Das war selbst für Karlsruhe außergewöhnlich: Aufgrund von weich gewordenem Fugenmaterial fällt der gesamte Bahnbetrieb in der Fächerstadt aus. Mit einem Notbetriebskonzept und dem Einsatz von Schienenersatzverkehr-Bussen (SEV), versuchten AVG und VBK zu retten, was noch zu retten war.

Kurzum: Bis zum gestrigen Donnerstagmorgen lief der Stadtbahnverkehr auf Sparflamme. Die Reinigungsarbeiten, bei denen das Füllmaterial an den betroffenen Stellen abgetragen wird, werden derweil Stück für Stück fortgesetzt. Parallel läuft die Ursachenforschung weiter. Aber welche Ursachen kommen überhaupt in Frage und wer ist dafür verantwortlich?
Wohl mehrere Firmen daran beteiligt
Ex-Bürgermeister und Vorgänger von Daniel Fluhrer, Michael Obert, hat in einem vorangegangenen Gespräch drei Möglichkeiten für das Schienen-Debakel in Betracht gezogen: Materialfehler, Ausschreibungsfehler oder eine fehlerhafte Verbauung des Fugenmaterials. Dem stimmen auch diejenigen zu, die es eigentlich wissen müssten: Ingenieure und Geschäftsführer jener Firmen, die derartige Schienennetze verlegen. Doch dazu später mehr.
Allerdings gibt es in diesem ganzen Szenario ein Problem: Eine einzige Firma kann wohl kaum alleine die Verantwortung für das Karlsruher Schienen-Fiasko übernehmen. Der Grund: Da die Schäden an verschiedenen Orten in Karlsruhe aufgetreten sind, ist auch die Chance hoch, dass hier verschiedene Unternehmen ihre Finger im Spiel hatten.

Zumindest behauptet das ein Straßenbauunternehmen aus dem Karlsruher Landkreis, das in der Vergangenheit auch Schienen-Aufträge für die Stadt Karlsruhe ausführte. "Ich glaube nicht, dass es an irgendeiner Firma speziell gelegen hat. Karlsruhe ist in verschiedene Teilabschnitte gegliedert. Das betrifft dann gleich mehrere Firmen und da sind dann wiederum verschiedene Gewerke zugange. Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle", heißt es gegenüber ka-news.de.
Auf die Nachfrage, ob das eigene Unternehmen dazugehöre, antwortet der Geschäftsführer lediglich: "Wir haben da eine Nachfrage bekommen, aber ich möchte mich dazu noch enthalten."

Zwischen Schienen und Asphalt: Eine "kritische Schnittstelle"
Warum das Bitumengemisch allerdings geschmolzen ist, kann uns an anderer Stelle genauer erklärt werden: Gerald Helleisz ist Bereichsleiter im Gleisbau in Satteldorf-Nürnberg bei der Leonhard Weiss GmbH. "Dass es zu Verschmutzungen kommen kann, ist im Trambahnverkehr generell ein Problem, besonders was den Übergang zwischen Asphalt und den Schienen angeht. Das wird auch in Zukunft ein Problem bleiben", erklärt er gegenüber ka-news.de.
Denn dieser Übergang sei, so Helleisz, eine "kritische Schnittstelle" bei welcher es kein "Allgemeinrezept" in der Zusammensetzung des Fugenmaterials gebe.

Hinzu kämen viele Einflussfaktoren wie Temperaturunterschiede, Verkehrsauslastung oder ob das Gleis vielleicht ungünstig liegt, die bei der Verfugung berücksichtigt werden müssen.
Das heißt: Wann das Material ausgetauscht werden müsste, könne pauschal gar nicht gesagt werden. "Es ist klar, dass solche Fugengüsse länger halten, wenn sie nicht direkt der Sonne ausgesetzt sind wie zum Beispiel auf der Kaiserallee. Die Schienen werden dann ja auch nochmal heißer. Da können auch 'nur' 30 Grad problematisch werden", sagt Helleisz.
Gründe für das "Schienen-Fiasko"
Etwas kritischer sieht das jedoch der Geschäftsführer der HET Elastomertechnik GmbH aus Wiesbaden, Jean-Pierre Frottier. Er wird uns von Helleisz selbst als Experte im Bereich "Vergussmaterial zwischen Schienen und Asphalt" mit rund 30-jähriger Berufserfahrung weiterempfohlen. "In Deutschland unterliegt das Fugenmaterial strengen Qualitätskritierien und einer Norm, da dürften ein paar Tage 30 Grad eigentlich nichts ausrichten", sagt er.

Wie der ehemalige Bürgermeister Michael Obert, sieht auch Frottier mehrere Anhaltspunkte, die für das Szenario verantwortlich sein könnten. Dabei müsse man jedoch vorab wissen, dass 90 Prozent aller Fugenmassen auf Bitumenbasis hergestellt werden, die je nach Zusammensetzung in ihrer Elastizität variieren können. Denn: Bitumenmischungen haben den Vorteil, dass sie billiger sind, aber den Nachteil, dass sie nicht lange halten.

Laut Frottier könnte dem Schienen-Fiasko ein Qualitätsversagen zugrunde liegen. Ausgelöst durch eine falsche beziehungsweise nicht geeignete chemische Zusammensetzung des Materials, das nicht korrekt auf die Umgebung abgestimmt wurde. Frottier hält diesen Punkt sogar am wahrscheinlichsten, nachdem ihm die Bilder der verschmutzten Schienen und Räder vorgelegt wurden. Dafür spreche, dass das Problem nicht punktuell, sondern großflächig aufgetreten sei.

Der Fehler könnte jedoch auch in den Dimensionen und in der Verarbeitung des Fugengusses liegen. Das heißt: Wenn zu viel davon in die Lücke zwischen Schiene und Asphalt gefüllt wird, kann es dazu führen, dass Autoräder oder Bahnräder die Masse abreißen und mitschleifen. "In der Regel wird das Material zirka fünf Millimeter unter dem Schienenkopf vergossen, um die Lücke gegen Wasser abzudichten. Wenn das Material bis zum Kopf oben hin vollgegossen wird, dann quilt die Masse umso mehr auf. Weil je mehr Masse, desto mehr Erwärmung."
Was wäre die Alternative?
Hinsichtlich der stark befahrenen Straßen in Karlsruhe rät der Experte unter Vorbehalt dazu, die Lücken nicht mehr mit Bitumen, sondern gegebenenfalls mit einer Masse aus Elastomeren aufzufüllen. Die halten deutlich länger und können größeren Belastungen wie Sonneneinstrahlung und dichtem Verkehr auf längere Zeit standhalten. Nachteil: Verlegung und Auffrischung sind deutlich aufwendiger und teurer, als Mischungen mit Bitumen.

"Es sollte aber in diesem Zusammenhang erinnert werden, dass bitumenhaltige Schienenvergussmassen seit fast 100 Jahren in Deutschland eingesetzt werden. Natürlich sind die Anforderungen an diese Massen über die Jahre gestiegen und die diesbezüglichen Erfahrungen sind im Großen und Ganzen sehr gut", so Frottier im Gespräch mit ka-news.de. "Man sollte nicht generell auf Schienenvergussmassen auf Kunststoffbasis (Polyurethan oder Polysulfid) verweisen, aber bei denen wäre dieses Problem nicht aufgetreten."
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