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Karlsruhe: Warum Karlsruhe die Treitschkestraße toleriert und Heidelberg sie verbannt

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Warum Karlsruhe die Treitschkestraße toleriert und Heidelberg sie verbannt

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    "Heinrich von Treitschke (1834 - 1896); Historiker, Publizist, Politiker; Heinrich von Treitschke trug mit seinen Publikationen dazu bei, dass Antisemitismus in der Kaiserzeit gesellschaftsfähig wurde. Die Straße wurde 1898 benannt. Die Benennung entspricht nicht mehr den heutigen Wertvorstellungen."
    "Heinrich von Treitschke (1834 - 1896); Historiker, Publizist, Politiker; Heinrich von Treitschke trug mit seinen Publikationen dazu bei, dass Antisemitismus in der Kaiserzeit gesellschaftsfähig wurde. Die Straße wurde 1898 benannt. Die Benennung entspricht nicht mehr den heutigen Wertvorstellungen." Foto: trs

    In der Stadt der Dichter und Denker sind die Tage der Treitschkestraße gezählt, wie die Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ) unlängst berichtete: Am 29. März werden die neuen Schilder für die künftige Goldschmidtstraße angebracht - 18 Jahren nach dem ersten Vorstoß wird die Straße nach den Gründern der Portheim-Stiftung, Leontine und Victor Goldschmidt, benannt. Auch eine Erläuterungstafel soll daneben prangen.

    Straßenname als Zeitdokument

    In Karlsruhe hingegen durfte die Treitschkestraße bleiben. Genau wie die Lüderitzstraße und die Wißmannstraße ist sie seit Frühjahr 2011 mit einer kritischen Hinweistafel versehen.  Die Ansätze in Karlsruhe und Heidelberg sind denkbar unterschiedlich: Während man in der "Stadt der Romantik" zum Ergebnis kam, dass "der Namensgeber Heinrich von Treitschke es aufgrund seiner antisemitischen Werke und Schriften nicht verdient habe, mit einem Straßennamen beehrt zu werden", wie die RNZ schreibt, verfolgte der Bauausschuss im Februar 2011 in der Fächerstadt eine andere Argumentation: Die Straßennamen sollen nicht ersetzt und damit ein Zeitdokument zerstört werden. Stattdessen ordnen kritische Schilder sie ein.

    "Die Stadt hat sich auch mit der Frage beschäftigt, ob heutige Maßstäbe auf eine historische Person oder ein Zeitdokument angewendet werden sollten", erklärt eine Sprecherin der Stadtverwaltung gegenüber ka-news. Auch habe man sich die Frage gestellt, wann eine Person eines Straßennamens unwürdig sei. Die Karlsruher Lösung versuche also, die Straßen in den historischen Kontext einzuordnen und anhand heutiger Maßstäbe kritisch zu beleuchten.

    Auch betroffene Bürger hätten sich damals gegen eine Umbenennung ausgesprochen - für die Anwohner wäre dies mit Kosten verbunden gewesen, denn sie hätten auch ihre Papiere und Unterlagen ändern lassen müssen. Zwar stimmten auch die Heidelberger gegen einen neuen Straßennamen - dort hat sich jedoch der Gemeinderat durchgesetzt. Beschwerden seien bislang nicht eingegangen, so die RNZ.

    "Diese Entscheidung steht für Karlsruhe"

    Die Karlsruher Grüne Gemeinderatsfraktion hatte in ihrem Antrag 2010 darauf hingewiesen, dass die Namenspaten keinerlei positive Rolle oder Vorbildfunktion erfüllt hätten und zumindest mit Hinweisschildern versehen werden müssten - bestenfalls umbenannt. Treitschke lieferte mit seinen Publikationen die Argumentationsgrundlage eines "bürgerlichen Antisemitismus". Lüderitz gelangte durch Betrug an ein großes Landgebiet in Afrika, das den Kern der späteren Kolonie Deutsch-Südwestafrika bildete. Von Wißmann, Kolonialgouverneur, wurde durch sein äußerst brutales Vorgehen gegen Aufständische in Deutsch-Ostafrika bekannt.

    "Wir waren aber dann vor einem Jahr damit einverstanden, dass die Straßen kritisch kommentiert werden und damit die Belange der Anwohner berücksichtigt werden", erläutert Stadtrat Michael Borner heute auf ka-news-Anfrage. Dem Vorschlag sei fraktionenübergreifend zugestimmt worden. Dass Heidelberg sich durchsetzt und Karlsruhe Kompromisse macht, erklärt er sich mit dem "Stimmungsbild einer Gemeinde". "Diese Entscheidung steht einfach für Karlsruhe, die Heidelberger Entscheidung für Heidelberg", so Borner.

    1987 wurde in Karlsruhe die Carl-Peters-Straße in Besselstraße umbenannt. Carl Peters war ein deutscher Politiker, Publizist, Kolonialist und Afrikaforscher mit stark ausgeprägter rassistischer Einstellung. Außerdem heißt in Palmbach die Walter-Tron-Straße inzwischen Gustav-Meerwein-Straße - dort hat bei der Neutaufung aber noch niemand gewohnt.

    Ebenfalls umstritten: Fritz-Haber-Weg

    Borner hat noch weitere Straßen auf der Liste, die er gerne erläutert oder ergänzt sehen würde. Dazu zählen die Fritz-Haber-Straße in Grünwinkel und der Fritz-Haber-Weg auf dem Unigelände. Haber, ehemals Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe, gilt als Vater der Giftgaswaffen. Wenige Tage nach dem ersten deutschen Giftgaseinsatz im Ersten Weltrkrieg beging seine Frau Clara Immerwahr - ebenfalls promovierte Chemikerin - deshalb Selbstmord. "Zum Beispiel könnte man mit den Straßen ebenfalls seiner Frau gedenken", regt Borner an. Am KIT hätten schon 2009 einige Mitarbeiter die Straße symbolisch in Clara-Immerwahr-Weg umbenannt.

    Die Moltkestraße habe offiziell einen Zusatz bekommen: Benannt war sie ab 1888 nach dem preußischen Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke, Chef des Generalstabes im Deutsch-Französischen Krieg. Heute erinnert sie zusätzlich an Helmut James Graf von Moltke, der als Gegner des Nationalsozialismus hingerichtet wurde.

    Bei einer nicht repräsentativen ka-news-Umfrage im Frühjahr 2011 gaben übrigens 38,1 Prozent an, sich nicht an der Treitschke- oder Lüderitzstraße zu stören. 33 Prozent der Umfrageteilnehmer stimmten für eine Umbenennung, 17,2 Prozent empfanden die Namen als kritisch, 11,63 Prozent hatten kein Interesse am Thema.

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