Sie ist die Hüterin des Brunnens samt schöpfendem Knaben. Der "Brunnenjunge" war ihr Vater. "Das ist für mich das Andenken an meinen Vater und meine Kirche", so Sigrun Roßwaag im gemeinsamen Gespräch mit ka-news.de. "Im Sommer halte ich den Brunnen sauber und bewahre ihn vor Schmierereien und Müll. Im Winter bepflanze ich den Brunnen und schmücke ihn festlich."

Der Brunnenknabe als Schrein für Sigruns Vater
Leider werden ihre Bemühungen nicht von jedermann geschätzt: "Es war ein Schock! Ich bin an dem Brunnen vorbeigelaufen und sehe - der Knabe wurde um zirka 5 Zentimeter angehoben." Vermutlich habe jemand das Abbild ihres Vaters klauen wollen. Ohne Erfolg. "Schon am nächsten Tag hat sich aber die Stadt darum gekümmert und die Statue wieder befestigt." Laut Sigrun schätze die Stadt sehr ihr Engagement. Sie ist eine offizielle Brunnenpatin der Stadt Karlsruhe.

Im gemeinsamen Gespräch berichtet die pensionierte OP-Schwester von dem prägenden Leben ihres Vaters.

Karl Josef Roßwaag wird als Modell entdeckt
Der Brunnenknabe wurde "im Dörfle", im alten Karlsruhe, geboren, weiß Sigrun. An dem Ort, wo sich heute die Brauerei Vogel befindet: "Mein Vater war das älteste von fünf Kindern." Als Sohn eines Möbelschreiners und Restaurators, der im Schloss für den Großherzog arbeitete, wurde die Familie aufgrund ihrer besonderen Verdienste in den sogenannten Niederadel aufgenommen.
"Eines Tages ist ihm dann ein Mann hinterhergelaufen: Konrad Taucher." Sigrun weiß von ihrem Vater, dass dem Künstler die drahtige, sportliche Figur des 9-jährigen Roßwaags aufgefallen sei. Darum habe Taucher ihn als Modell haben wollen.

Den Auftrag, eine Statue für einen Trinkbrunnen vor der Kleinen Kirche zu gestalten, habe Taucher laut Sigrun direkt vom Herzog erhalten: "Damals gab es noch keine Trinkwasserversorgung wie heute." Solche Trinkbrunnen seien daher von großer Bedeutung für die Versorgung der Stadtbevölkerung gewesen.
Roßwaag wird in den Krieg eingezogen
Als junger Mann war es für Roßwaag ungewöhnlich, einen so präsenten Brunnen zu zieren. Im Laufe seines Lebens habe dies jedoch keine Rolle mehr gespielt, erklärt Sigrun, obwohl die Kunst den jungen Roßwaag stets begleitet habe. "Mein Vater war von Beruf Kunstschmied und Ziseleur – ein Beruf, der heute gar nicht mehr existiert."

Das Leben hatte den Brunnenknaben stark gezeichnet. "Er war ja im Ersten und im Zweiten Weltkrieg." Im Ersten Weltkrieg verlor der damals junge Mann sein Gehör, während die Folgen des Zweiten Weltkriegs für Roßwaag noch weitreichender waren.
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war Roßwaag bereits verheiratet und hatte drei Töchter. Im Krieg wurde sein Bein schwer verletzt; eine Granate riss ihm das Wadenbein heraus. Sigrun erinnert sich an die schwierigen Zeiten: "Ich habe als kleines Kind nach dem Krieg täglich sein Bein verbunden."
Roßwaag baute im zerbombten Karlsruhe ein Haus für die ganze Familie
"Mein Vater war durch den Krieg stark gezeichnet und geschädigt. Doch er vollbrachte wirklich Unmögliches. Nach dem Krieg baute er mit seinen drei Töchtern in der Erzbergerstraße ein zweieinhalbstöckiges Haus." Die Mädchen hoben die gesamte Baugrube von Hand aus, mit Pickel und Schaufeln. Das Erdreich transportierten sie mit einem Schubkarren über Dielen, während ihr Vater das Haus errichtete.

An der Stelle, wo heute die amerikanischen Bauten der Besatzungsmächte stehen, befand sich ein Bahnwärterhaus aus Backsteinen, das zerbombt worden war. Sigruns Vater kaufte das Bahnwärterhaus der Stadt Karlsruhe ab, riss die Backsteine ein und brachte sie mit seinem Fahrradanhänger auf den Bauplatz. Dort saßen die drei Töchter mit Hämmern und putzten die Backsteine, während ihr Vater sie verbaute.
"Alles wurde selbst gemacht. Es war erstaunlich, was nach dem Krieg möglich war. Man nahm das, was man hatte, und überlegte, wie man damit etwas schaffen konnte." Sigrun erklärt: "Er wollte einfach für seine Familie ein Zuhause, ein Dach über dem Kopf haben."

Zuletzt wollte er einen Schrebergarten haben: "Vor dem Haus gab es einen Vorgarten, in denen die Familie Kartoffeln pflanzte, aber das Essen war auch noch lange nach dem Krieg sehr knapp."
Roßwaag verstarb im Alter von 70 Jahren
Abschließend erklärt Sigrun: "Mein Vater wurde 70 Jahre alt und verstarb am 19. September 1967. Er hatte keine Reserven mehr; er war total ausgemergelt." Zu diesem Zeitpunkt litt er an schwerem Asthma, und seine Lunge war stark geschädigt. Er starb im St.-Vincentius-Krankenhaus in Karlsruhe.
"Was der Mann in die Hand nahm, das wurde was!"
Sigrun hatte stehts höchste Achtung vor Ihrem Vater. Er sei stur und widerstandsfähig gewesen. Ein großes Vorbild für die heutige Rentnerin: "Mein Vater war ein außergewöhnlicher Mensch. Er hatte ja keine besondere Schulbildung außer der normalen Volksschule, aber er war künstlerisch derart begabt. Was der Mann in die Hand nahm, das wurde was!"
