Schon als Kind hatte Martin ein Ziel: Eines Tages wollte er als Lokführer arbeiten. Der Traum des Jungen sollte sich als Erwachsener tatsächlich erfüllen. Martin bewarb sich, machte eine Ausbildung bei der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG), bestand die Prüfung zum Triebfahrzeugführer. "Ich habe mir meinen Kindheitstraum erfüllt", schildert er. Seit mehreren Jahren ist er nun für die AVG in der Region unterwegs. Vom einstigen Traumberuf ist inzwischen aber nur noch wenig geblieben.
Martin heißt in Wirklichkeit nicht Martin. Er möchte seinen Namen nicht öffentlich nennen, da er Konsequenzen durch seinen Arbeitgeber fürchtet. Denn dieser, so schildert der AVG-Fahrer, mache es seinen Mitarbeitern alles andere als leicht.
"Wie soll ich 200 Überstunden abbauen?"
Vor allem die Arbeitszeiten würden für ihn und andere Kollegen zur Belastungsprobe. Arbeiten als Bahnfahrer bei der AVG, das heißt vor allem Arbeiten im Schichtbetrieb. Wie lange ein Fahrer unterwegs sein darf, ist tariflich geregelt. 468 Minuten - so lange soll ein Fahrer laut Arbeitsvertrag im Einsatz sein. Nach Aussage der AVG kann diese Minutenzahl im Rahmen der Planung kürzer oder länger dauern. "7,8 Stunden beträgt meine Arbeitszeit eigentlich. In der Realität bin ich aber eher neun bis zehn Stunden im Einsatz", erklärt Martin.
Das zeigt auch ein Auszug aus einem Arbeitsplan, der ka-news vorliegt. Statt 468 Minuten Einsatzzeit sind hier fast ausnahmslos Schichten mit 500, gelegentlich auch fast 600 Minuten eingeplant. Unter 468 Minuten kommt der Triebfahrzeugfahrer nur gelegentlich. Diese bekommt Martin zumindest bezahlt. Doch bei diesen Zeiten bleibe es im Alltag nicht. Bei Verspätungen häufe man als Bahn-Fahrer schnell Überstunden an, meint Martin.
Diese ließen sich oft aber gar nicht vermeiden. "Die Zeiten der Fahrpläne sind viel zu eng getaktet", kritisiert er. Wenn dann ein Fahrgast die Tür aufhalte, sei die Verspätung sichere Sache. "Das zieht sich dann über den Tag wie ein Rattenschwanz", so Martin. Eine Stunde, das klinge erst Mal nicht nach viel, meint der Triebfahrzeugführer im Gespräch mit ka-news. "Das häuft sich dann aber an." Die Überstunden abbauen? "Wie soll das bei 200 angesammelten Überstunden gehen?"
Schichtarbeit, Überstunden und Reservedienste fordern nach Martins Beobachtungen ihren Tribut. "Durch die Prüfung fallen zukünftige Lokführer durch, wenn sie etwas tun, was betriebsgefährdend ist - aber die AVG schafft durch ihre dauerhaften Überstunden und die fast schon sklavenähnlichen Verhältnisse erst Betriebsgefahren, weil die Fahrer übermüdet sind", prangert Martin an.
Ist Lokführer nicht gleich Lokführer?
Doch nicht nur die Arbeitszeiten, sondern auch die Ungleichbehandlung unter den Fahrern durch die AVG ärgert Martin. Das Einstiegsgehalt eines Triebfahrzeugführers liegt bei 2.450 Euro. Hinzukommen können je nach Schichtarten zirka 300 Euro an Zulagen. Wie die AVG bestätigt, hängt die Bezahlung eines Fahrers davon ab, nach welchem Tarifvertrag er bezahlt wird. "Die Kollegen im GDL-Tarif erhalten mehr Lohn", erklärt Martin. Wer nach ETV-Tarif bezahlt wird, erhalte deutlich weniger.
Wer sich etwas dazuverdienen wolle, dem würden weitere Steine in den Weg gelegt, meint Martin. Man bekomme zwar eine Genehmigung, werde aber darauf hingewiesen, dass eine Sechs-Tage-Woche nicht mehr als 48 Arbeitsstunden haben dürfe. "Dabei disponiert die AVG selbst aber gleich mehr!"
Spart die AVG absichtlich an Personal?
Viele Kollegen, die er in seinen Jahren bei den AVG kennengelernt habe, würden inzwischen bei anderen Vekehrsunternehmen arbeiten. Nicht unproblematisch für ein Unternehmen, das immer wieder mit Fahrermangel zu kämpfen hat. Erst in den Sommerferien kam es zu Einschränkungen, da aufgrund von notwendigen Schulungen Personal fehlte. Martin hat nicht den Eindruck, dass sein Arbeitgeber daran etwas ändern wolle. Sein Verdacht: Die AVG wolle ihren Personalstamm nicht vergrößern, um Kosten zu sparen.
Diesen Vorwurf weist die AVG entschieden zurück. "Er entbehrt jeglicher Grundlage", so ein Unternehmenssprecher, "es war und ist ein zentrales Ziel der AVG, die Zahl der Triebfahrzeugführer kontinuierlich weiter zu erhöhen. Die AVG hat im Verlauf der vergangenen beiden Jahre deshalb mit Hochdruck daran gearbeitet, für den Beruf des Triebfahrzeugführers zu werben, neue Triebfahrzeugführer auszubilden und diese anschließend direkt in den regulären Fahrdienst zu übernehmen."
Im vergangenen Jahr wurden bei der AVG nach eigener Aussage 63 neue Triebfahrzeugführer neu eingestellt. 36 Mitarbeiter fehlen derzeit noch, um einen ausgeglichenen Personalstand zu haben. Wie lange Martin noch zu ihnen gehören will, das weiß er nicht. Die Hoffnung, dass sich sein Betriebsrat für ihn und andere Fahrer stark macht und an den Arbeitsbedingungen etwas ändern wird, hat er inzwischen aufgegeben.