ka-news: Als selbsterklärter "Hamburger-Schule-Typ" hast du Texte sowie etwas Musik für eine Revue über Berlin geschrieben und es als "eine auf den ersten Blick absurde Kombination" beschrieben. Wo lag der Reiz an diesem Projekt?
Peter Thiessen: Abgesehen von der Tradition des Aufführungsortes, dem Berliner Friedrichstadtpalast, mit seinem versenkbaren Springbrunnen, der breitesten Bühne Europas und der längsten Girl-Reihe der Welt fand ich das Format Revue an sich äußerst reizvoll. Es vereint Altes und Modernes und lässt dem Texter sehr viele Freiheiten. Das ist ja weniger ein Musical als vielmehr eine Aneinanderreihung von einzelnen Nummern. Außerdem fand ich es interessant, mit "Rhythmus Berlin" eine Auftragsarbeit zu übernehmen, bei der das Konzept vorgegeben ist. Du arbeitet mit einem Riesenapparat zusammen, da sind Komponisten, die teilweise vom Broadway rüberkommen.
ka-news:
Wie kam es dann zu eurer neuen Platte "Kante Plays Rhythmus Berlin"?
Thiessen: Nachdem das Projekt beendet war, haben wir mit der Band zu einigen Texten nochmal eigene Musik gemacht. Die basiert großteils auf den gleichen Nummern, klingt aber wieder ganz anders als die Revue im Friedrichstadtpalast. Die Texte sind leicht variiert, damit sie auch außerhalb des Bühnenkontextes funktionieren.
ka-news: Berlin, der Inbegriff von Großstadt - grenzenlos, aber anonym. Das Thema "Metropole" kommt auch in früheren Kante-Texten zur Sprache. "Wer hierher kommt will vor die Tür" oder "Im Inneren der Stadt" - wie siehst du es? Freiheit oder Verlorenheit?
Thiessen: Es ist natürlich immer beides zugleich. Wenn es in Deutschland überhaupt eine Großstadt gibt, dann ist das Berlin. Und Berlin ist nicht so sehr eine Stadt aus der man kommt, sondern eine, in die man geht. Eine Stadt, deren Identität darin besteht, keine zu haben; die vor allem Leute vom Land oder aus kleineren Städten anzieht. Man kommt aus der Provinz und versucht hier seine Vorstellungen von Großstadt zu finden, zu inszenieren, auszuleben. Für diese Menschen schwingt da so ein Versprechen mit, sich freizumachen von den Zwängen der dörflichen Gemeinschaft.
ka-news: Wie schnell haben sich die übrigen Bandmitglieder von der Idee "Kante Plays Rhythmus Berlin" anstecken lassen?
Felix Müller: Am Anfang dachte ich schon: "Das hat doch mit Kante eigentlich gar nicht so viel zu tun." Aber dann war klar, dass das gar nicht in einem so engen Zusammenhang zur Revue steht, was wir draus machen. Wir sind dann ganz spontan ins Studio gegangen, ohne uns großartig vorzubereiten, und haben innerhalb von zehn Tagen probiert, arrangiert und eingespielt.
ka-news:
Deiner Rockattitüde frönst du ohnehin bei der Gruppe Sport. Wie lässt sich ein musikalisches Doppelleben bei zwei mittlerweile einigermaßen gut und noch einiges besser bekannten Bands vereinbaren?
Müller: Immer eines nach dem anderen. Aber im Anschluss an die Tour mit Sport habe ich schon gedacht: "So ein bisschen Pause wäre jetzt durchaus ganz nett gewesen..."
ka-news: Wie nahe seid ihr mit dem "Fall" (ka-news berichtete) an den Aufstieg in die erste Rockliga herangekommen? Immerhin lautete die euphorische Forderung aus dem Hause "Spex" nach dem Sport-Debüt "Bitte berühmt werden!"
Müller: Ja, das berühmte "Spex"-Zitat. Ist auch schon wieder eine ganze Weile her, "These Rooms Are Made For Waiting"...
ka-news: Mit Kante musstet ihr nicht so lange warten: "Die Summe der einzelnen Teile" vom zweiten Album "Zweilicht" lief gleich auf Rotation heiß. Wenn man sich allerdings eure Songstrukturen anschaut, habt ihr es gar nicht erst forciert, nach 2001 nochmals einen solchen Indie-Disco-Hit zu landen. Denn sie leben doch ein Stück weit von einem Glauben, der unserer Gegenwart vorauseilt? Oder ums mit der Gruppe Sport zu sagen: Es sind nicht die Millionen, es geht hier um Obsession?
Thiessen: "Die Summe" war ein Überraschungshit. Solche Gedanken machen wir uns im Vorfeld grundsätzlich nicht, also funktioniert dieser oder jener Song jetzt auf dem Dancefloor oder nicht.
ka-news: Worauf kommt es dann für dich beim Musikmachen an?
Thiessen: Ganz banal aufs Gefühl. Mich interessiert nicht ob mit Keyboards, Streichern oder Gitarren gearbeitet wird, das ist für den Kern der Sache nicht so wichtig. Wenn du einen guten Song hast, kann man den sowohl solo an der Gitarre spielen als auch mit einem ganzen Orchester. Das ändert nichts an seinem Grundgehalt.
ka-news:
Dabei wär's fast vorbei gewesen. Vor "Die Tiere sind unruhig" (ka-news berichtete) hatte ihr euch entfremdet, einige Bandmitglieder wollten auf unbestimmte Zeit pausieren. Wie habt ihr die Kurve bekommen?
Thiessen: Das "Zombi"-Album war eine extrem lange, kräftezehrende Produktion. Uns war klar, wenn wir jede Platte so aufnehmen, dann landen wir irgendwann alle in der Klapse; und wenn es weitergehen soll, dann muss es anders weitergehen. Wir haben viel miteinander gesprochen und eine andere Methode verfolgt: Ich hatte mich bis dahin immer dagegen gewehrt, der klassische Bandleader zu sein, wollte diese Verantwortung nicht übernehmen. Das war nach der Pause anders. Und damit hat sich einiges gelöst.
ka-news: Das Ende der Banddemokratie als Keim des neuen Kante-Schwungs?
Thiessen: Ich habe damals gesagt: "Macht ihr Pause, kümmert euch um eure anderen Projekte, ich schreibe derweil an neuen Stücken. Und als wir einige Zeit später im Proberaum zusammenkamen, wussten alle so ungefähr in welche Richtung es gehen soll.
Müller: Dadurch hat sich die Stimmung in der Band während der vergangenen zwei Jahre einfach total verändert. Nach der "Zombi" war alles irgendwie festgefressen...
Thiessen: Wobei nicht zur Debatte stand, ob man sich noch mag, aber wir hatten einfach das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wie man musikalisch und organisatorisch wieder zueinander finden kann. Wenn du jeden im Grunde fertigen Song noch fünfmal anders und besser zu spielen versuchst, verlierst du irgendwann das Gefühl dafür. Uns war wichtig, dass man den Spaß am Musikmachen wieder auf der Platte hören kann. Wir wollten Zügellosigkeit und Energie walten lassen anstatt alles bis ins letzte zu durchdenken. Und wenn irgendwo die Gitarre einmal ein bisschen schief klingt, dann ist uns das mittlerweile echt egal.
ka-news:
Rührt von diesem Umbruch die generelle Unruhe der "Tiere"-Platte, deren Sound ihr teils auch auf "Rhythmus Berlin" beibehalten habt?
Thiessen: Mit Sicherheit. Ich habe damals viel Gedankenballast über Bord geworfen, mich von dem unbedingten Willen verabschiedet, ein von vorn bis hinten durchkonzipiertes Meisterwerk abzuliefern. Wir haben so viele erfahrene musikalische Persönlichkeiten bei Kante, dass ich darauf vertrauen kann: Ganz gleich was wir machen - es kommt etwas richtig Gutes dabei heraus.