Wer regelmäßig die Hauptverkehrspunkte der Fächerstadt abklappert, dem wird es wohl kaum entgangen sein: Die Zahl der Elektroautos ist zuletzt signifikant angestiegen und mit ihnen die Diskussionen, wie sinnvoll, wie notwendig, wie umweltschonend die Stromvehikel denn nun eigentlich seien.

Knapp jeder siebte neu zugelassene Wagen hatte 2020 einen E-Antrieb unter der Haube.
Knapp jeder siebte neu zugelassene Wagen hatte 2020 einen E-Antrieb unter der Haube. | Bild: Sven Hoppe/dpa

Mit dem Ziel einer klaren und einfachen Antwort wendet sich ka-news.de mit dieser Frage an den Experten für nachhaltige Energietechnologien Marcel Weil, den Forschungsgruppenleiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am KIT. "Eine klare und einfache Antwort gibt es bei diesem eher komplexen Thema nicht", so Marcel Weil zu Beginn des Gesprächs. Man müsse im Bezug auf Elektroautos und ihrem Beitrag zur Umweltschonung sehr viele Faktoren berücksichtigen.

Nur eine Frage des Motors?

Dies beginne schon, wenn man die Umweltbilanzen zwischen Elektroautos und Verbrennungsmotoren  überhaupt vergleichen wolle. Ein legitimer Vergleich könnte nämlich nur zwischen Autos ähnlicher Fahrzeugklasse hergestellt werden. "Ein Porsche sollte nicht mit einem Mini verglichen werden", wie Weil erklärt.

Marcel Weil (51), Forschungsgruppenleiter „Forschung für nachhaltige Energietechnologien am Institut für Technikfolgenabschätzung und ...
Marcel Weil (51), Forschungsgruppenleiter „Forschung für nachhaltige Energietechnologien am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse" (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technik (KIT). | Bild: KIT

Zusätzlich sei die Frage der Nachhaltigkeit und Umweltschonung nicht immer eine Frage des Motors. Die Beschaffenheit des Autos selbst - wie Weil berichtet - könne über die Frage der Umweltfreundlichkeit entscheiden.

"Auch bei E-Autos gibt es Trends, die nicht wirklich umweltfreundlich sind", so Weils Auffassung, "E-Fahrzeuge, die groß, die schwer und die PS-stark sind, die also eine hohe Leistung und einen hohen Roll- und Luftwiderstand haben, verbrauchen sehr viel Energie und sind damit nicht nachhaltig." 

"Kritische Rohstoffe"

Natürlich wären leistungsstarke Autos auch mit höherer Umweltbelastung während ihrer Produktion verbunden. An sich erscheint die Herstellung der E-Fahrzeuge gerade in Hinsicht auf die Akkus, als beliebtes Streitthema zwischen Befürwortern und Kritikern.

Und tatsächlich wirkt die Akkuherstellung auf den ersten Blick alles andere als nachhaltig: "Die Batteriezelle eines E-Autos ist ein Hightech-Produkt", so Weil, "ein Produkt, das nur unter bestimmten Bedingungen wie etwa stark klimatisierten Räumen hergestellt werden kann." Insofern entstehe durchaus eine hohe Energiebelastung.

Problematisch sei auch das Material, aus dem sich die Energieträger letztendlich zusammensetzen: "Bisher werden bei aktuellen Elektro-Fahrzeugen die Lithium basierten Batterien aus Kobalt, Nickel, Mangan (für die Kathode,  Grafit für die Anode und nennenswerte Mengen an Kupfer für die Stromsammler, hergestellt"

"Ein ökologischer Rucksack"

Der kritische Status entstehe einerseits aufgrund der toxischen Wirkung, die einige dieser Rohstoffe auf ihre Umwelt entfalten. Andererseits wegen ihrer ungünstigen Verfügbarkeit: "Kobalt zum Beispiel wird fast nur im Kongo abgebaut und muss erst einmal nach Europa transportiert werden", sagt Weil.

Eine große Hürde sei dabei der Transport selbst. Genauso liege eine schwerwiegende Problematik darin, "dass der Kongo als eine politisch instabile Republik gilt, sodass der Import des Kobalts nur sehr bedingt als gesichert gelten kann. Auch die Arbeitsbedingungen beim Abbau sind eher fraglich."

Das von Amnesty International zur Verfügung gestellte Bild zeigt Kinder, die in einer Kobaltmine Steine sortieren.
Das von Amnesty International zur Verfügung gestellte Bild zeigt Kinder, die in einer Kobaltmine Steine sortieren. | Bild: Amnesty International/Amnesty International/Afrewatch/dpa

Auch das Lithium würde laut Weil nicht in Europa, sondern in Südamerika und Australien abgebaut. Von dort aus werde es nach China verschifft und dort weiterverarbeitet, bevor es schließlich, den Asiatischen Kontinent entlang, seinen Weg in die Werkshallen Europas fände.

Aufgrund der toxischen Wirkung der Materialien, ihrer problematischen Verfügbarkeit und ihrem langen Transportwegen entstünde bei jedem Elektroauto ein sogenannter "ökologischer Rucksack." Dies bezeichnet eine umweltschädigende Vorbelastung, die jedes Elektroauto durch seine Herstellung mit sich trägt - wie einen Rucksack eben.

"Neuere Technologien werden äußerst kritisch beäugt"

"Aus diesen Gründen wird die Herstellung der Batteriezellen durchaus zurecht kritisiert", meint der Nachhaltigkeitsforscher. Allerdings müsse man die Kritikpunkte auch in Perspektive setzen: "Die Lithium-Batterien haben einen deutlich geringeren schädlichen Impact auf die Umwelt als beispielsweise Cadmium – oder Blei-basierte Batterien."

Diese seien "deutlich toxischer für die Umwelt und werden auch teilweise in Drittländer exportiert und mit einfachsten Methoden recycelt oder entsorgt. Dennoch werden sie seit Jahren und Jahrzehnten akzeptiert und ernten erstaunlich wenig Kritik. Neuere Technologien wie eben Lithium-Batterien für Elektrofahrzeuge werden hingegen äußerst kritisch beäugt", so Weils Einschätzungen.

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Ein Umstand, den der Forscher bisweilen bedaure. Auf der einen Seite deshalb, da das Karlsruher Institut für Technologie mit Hochtouren an "der nächsten Generation von Energiespeicher, den sogenannten Post Lithium-Batterien, die auf gut und reichlich verfügbaren Rohstoffen wie Magnesium, Natrium oder Aluminium basieren arbeitet." Auf der anderen Seite, da das eigentliche umweltschonende und nachhaltige Potenzial eines Elektroautos erst in seiner Nutzungsphase wirksam wird.

"Break-even Point" - Das Paradoxon des Elektroautos

Es sei unumstößlich, dass ein E-Auto während seiner Nutzungsphase keine CO2-Emissionen abgebe, so Weil. Würde man so ein E-Auto also lange und weit genug fahren, so hätte man ab einem bestimmten Punkt so viele Emissionen eingespart, dass der ökologische Rucksack ausgeglichen wäre.

"Diesen Punkt bezeichnen wir als Break-even Point. Es ist der Moment, ab dem das E-Fahrzeug durch seine Nutzung im Gesamtergebnis umweltfreundlicher wird als ein Fahrzeug mit einem Verbrennungsmotor", wie Weil weiter ausführt.

Elektroauto-Ladestation
Bild: andreas160578@pixabay.com

Wann dieser Break-even Point erreicht ist "variiert stark von Fahrzeug zu Fahrzeug. Es existiert aber ein ungefährer Wertebereich, der zwischen ca. 20.000 bis -im Extremfall- 80.000 Kilometern liegen kann." Sobald ein Auto diese Kilometerzahl überschritten hat, könne man es also als klimaschonend bezeichnen. "E-Fahrzeuge werden dann umweltfreundlicher, wenn sie viel und häufig genutzt werden", fasst Weil zusammen. 

"Wir dürfen die Energiewende nicht weiter hinauszögern"

Natürlich gäbe es bei diesem Konzept Einschränkungen. Beispielsweise müsse man auch daran denken, was nach der Nutzungsphase eines E-Autos aus dessen Akku wird. Dieser solle nicht entsorgt, sondern "in einem anderen Bereich weitergenutzt werden", schlägt Weil vor.

Einem anderen Ansatz nach sei ein E-Auto immer nur so nachhaltig wie der Strom, den es nutzt: "Würden die Ladestationen mit einem hohen Kohlestromanteil betrieben, so wird der Break-even Point des E-Fahrzeugs erst sehr viel später erreicht", betont Weil.

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Bild: Polizei Karlsruhe / Joachim Zwirner

"Auch aus diesem Grund können wir es uns nicht leisten, die Energiewende noch weiter zu verzögern. Wir können keine nachhaltige Mobilität erreichen, wenn wir keine nachhaltige Energie zur Verfügung stellen", fügt er hinzu.

"Nicht nur austauschen sondern auch reduzieren"

Zusätzlich hinge die Nachhaltigkeit der E-Mobilität nicht nur von der Stromversorgung, sondern auch vom Verhalten ihrer Nutzer ab.  "Man sollte nicht einfach jeden Verbrenner durch ein E-Fahrzeug ersetzen." Dies würde nur eine Massenproduktion an Energiezellen nach sich ziehen, der langfristig auch eine Umweltgefährdung bedeutete.

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"Viel eher müssten weniger Fahrzeuge pro Kopf genutzt werden. Würden sich beispielsweise mehrere Haushalte ein E-Fahrzeug teilen, wäre der Break-even Point schneller erreicht und es gäbe insgesamt weniger Belastung durch das Herstellen und Entsorgen der Batterien und des gesamten Fahrzeuges", so Weil. "Nicht nur austauschen, sondern auch reduzieren", sei sein Konzept von Nachhaltigkeit.

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