Frau Esen, Sie beschäftigen sich schon seit über 20 Jahren mit dem Thema Rechtsextremismus. Wurde die Gefahr in den vergangenen Jahren unterschätzt?

Ganz eindeutig: Ja. Ich beobachte, dass Rechtsextremismus immer - und nur dann - zum öffentlich diskutierten Thema wird, wenn es spektakuläre Gewalttaten gibt. Es ist ein Irrglaube, dass solche Gewalttaten urplötzlich aus dem heiteren Himmel fallen.

In den vergangenen Tagen war in Anlehnung an die linksextreme RAF immer wieder von einer "Braunen Armee Fraktion" die Rede - was halten Sie von diesem Vergleich?

Es gibt Terror von rechts. Dieser Terror ist zielgerichtet und wendet sich gegen alle, die nicht in das rechtsextreme Weltbild passen. Der Kernbegriff Rechtsextremer ist die "Volksgemeinschaft". Das ist ein willkürlich definierter Begriff, der Menschen ein- oder ausschließt. "Volksschädlinge" nannte man das unter Adolf Hitler. Damit sind gemeint: Menschen mit Migrationshintergrund, Schwule und Lesben, Juden, Muslime, politisch Andersdenkende, Obdachlose, sozial Schwache. Letztendlich läuft es nach dem Motto: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!". Ausgegrenzt werden auch all jene, die als "asozial" gelten und mit ihrer Arbeitskraft keinen Beitrag leisten können zur "Volksgemeinschaft". Die Zielobjekte rechtsextremer Gewalt sind somit sehr viel breiter angelegt als die einer RAF. 

Man wird nicht mit einer extremen Einstellung geboren - was bringt einen Menschen dazu, sich rechtsextremistischen Ideen zuzuwenden?

Das Einstiegsalter liegt bei 12, 13, 14 Jahren. Mitten in der Pubertät also. Diese Kinder sind auf der Suche nach Sinn, stellen sich Fragen und haben auch ein Gefühl dafür, was so alles in ihrem Umfeld geschieht und schief läuft. In dieser Phase suchen Jugendliche nach Halt und Geborgenheit. Finden sie diesen nicht bei ihren Eltern, ihrer Schule und ihrem Freundeskreis, dann ist die Verlockung groß, dass sie sich Gruppen anschließen, die Zusammenhalt und Kameradschaft anbieten.

Gibt es in Karlsruhe oder der Region eine rechtsextreme Szene? Wie muss man sich diese Szene vorstellen - und wie gefährlich ist sie?

In Karlsruhe gibt es eine ausgeprägte rechtsextreme Szene, die jenseits der NPD in losen Netzwerken organisiert ist. Die Führungsfiguren der Gruppierung sehen aus wie Punks und skandieren vermeintlich linke Parolen. Für ihre Website haben sie einen Namen gewählt, der auf ein demokratisches Bündnis schließen lässt. Solche Mimikry-Aktionen verschleiern die menschenfeindliche Ideologie der Rechtsextremisten.

Die Karlsruher Gruppe setzt auf Freizeit-Events zur Gewinnung von weiteren Anhängern. Dazu gehört auch die Ausrichtung von Fußballturnieren. Jährlich wird ein Svastika-Cup ausgelobt, will heißen, ein Hakenkreuz-Pokal geht an den Gewinner.

Was kann auf lokaler und regionaler Ebene gegen Rechtsextremismus unternommen werden?

Es wird immer eine Kombination aus staatlicher Repression, Engagement der Zivilgesellschaft, Pressearbeit und politischer Bildung sein müssen.

Einer der Schwerpunkte Ihrer Arbeit ist die Aufklärung über das Erscheinen, Symbole und das Auftreten von rechtsextremen Gruppen, unter anderem an Schulen. Warum ist das wichtig? Was hat sich in den vergangenen Jahren geändert?

Zeichen und Symbole der rechtsextremen Szene wandeln sich permanent. Für das pädagogische Personal ist es wichtig, auf einem aktuellen Stand zu sein. Mit Jugendlichen kann nur auf Augenhöhe überzeugend und ernsthaft diskutiert werden, wenn Kenntnisse über aktuelle Entwicklungen vorliegen.

Derzeit wird wieder ein Verbot der NPD diskutiert - wie stehen Sie zu dem Vorstoß?

Grundsätzlich befürworte ich ein Verbot der NPD. Haupteinnahmequelle der NPD sind staatliche Zuwendungen. Insofern würde ich die Partei als ein staatlich subventioniertes Ärgernis bezeichnen, das es auszuschalten gilt. Ein Parteiverbot bedeutet aber nicht, dass rechtsextreme Einstellungen damit dann auch verwinden.

Fragen: Felix Neubüser

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