Herr Professor Wehling, am 2. Dezember wird in Karlsruhe ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Welche Eigenschaften muss ein OB-Kandidat mitbringen?
In Baden-Württemberg gibt es bestimmte Muster: Die Bürgerinnen und Bürger erwarten einen Bürgermeister, der parteiunabhängig ist. Er darf Mitglied einer Partei sein, muss sein Amt aber als Bürgermeister aller Bürger verstehen. Auch erwarten die Bürger, dass er etwas von Verwaltung versteht. Er muss Zukunfts-Pläne für die Stadt haben und bürgernah sein. Zudem sollte er von außen kommen, damit er in der Stadt nicht schon seine Freunde und Feinde hat. Im Badischen findet man allerdings eine Abweichung von diesem Muster. Hier orientieren sich die Wähler viel stärker an der Partei, auch Herkunft von außen und Verwaltungserfahrung spielen eine geringere Rolle.
Wie kommt das?
Das ist historisch gewachsen und hängt mit der Kulturkampf-Tradition zwischen liberalem Staat und katholischer Kirche zusammen. Und mit der Größe der Stadt. Denn vor allem in Großstädten spielen Parteizugehörigkeiten eine größere Rolle. In kleineren Gemeinden können die Bürger noch alles persönlich beobachten und sich über längere Zeit ihr eigenes Bild vom Kandidaten machen. In Gemeinden von der Größe Karlsruhes ist das schwieriger. Hier ist das Parteibuch des Kandidaten für den Wähler oft eine Orientierungshilfe. Das trifft in Baden sehr viel stärker zu als in Württemberg.
Karlsruhe wählt traditionell CDU. Hat ein Kandidat der SPD oder der Grünen in einer CDU-Hochburg grundsätzlich schlechtere Chancen?
Im Prinzip schon. Wenn die Leute sich stärker an der Partei ausrichten, dann hat natürlich ein Vertreter der Minderheitspartei die größeren Probleme. Das muss er versuchen, durch eine gewisse Ausstrahlung, durch Ideen für die Stadt und durch praktizierte Bürgernähe zu kompensieren. Ein Kandidat kann das schon ausgleichen, er muss sich aber gewaltig Mühe geben.
In der Karlsruher CDU wird es zu einer Kampfabstimmung zwischen der Ersten Bürgermeisterin Margret Mergen und dem Bundestagsabgeordneten Ingo Wellenreuther kommen. Schadet die CDU sich damit selbst?
Wenn damit nicht eine tiefe Zerstrittenheit der Partei sichtbar wird, dann schadet das nicht.
Welcher der beiden hätte bei den Bürgern bessere Chancen?
Das ist aus der Ferne schwer zu beurteilen. Frau Mergen hat sich bereits gut profiliert als ehemalige Wirtschaftsbürgermeisterin in Heilbronn und jetzt in Karlsruhe als Erste Bürgermeisterin. Sie ist eine Frau, das ist heute kein Nachteil. Im Gegenteil - Frauen können ganz anders mit Menschen umgehen. Zudem ist sie durch ihr Amt in den Medien präsent.
Bei Wellenreuther könnte man fragen, hat der nicht immer schon zu viele Ämter gehabt? So könnten manche Wähler sagen, der steckt schon überall drin, im Bundestag und im Gemeinderat und jetzt will er auch noch Oberbürgermeister werden. Da könnte eine gewisse Distanzierung entstehen, auch bei CDU-Anhängern. In anderen Gemeinden wäre das ziemlich tödlich, wenn sich einer aus dem Gemeinderat bewirbt. Das ist nicht unbedingt ein Vorteil. Als Stadtrat und Bundestagsabgeordneter hat er in der Stadt starke politische Bataillonen, ob die sich aber in Stimmen umsetzen lassen bei einer Oberbürgermeisterwahl, das ist die Frage.
Wellenreuther ist auch Präsident des Karlsruher SC. Inwiefern kann dies eine Rolle spielen, positiv wie negativ?
Das erhöht natürlich seinen Bekanntheitsgrad. Dennoch ist es schwer einzuschätzen. Wenn ein Verein sportliche oder finanzielle Probleme hat, dann kann man nicht unbedingt einen Vorteil darin sehen, wenn man Präsident von diesem Verein ist. Wenn man es allerdings geschafft hat, den Verein zu sanieren und an die Spitze zu führen, dann mag das durchaus ein Plus für einen Kandidaten sein.
Beide haben in einer anderen Stadt schon mal für das Amt des OB kandidiert und verloren. Ist das ein Nachteil?
Das Etikett, ein Verlierertyp zu sein, ist nicht sonderlich vorteilhaft. Aber beide, Mergen wie Wellenreuther, haben dasselbe Handicap. Nämlich schon mal kandidiert zu haben und durchgefallen zu sein. Er in Mannheim, sie in Rastatt. Da sind sie sich gleich, da hat keiner einen Vor- oder Nachteil. Beide haben schon mal was einstecken müssen. Sie haben beide aber dadurch auch Wahlkampferfahrung gewonnen.
Was sagen Sie zu den möglichen SPD-Kandidaten Sozialbürgermeister Martin Lenz und Staatssekretär im Kultusministerium Frank Mentrup?
Auch Martin Lenz kennt man in Karlsruhe durch sein Amt. Frank Mentrup ist von Hause aus Arzt, er kommt aus Mannheim und hat seinen Wahlkreis in Ettlingen, weil es in Mannheim Verwerfungen innerhalb der SPD gegeben hat. Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Parlamentarischer Staatssekretär, dass sagt den Leuten nicht so viel. Die Inhaber dieses Amtes überschätzen häufig ihren Bekanntheitsgrad und den Eindruck, den sie mit ihrem Amt auf die Leute machen.
Wie sieht der perfekte Kandidat aus?
Er sollte ein solider Typ sein. Das heißt, nicht unbedingt drei Mal verheiratet und aus der Kirche ausgetreten sein. Das würde nicht so solide klingen. Wenn man sich die Wahlprospekte anguckt, lassen sich die Männer häufig mit Frau, Kindern, Hund ablichten. Familie ist für männliche Kandidaten eher ein Vorteil. Bei Frauen gibt es die Überlegungen, kann die das alles bewältigen, lässt die Ihre Familie nicht im Stich?
Inwiefern ist der Geburtsort mitentscheidend? Hat eine Politgröße von außen oder ein Ur-Karlsruher bessere Chancen?
Es kann von Vorteil sein, wenn der Kandidat sich in der Stadt auskennt. Das gilt insbesondere für Großstädte wie Karlsruhe, Mannheim oder Stuttgart. Aber auf der anderen Seite haben die Leute Angst, wenn einer schon alles dominiert.
Wie hoch ist eigentlich die finanzielle Belastung für einen Kandidaten? Ich habe einmal gehört, der Kandidat muss sich mit einer etwa fünfstelligen Summe in den Wahlkampf mit einbringen.
Nach meinen Berechnungen kostet ein Wahlkampf für einen Kandidaten pro Einwohner etwa einen Euro. Es ist üblich, dass etwa zehn Prozent der Summe vom Kandidaten selbst aufgebracht werden muss. Der Rest kommt durch Spenden herein und von der Partei. Aufgrund dieser Kosten betrachtet man das Ganze in größeren Städten mehr parteipolitisch. Denn die Kandidaten sind auf das Geld und die Unterstützung von Parteien angewiesen.
Das Gespräch führte ka-news-Redakteur Moritz Damm
Mehr zur Oberbürgermeisterwahl in Karlsruhe haben wir für Sie in unserem Dossier zur Wahl zusammengefasst.