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Karlsruhe: Was hätte er denn tun sollen

Karlsruhe

Was hätte er denn tun sollen

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    Vor dem Konzert in der Durlacher Festhalle unterhielt sich der Frontmann am vergangenen Mittwoch mit ka-news-Kultur-Redakteur Patrick Wurster über Indie-Spatzen und Pop-Tauben, Grand Hotel-Dächer und Signing-Händchen. Und den gebrochenen Daumen von Carlos Santana.

    ka-news: 90.000 verkaufte Kettcar-Alben, die Hansen Band in den Charts - momentan könnt ihr machen was ihr wollt, seid Everybody's Darling. Wart ihr einfach nur zur richtigen Zeit mit den richtigen Produkten auf dem Markt? Denn plötzlich lieben die Leute das, was ihr im Grunde schon seit jeher bei Rantanplan oder But Alive gemacht habt...
    Marcus Wiebusch: Das würde ich so nicht sagen. Ich finde schon, dass But Alive und Kettcar zwei sehr unterschiedliche Bands sind. Das Besondere an But Alive war, dass wir wesentlich punkiger und wesentlich politischer waren und viel mehr jene Dinge thematisiert haben, die uns Anfang der 90er wichtig erschienen. Kettcar dagegen haben einen sehr poppigen, sehr lyrischen Weg eingeschlagen.

    ka-news:

    Und der gipfelt in Betitelungen wie "Supergroup des German Indie-Rock" und "Vorzeigeband" einer angeblich wiederbelebten Hamburger Schule. Wer in der Presse auftaucht, bekommt ein Etikett verpasst. Aber "wieso eigentlich Indie-Charts, Digger"?

    Wiebusch: Ich weiß natürlich, dass in unserer Musik jede Menge Independent-Elemente mit drin sind. Aber wir bezeichnen das gar nicht mal als Indie-Rock. Das ist einfach nur Pop. Und dieses Schlagwort ist für mich nicht negativ belegt, zumindest nicht durchweg. Das lateinische "populare" sagt nicht mehr als "allgemein verbreitet". Wir machen Musik für alle, ohne elitäres Denken. Da kann's natürlich ganz schnell passieren, dass du im Mainstream schwimmst. Aber ich finde nichts spießiger als sich irgendwelche Etikettierungen zu verpassen und dann so eine kleine Szene herbeizuphilosophieren. Beim Punk hab ich das jahrelang gemacht. Und ich weiß wovon ich spreche, wenn ich sage, dass da ein ganz schön engstirniges, dogmatisches Süppchen gekocht wird. Hatte ich keine Lust mehr zu. Wenn ihr ihm einen Namen geben wollt, dann gebt ihm einen. Aber man fragt sich natürlich schon, was einer beabsichtigt, wenn er uns zur Hamburger Schule dazusteckt. Entweder er ist dumm oder er ist gehässig oder er will irgendwas nicht wahrhaben.

    ka-news: Dann schnell zu den Wahrheiten um dein Label Grand Hotel van Cleef - eine Firma von Freunden für Freunde. Keiner wollte sie produzieren, also machen sie's selbst. Und siehe da: Es funktioniert prima! Wie blauäugig ist es, das Ganze im Nachhinein auf die schöne Mär von den fünf verkannten Musikern runterzubrechen, die es gegen alle Widrigkeiten des Business dennoch geschafft haben?
    Wiebusch: Was heißt blauäugig - es ist leider auch was Wahres dran... Wir sind mit unserer ersten Platte 2002 bei allen großen Labels vorstellig geworden. Keiner wollte uns, keiner wollte diese Platte rausbringen; dieselbe Platte, die später allerorten umjubelt wurde. Wir wissen das natürlich zu würdigen. Die Begeisterung bei Konzerten ist das Unfassbarste was uns an Zuneigung entgegen gebracht wird. Aber auf die ganzen guten Kritiken habe ich mit meinen 37 Jahren einen sehr abgeklärten Blick. Ich durfte bei But Alive miterleben wie schnell diese medialen Strömungen wieder umschlagen können.

    ka-news:

    Und wie schwimmt man nun gegen den Strom ohne dabei unterzugehen?

    Wiebusch: Um nach oben zu kommen braucht's Einstellung und Power. Und für dieses Visionäre - also ohne zu wissen, ob es auch wirklich funktioniert, und dennoch alles was du hast, reinzuschmeißen - muss man sich schon sehr hart rannehmen. Aber wir drei

    (Anm. d. R.: die GHvC-Mitbegründer Thees Uhlmann von Tomte und Kettcar-Bassist Reimer Bustorff)

    haben da nicht nur etwas für uns geschaffen, sondern auch für das Bewusstsein der Musiker: Im Zuge des Grand Hotel van Cleef-Erfolges hat es in Hamburg 2003 eine Schwemme an so genannten Artist-Own-Labels gegeben, also Künstler, die ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen. Du musst nicht immer jeden Scheiß-Vertrag unterschreiben. Du kannst das selber, auch wenn wir vom Dreck umgeben sind. Ich würde heute Abend viel lieber da rausgehen und euch eine bessere Gesellschaft anbieten. Aber ich kann euch sagen: Wenn ihr ein paar Freunde findet, setzt eure Visionen um von 'nem selbstbestimmten Leben. Wir ham's gemacht. Und es geht.

    ka-news:

    "Unsere dümmliche Unschuld hat uns verdammt weit gebracht", hat dein Freund und Kompagnon Thees Uhlmann die aufkommenden Zweifel an der Gelassenheit ums Label kommentiert. Kann man mit solch einer Attitüde kalkulieren?

    Wiebusch: Das macht das "X" in der ganzen Sache größer. Du weißt nicht genau, wie du das Geld zusammenbekommst oder zurückzahlen sollst. Wenn Kettcar nicht funktioniert hätte, dann wären wir richtig geil verschuldet gewesen. Und das ist eine dümmliche Unschuld. Du weißt nicht wie, aber du machst einfach. Mit Glauben und Willen.

    ka-news: Die klassischen stürmischen Rock 'n' Roll-Jugendjahre habt ihr hinter euch bringen müssen ohne dass der Durchbruch gelingen wollte. Aber kommt der jetzige Erfolg in den gesetzten 30ern nicht just zu rechten Zeit?
    Wiebusch: Der Vorteil ist natürlich, dass du nicht mehr durchdrehst, kannst alles total realistisch einschätzen. Das ist super angenehm. Da ist auch keiner mehr abgedreht als wir zum ersten Mal bei "Rock am Ring" 50.000 Leute in Grund und Boden gespielt haben. Bei jüngeren Bands geht das viel mehr ins Bewusstsein, dieses Selbstzerstörerische, dass sie meinen plötzlich alles zu können. Dazu sind wir viel zu abgeklärt. Wir setzen uns dann Backstage zusammen, trinken Bier und sagen: "Ham wa gut gemacht!" Und das tun wir heute Abend auch. Da sind wir alte Männer, die das einfach richtig gut finden. Natürlich erleben auch wir unsere Kicks, aber diese Höhepunkte werden nicht mehr so unreflektiert, dumm ausgelebt. Auf der anderen Seite fühlt man sich oft ein bisschen müde von dem Leben auf Tour. Ich war zum Beispiel heute auch schon wieder anderthalb Stunden E-Mails abarbeiten. Warum? Weil ich 'nen Job hab: Mein Label, das mir meine Zukunft auch längerfristig sichern soll. Und ganz ehrlich, ich wünschte manchmal das müsste ich nicht. Und in jüngeren Jahren musste ich das auch nicht. Aber insgesamt genieße ich es dennoch sehr, dass der relative Erfolg eben erst jetzt gekommen ist.

    ka-news:

    Und das bei einer absoluten Entscheidungsmaxime, die da lautet: Gemacht wird was gefällt. Kritiker überschlagen sich zurecht, die neuen Alben von Olli Schulz (ka-news berichtete), Maritime (ka-news berichtete) oder der Hansen Band (ka-news berichtete) sind nur die jüngsten Beispiele. Purer Zufall, das bessere Händchen oder systematische Unterwanderung, indem man sich einfach in die richtigen Positionen bugsiert - etwa indem Thees für den "Musikexpress" schreibt?

    Wiebusch: Dieses Guerilla Marketing kannst du nur bedingt betreiben. Fakt ist einfach, dass wir offensichtlich mit ein bisschen Glück aber mit viel Instinkt Bands signen können. Ich will mich jetzt nicht so doll nehmen, aber keiner hat Tomte erkannt bis ich sie bei meinem ersten Label BA-Records unter Vetrag genommen habe. Da denkst du: "Seid ihr alle taub - das ist doch was!" Und bei Death Cab For Cutie war's genauso.

    ka-news: Wirklich kein Groll, dass die Jungs eurem Label den Rücken gekehrt haben?
    Wiebusch: Überhaupt nicht! Wirklich, das sehe ich total entspannt. Mir war irgendwie schon klar, dass man sie aufgrund dieses unfassbaren Erfolges in den USA sowieso nicht halten kann. Die verkaufen 200.000 auf so einem kleinen Label wie unserem, da stehen alle Schlange. Und dann legt man ihnen einen Kontrakt vor mit dem vier erwachsene Menschen ausgesorgt haben. Für den Rest ihres Lebens. Da unterschreibst du doch! Und wer's nicht tut, ist vielleicht noch von so einem Indie-Mythos umnebelt und fürchtet, dass er sich verraten würde. Aber ich glaube auch die Majors haben mittlerweile kapiert, dass du große Künstler wie Death Cab For Cutie einfach machen lassen musst. Und die neue Platte ist ja auch super.

    ka-news: Kam kein einziges Mal der Gedanke auf, das Grand Hotel ein wenig "aufzustocken", wieder mehr auf dümmliche Unschuld zu machen, um die Jungs mit allen Mitteln zu halten?
    Wiebusch: Das sind natürlich die Fragen, mit denen wir uns auch immer wieder rumschlagen. Aber wir erwarten, dass wir irgendwann wieder zurückgeworfen werden; uns einmal verhauen mit unseren Signings. Deshalb wollen wir momentan nicht wachsen. Und dann sind wir schließlich auch noch Musiker und schon das allein steht einem Wachstum entgegen. 2006 werd ich ganz, ganz wenig im Label machen, weil ich neue Songs schreiben möchte.

    ka-news:

    Und bei denen braucht's bekanntlich stets ein wenig Konzentration oder die entsprechenden Lebensumstände, um deinen Metaphern auf die Schliche zu kommen. Viele sagen, wer beim deutschen Indie-Rock nach dem Sinn im Gesungenen heischt, trägt auch Holz in den Wald - pardon, die Taube aufs Dach natürlich...

    Wiebusch: Also diesen Vorwurf kann ich beim besten Willen nicht verstehen. Wo steht bitte um alles in der Welt geschrieben, dass Texte eins zu eins zu verstehen sein müssen?! Was ist das denn anderes als Lyrik? Lyrik ist einfach nur eine Aneinandereihung von Wörtern mit dem Ziel, dem Gegenüber ein neues Gefühl von Sprache und eine neue Sicht auf Worte zu geben. Lyrik ist nur ein Vorschlag, meine Texte sind nur Vorschläge: Ich gebe dir Wörter an die Hand, die kannst du gut oder schlecht finden. Du musst sie dazu nicht verstehen. Und selbst wenn du sie nicht verstehst, können sie trotzdem richtig, richtig geil sein. So ist das jedenfalls bei mir. Ich bin ein großer Fan von Blumfeld und mich haben die Texte immer begeistert - obwohl ich nie alles verstanden hab. Es wird in meinen Texten immer diese Art Lyrik geben, bei der ich ganz genau weiß worum es geht. Und die 1.000 Leute in der Halle eben nicht. Erst dann erschließen sich für den Hörer neue Welten, setzt sich dein Geist in Bewegung. Und wenn ich dann mal zu plump bin, wie bei der Zeile "Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen", und die Leute sagen "Das ist jetzt aber unnötig kompliziert ausgedrückt", dann habe ich's nicht richtig gemacht. Aber oft gelingt es mir offensichtlich das ein bißchen raffinierter zu verpacken. So, dass die Leute sich berührt fühlen. Denn darum geht es letztendlich. Musik sollte immer berühren. Ich hab so viele Interpretationen meiner Texte aus so vielen verschiedenen Blickwinkeln gekriegt, dass ich damit nie aufhören werde. Ich sag nicht den Satz um des Satzes Willen - was viele andere deutsche Gruppen machen. Und genau das ist das Besondere an unserer Musik. Wenn du einfache Lösungen und Wahrheiten willst, musst du die anderen Bands anhören.

    ka-news:

    Aber du verbindest schon immer konkrete Erlebnisse mit einem Text?

    Wiebusch: Ja klar. Sogar bei "Landungsbrücken raus", den viele überhaupt nicht verstehen. Ich könnte jede Zeile in jedem Lied erklären. Aber ich mach's nicht. Weil ich dir die Projektion nicht rauben will.

    ka-news:

    Liege ich daneben, wenn ich behaupte, dass "Von Spatzen und Tauben" sehr viel melancholischer ausgefallen ist als euer Debüt "Du und wieviel von deinen Freunden"?

    Wiebusch: Melancholischer...?

    ka-news: Wenn ich an "Balu", "48 Stunden", "Anders als gedacht" oder "Tränengas im High-End-Leben" denke, könnte man etwa in einer Trennungsphase schon viel rausziehen...
    Wiebusch: Kuck mal an! Viele Leute sagen, dass das erste Album bei einer Trennung besser reinläuft. Aber da liegst du nicht falsch und nicht richtig mit. Du empfindest das einfach so. Es wird auf jeder Kettcar-Platte eine gewisse Grundmelancholie geben. Das wird wohl immer so sein - auch wenn uns die Sonne aus dem Arsch scheint.

    ka-news: Apropos Sonnenseiten: Seit "Keine Lieder über Liebe" steht ihr nun endgültig mit einem Bein im schnelllebigen Mainstream. Überrascht von der Sogwirkung?
    Wiebusch: Das ist eine völlig verzerrte Wahrnehmung. Was mir "Keine Lieder über Liebe" gebracht hat, ist die Erkenntnis, dass diese ganze Promotion-Maschinerie nur Schall und Rauch produziert. Promo ist nix, Fans sind alles. Meine Nachbarin würde sich nie ein Kettcar-Lied anhören, aber wegen des Films spricht sie mich an. Dabei ist die Hansen Band nicht mal halb so erfolgreich wie Kettcar. Wir verkaufen viermal mehr Platten, waren viel höher in den Charts. Versteh mich nicht falsch, "Keine Lieder über Liebe" ist ein gutes Album geworden. Und ich weiß, dass es sich auch in fünf Jahren noch verkaufen wird. Aber ich weiß auch, was es heißt, wenn du so plötzlich nach oben gehypt wirst: Nämlich gar nichts.

    Felix Gebhard, Max Schröder, Thees Uhlmann, Jürgen Vogel und Marcus Wiebusch sind die Hansen Band (Foto: pr)

    ka-news:

    Weit weniger überraschend war für viele die Erkenntnis, dass ein Jürgen Vogel nicht singen kann. Man mag dem Hansen-Frontmann bei den im Studio zurechtgepegelten Songs zum charismatischen Gebiss ja noch die entsprechende Gesangsstimme attestieren. Aber im direkten Vergleich ist es doch keine Frage wer vorne liegt, wenn Kettcars "Was hätten wir denn tun sollen" gegen den Hansen-Klon "Strand" antritt. Denkst du nicht manchmal auch: Ach, hätte ich's doch selber gesungen..."?

    Wiebusch: Jetzt wirst du aber hart. Ein ganz klares "Nein!". "Was hätten wir denn tun sollen" war der einzige Song, der schon vor "Keine Lieder" existiert hat. "Kreisen", "18. Stock" und "Sinkflug" habe ich hingegen eigens für Jürgen Vogels Filmcharakter geschrieben. Und damit war klar, dass ich sie nicht singen kann. Von dem Gedanken habe ich mich schon beim Komponieren verabschiedet. "Adieu, Marcus", hab ich gedacht...

    ka-news: Aber vielleicht können wir schon bald "Hello Hansens" sagen. Man munkelt ihr gebt demnächst einen Gig in Karlsruhe?
    Wiebusch: Wir spielen ja im Dezember noch drei Shows mit der Hansen Band und ich wünschte Karlsruhe wäre dabei gewesen. Aber es ist - aus welchen Gründen auch immer - Darmstadt geworden. Und wenn ich diese Tour hinter mir habe, dann ist eh erst mal für Monate Schluss!

    ka-news:

    Auch für die Hansen Band?

    Wiebusch: So weit ist es noch nicht. Der Jürgen hat ja dermaßen Bock weiter Musik zu machen. Aber Thees wird im Frühjahr mit der neuen Tomte-Platte genug zu tun haben, Max Martin Schröder geht mit seinem Soloprojekt ins Studio - vor Sommer ist mit der Hansen Band nicht zu rechnen. Aber wenn im August einer kommen sollte und sagt: "Hey, lass uns doch hier oder da mal ein Benefiz-Konzert spielen oder sogar 'ne kleine Club-Tour machen", wäre ich sofort dabei.

    ka-news: Hoffentlich gilt das auch für die Karlsruher Fanfrage. Du willst deine Texte zwar nicht erklären, aber was hat es bitteschön mit dem wichtigsten Finger von Carlos Santana auf sich?
    Wiebusch: (lacht) Der Text von "Stockhausen, Bill Gates und ich" ist doch von vorn bis hinten Quatsch! Aber okay, du musst das so sehen: Karlheinz Stockhausen und Bill Gates sind jene beiden Menschen auf der Welt, die am weitesten von mir entfernt sind. Der eine kulturell und der andere finanziell. Dennoch glaube ich, dass es immer einen kleinsten gemeinsamen Nenner gibt - selbst zwischen uns dreien; etwas, das wir bis auf die Knochen hassen. Und das ist Carlos Santana, der ohne seinen Daumen niemals wieder Gitarre spielen wird...

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