnete.
    Der ehemalige Karlsruher Stadtrat und Landtagsabgeordnete. Foto: Felix Haberkorn

    Doch der ehemalige Stadtrat stand vor einem Problem: Da sich der Vorfall an einem Montag ereignete und Günter Fischer am Freitag in den Urlaub fahren wollte, war die große Frage, wo er seine langjährige Freundin unterbringen könnte. "Gisela konnte nicht alleine in ihrer Wohnung bleiben und bis die nächste Betreuerin gekommen wäre, wären etwa sechs bis acht Wochen ins Land gegangen", erinnert sich Fischer. Ich nicke, verstehe das Dilemma von Gisela Linder. 

    (Symbolbild)
    (Symbolbild) Foto: Peter Eich

    Er hatte jedoch Glück und einen guten Einfall: "Sie wird in ihrer eigenen Wohnung schließlich vom ASB betreut. Deshalb bin ich rüber in die benachbarte Seniorenresidenz. Dort hab ich zufällig gleich den Leiter der Einrichtung getroffen, der innerhalb von nur vier Stunden ein Zimmer für sie gefunden hat, zunächst für eine Kurzzeitpflege", so der SPD-Politiker und ich spüre auch fast zwei Jahre nach diesem Vorfall seine Erleichterung. "Das war für mich in dem Moment aber eine ganz große Hilfe!"

    Ein Gefühl der Geborgenheit

    Trotz anfänglicher Skepsis hat die Kurzzeitpflege laut Günter Fischer einen positiven Eindruck auf die Seniorin gemacht: "Als ich nun aus dem Urlaub wieder zurück war, meinte sie dann zu meiner Überraschung, dass es ihr in der Seniorenresidenz sehr gut gefallen hat. Das Schöne hier am Haus ist eben, dass auch Hunde oder Katzen mit einziehen können und dass man hier sehr tierlieb ist. Und dann hat Gisela mir gesagt: 'Ich möchte jetzt auf Dauer da rüber ziehen'", erzählt er mir.

    Gisela Linder fühlt sich inzwischen in der Seniorenresidenz Am Park sehr wohl. Es war ihr sehr wichtig, dass hier auch Tiere mit hineinkönnen und dass sie eine Terrasse für ihren Felix hat. Und auch wenn es auf den ersten Blick irritierend wirkt, dass sie so real über ihren Stoffkater spricht, so merke ich in jedem ihrer Worte die Liebe, die sie für ihn empfindet - ganz egal ob real oder nicht. Durch ihn ist sie nicht allein.

    undefined
    Foto: Felix Haberkorn

    Außerdem hat sie sich schnell mit den Pflegekräften angefreundet, die für sie bereits bei der Besichtigung des Zimmers sehr freundlich wirkten. "Also die Pfleger hier sind sehr nett. Schon als ich mir das Zimmer angeschaut habe, waren das ganz freundliche und offene Gespräche mit den Pflegern", verrät mir die 90-Jährige. Dazu gehört auch Riccardo Greco, Pflegedienstleiter der Seniorenresidenz.

    Pfleger aus Leidenschaft

    Für ihn steht vor allem der Umgang mit den Menschen im Vordergrund - auch das ist ein Grund, warum sich Gisela Linder hier so gut eingelebt hat. "Man macht den Beruf ja nicht nur, um Geld zu verdienen, sondern aus Leidenschaft und weil es einem Spaß macht. Der Bezug zum Menschen, denen etwas Gutes zu tun und täglich etwas anderes zu leisten, hält mich heute noch am Beruf", erklärt er.

    undefined
    Foto: Felix Haberkorn

    Vor allem der abwechslungsreiche Alltag ist für ihn gewinnbringend. Jeden Tag muss sich der Pfleger auf jeden einzelnen Bewohner neu einstellen. Für Greco sind es besonders die kleinen Gesten, die ihn erfreuen: "Wenn ich von einem Bewohner ein 'Danke' oder ein Lächeln zurückbekomme, dann weiß ich, ich hab alles richtig gemacht", so der Pflegedienstleiter, dem man die Leidenschaft für seinen Beruf in jedem seiner Worte anmerkt.

    Bei einer Rückstufung des Pflegegrades müssen Pflegebedürftige die Gelegenheit bekommen, ihre Interessen zu vertreten. Foto: Arno Burgi
    Bei einer Rückstufung des Pflegegrades müssen Pflegebedürftige die Gelegenheit bekommen, ihre Interessen zu vertreten. Foto: Arno Burgi Foto: dpa

    Eines wird für mich bei diesem Besuch klar: Das gängige Klischee eines trostlosen Lebensabends in einer Seniorenresidenz wird hier nicht erfüllt, Frau Linder fühlt sich in ihrem neuen Zuhause sehr wohl. Während sie ihren Blick gedankenverloren über die regennasse Terrasse schweifen lässt, lehnt sich entspannt in ihren Sessel zurück und streichelt in stiller Zufriedenheit den auf ihrem Schoß liegenden Felix.

    Lesen Sie in Teil 1 der Reportage, was Karlsruhe gegen den Pflegenotstand unternimmt.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden