Nikolas, Sie setzen sich dafür ein, dass Jugendliche sich wieder mehr für Politik interessieren und dass ihre Interessen auch gehört werden. Eine ganz profane Frage vorweg: Warum interessieren und engagieren Sie sich für Politik?
Die Jugend ist meiner Meinung nach schon heute sehr politisch. Wir sehen das nur im Alltag oft nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir als junge Menschen ganz viel bewirken können. Allerdings läuft vieles nicht richtig. Es wird zu wenig auf die Jugend gehört und es gibt viele Missstände. Wenn es die Möglichkeit gibt, etwas zu verändern, dann sollten wir diese Initiative ergreifen. Wir, die hier in Deutschland leben, gehören zu den reichsten zwei Prozent der Weltbevölkerung und Nichtstun darf für uns keine Option sein.
Man spricht heutzutage oft von Politikverdrossenheit. Wie kann man junge Menschen wieder für Politik begeistern?
Man muss die Themen einfach dem Leben nahebringen. Oft sprechen Politiker mit unglaublich vielen Fachwörtern, die einfach abschrecken. Die Institutionen und Parlamente sind für viele Menschen einfach viel zu weit weg. Daher kann ich keiner Person übelnehmen, wenn sie sich gar nicht für die Arbeit der Vereinten Nationen interessiert. Das, was dort entschieden wird, scheint unglaublich weit weg zu sein. Doch man muss aufzeigen, dass das eben sehr nah am Leben ist, also zeigen, was wird dort entschieden und was ändert sich dadurch in deinem Leben. Dadurch kann man auch wieder Begeisterung schaffen.
Zusammen mit Josephine Hebling aus Mannheim sind Sie die diesjährigen deutschen UN-Jugenddelegierten. Beschreiben Sie Ihre Aufgaben, wie läuft so ein Jahr als Jugenddelegierter ab?
Unsere Aufgaben sind zweigeteilt. Zum einen absolvieren wir eine Deutschlandtour. Josephine und ich haben uns vorgenommen, dass wir das gleichmäßig auf alle Bundesländer aufteilen. Unser Fokus bei der Tour liegt vor allem auf den Jugendlichen, die häufig weniger gehört werden. Es gibt Jugendliche, die sind schon begeistert oder auch sogar an der Arbeit der Vereinten Nationen interessiert. Zu denen gehen wir natürlich auch, aber wir machen diese Tour auch für jene, die strukturell diskriminiert sind, die vielleicht in Jugendgefängnissen oder Jugendpsychiatrien untergebracht sind, die eine andere Lebenswelt haben. Das ist unser Ziel: Wir wollen ein realistisches Bild der Jugend zeigen.
Dabei fragen wir auch ganz viele Hauptschulen an. Hier finde ich es jedoch sehr traurig, dass wir zwar 20 Hauptschulen angefragt haben, aber da haben wir noch keine Antworten bekommen. Das heißt, dass uns dort eine andere Erwartungshaltung der Lehrer und Schulleitung entgegengebracht wird. Sie geben ihren Schülern nicht die Chance, sich zu äußern, weil sie glauben, dass dieses Modell für ihre Schüler nicht geeignet ist.

Das Andere sind dann die Vereinten Nationen. Die Forderungen der Jugend, die wir gesammelt haben, fassen wir zusammen und stellen dies schließlich in einer Rede vor der Weltgemeinschaft vor.
Dafür haben wir im Vorfeld noch einige Wochen lang eine intensivere Vorbereitung, bei der wir auch häufig im Auswärtigen Amt sind, um das strategische Vorgehen zu besprechen.
Zudem sind wir viel im Austausch mit Jugenddelegierten anderer Länder. Außerdem beraten wir die deutsche Delegation in den verschiedenen Verhandlungen. Dieses Jahr wird eine neue Jugendresolution verabschiedet. Das ist alle zwei Jahre. Dort versuchen wir die Dinge einfließen zu lassen, die der deutschen Jugend wichtig sind.
Wenn man über Jugend und Politik redet, kommt man gerade an einem Thema nicht vorbei: "Fridays for Future". Wie nehmen Sie diese Entwicklung wahr und wie zeigt sich diese in den Gesprächen, die sie mit Jugendlichen führen?
Wir hatten bislang keinen Workshop, in dem nicht mindestens eine Person bei "Fridays for Future" dabei war. Der Klimawandel bewegt die Jugend sehr stark. Was an "Fridays for Future" sehr bemerkenswert ist, dass die Jugend wieder unglaublich aktiv wird und wieder politisch ist. Die Erwachsenen nehmen das auch wahr.
Negativ finde ich den Umgang mit Aktivismus. Es wird nicht wertschätzend mit dem Engagement der jungen Menschen umgegangen. Das wird kleingeredet und am Ende beschweren sich wieder alle, dass die Jugend nichts mehr macht. Mir wurde auch schon von Personen aus dem Innenministerium gesagt: 'Jugendliche sollen erst einmal etwas für ihr Land tun. Wir tun ja jeden Tag etwas für unser Land.'
Es wird uns jungen Menschen doch oft eine Altersdiskriminierung entgegengebracht. Ich finde, man hat nicht nur dann das Recht, seinen Mund aufzumachen, wenn man Geld verdient. Das ist die falsche Herangehensweise der Politik. Wenn ein Jugendlicher etwas zu sagen hat, dann darf er das auch.

Auch das Thema Bildung bewegt viele junge Menschen. Was für Eindrücke und Erwartungen haben Sie hier bereits gesammelt?
Da gibt es zwei Punkte. Es wird zum einen sehr viel über internationale Bildungspolitik gesprochen, also Bildungsungerechtigkeit in anderen Ländern. 'Es ist ungerecht, dass ich hier solche Bildungsmöglichkeiten erfahren darf und andere Menschen in anderen Ländern nicht.'
Zum anderen muss Bildung auch umgedacht werden. Es gibt zum Beispiel Forderungen, dass wir wegmüssen von dieser Leistungsgesellschaft und wir mehr darüber hinaus denken müssen. Ideale, die Menschen in Vereinen lernen – also Toleranz, Respekt, Teamgeist – diese Ideale werden im Schulsystem viel zu wenig behandelt und sollten dort mehr einfließen.
Was waren andere, besonders häufige Themen oder konkrete Forderungen, die die Jugend bewegen?
Eine großes Thema in vielen Gesprächen war Gerechtigkeit, gerade auch im allgemeinen Gleichstellungsbereich. Denn viele Menschen fühlen sich in Deutschland ungerecht behandelt und diskriminiert. Auch Gesundheit ist ein großer Punkt, der viele beschäftigt. Dabei geht es insbesondere um unser Zwei-Klassen-Gesundheitssystem.

Es überrascht mich schon, dass einige Forderungen auch sehr fein ausgearbeitet und gut durchdacht sind. Da bin ich dann aber auch echt beeindruckt. Zum Beispiel ging es bei einem Besuch um die Forderung, keine Waffen mehr in den Jemen zu liefern, also eine Forderung, die auf eine bestimmte Tatsache zugeschnitten ist.
Auch die Radikalität mancher Forderungen ist spannend zu beobachten. Wir hatten beispielsweise die Forderung bekommen: Frauen first, Männer second. Da muss man sich natürlich auch erst einmal die Frage stellen: Was wollen die uns damit sagen?
Wie beurteilen Sie bislang die Jugendpolitik der UN, beziehungsweise allgemein: Wie gut wird die Jugend bislang gehört und wo muss man ansetzen?
Die Jugend ist schon ein wichtiges Thema für die UN: Bereits Anfang der 1980er wurde die Idee der Jugenddelegierten angebracht. Das Problem ist, dass den Jugendlichen die Möglichkeiten, die es eigentlich rechtlich gibt, nicht zugesprochen werden. Insgesamt haben wir natürlich in Deutschland unglaublich gute Chancen für die Jugend, wenn man dagegen in den internationalen Kontext schaut. Es gibt viele Länder, die bedauerlicherweise keine Jugenddelegierten entsenden.

Es muss noch viel gemacht werden. Denn es wird immer davon gesprochen, dass die Jugend die Zukunft sei. Das ist selbstverständlich. Die Jugend ist aber auch schon die Gegenwart. Man sollte sie daher nicht nur wie bislang beratend in ein paar wenige Entwicklungsprozesse, sondern schon jetzt aktiv in den Entscheidungsprozess mit einbinden. Die Jugend sollte in alle Entscheidungen der UN, aber auch auf Bundesebene, mit einbezogen werden. Davon sind wir aber noch ein ganzes Stückchen entfernt.
ka-news-Hintergrund
Bereits 1981 gab es von den Vereinten Nationen die Empfehlung an die Mitgliedsstaaten, ihre Delegationen um Jugenddelegierte zu erweitern, um so eine direkte Jugendbeteiligung zu sichern. Deutschland entsendet seit 2005 jährlich zwei Jugendvertreter nach New York. Diese werden jedes Jahr in einen langen und anspruchsvollen Bewerbungsverfahren ausgewählt und stehen den Diplomaten beratend zur Seite, um die Sichtweise der junge Bevölkerung hervorzuheben. Dies soll zu nachhaltigeren politischen Entscheidungen führen.
Ziel ist es, den Jugendlichen der Weltgemeinschaft eine Stimme zu geben. Dabei touren die Jugenddelegierten mehrere Monate durch ihr Land, um Jugendgruppen wie Pfadfinderverbände, Schulklassen, Gruppen aus Jugendzentren oder politischen wie kirchlichen Jugendorganisationen zu treffen und sich mit ihnen über die Themen zu unterhalten, die die jungen Menschen beschäftigen. In Karlsruhe stehen folgende Stationen an:
Am 16. und 17. Juli gibt es einen Vortrag an der Berta-von-Suttner-Schule in Ettlingen, am 20. und 21. Juli ein gemeinsamer Stand mit der "NaturFreundeJugend" auf Das Fest, und 24. Juli Vortrag an der Elisabeth-Selbert-Schule in Karlsruhe. Die Forderungen werden zusammengefasst und die Ergebnisse schließlich im Oktober in einer Rede vor dem dritten Ausschuss der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York präsentiert.
Im Februar 2020 haben die Jugenddelegierten ebenfalls ein Rederecht bei der Sozialentwicklungskommission. Alle zwei Jahre, und 2019 ist dies wieder der Fall, schreiben sie zudem an der Jugendresolution mit. "In der Jugendresolution stehen konkrete Empfehlungen, was Länder tun müssen. Sie müssen beispielsweise politische Teilhabe für Jugendliche schaffen, sie in Entscheidungsprozesse mit einbinden. Alle Formen von Familien müssen gefördert werden", so Nikolas Karanikolas gegenüber ka-news.de.