Zunächst erklärt Joachim Ritter vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), wie er als Seismologe Aussagen über nahende Erdbeben und ihre Auswirkungen treffen kann. "Wir können aus historischen Katalogen und Katalogen gemessener Erdbeben der letzten 100 Jahre rekonstruieren, wo und mit welcher Stärke Erdbeben aufgetreten sind." An diesen Orten könne dann auch auf zukünftige Erdbeben geschlossen werden.

Am KIT, genauer im Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM), wird Risikoforschung betrieben. "Ich selbst arbeite mehr an der Gefährdung (was kann passieren) als am Risiko (mit welcher Wahrscheinlichkeit treten welche Folgen ein)", sagt Ritter. Um das beurteilen zu können, ist der Experte auf Informationen von heute und aus längst vergangenen Tagen angewiesen.
Urzeitliche Gewalten
Als grundlegender Antrieb für den Aufbau von Spannungen im Untergrund, die sich ruckartig als Erdbeben entladen könnten, gelte in Mitteleuropa die Kollision der Afrikanischen mit der Eurasischen Lithosphärenplatte - besonders im Bereich der Alpen, die dadurch überhaupt erst geformt wurden, wie der Landeserdbebendienst Baden-Württemberg auf Nachfrage der Redaktion erklärt.

Wie katastrophal die Auswirkungen eines Bebens möglicherweise werden oder wie gering, wird aus den historischen Erdbeben abgeschätzt, erklärt der Experte. "Weiterhin können über numerische Simulationen der Erdbebenwellenausbreitung die erwarteten Bodenbewegungen berechnet werden."
Aus der Vergangenheit lernen
Das KIT hat gemeinsam mit der RWTH Aachen, in der Nähe von Ettlingen, nach geologischen Spuren sehr alter Erdbeben gesucht. Hierbei habe sich gezeigt, dass in geologisch sehr junger Zeit Erdbeben mit mindestens Magnitude 6 in unserer Region aufgetreten seien. "Französische Kollegen haben das auch für den Westteil des Oberrheingrabens gezeigt", so Ritter.

Die Magnitude gibt die freigesetzte Energie eines Erdbebens an. Sie kann aus Seismogrammen, die an Erdbebenmessstationen aufgezeichnet werden, durch Experten wie Joachim Ritter oder seine Kollegen beim Landeserdbebendienst ermittelt werden. "Die Auswirkungen eines Erdbebens auf Menschen, Gebäude und Umwelt werden dagegen phänomenologisch mit der sogenannten makroseismischen Intensitätsskala beschrieben", erklärt der Landeserdbebendienst.
Die Meldungen über Spürbarkeit und Schadenswirkung bilden dabei die notwendige Informationsgrundlage. Die unterschiedlichen Auswirkungen lassen sich dann in sogenannten makroseismischen Karten darstellen, wie sie auf der Internetseite des Landesamts für Geologie, Rohstoffe und Bergbau des Landes Baden-Württembergs zu sehen sind: www.lgrb-bw.de/erdbeben/erdbebenmeldung.
1948: Erdbebenserie bei Rheinstetten
Aber wie sieht es mit der seismischen Aktivität in und um Karlsruhe heute aus? Laut Ritter ist die seismische Aktivität derzeit sehr ruhig. "Das letzte spürbare Mikroerdbeben ereignete sich im September 2014 mit Magnitude 2,3." Im Jahr 1948 gab es bei Rheinstetten eine ganze Serie von Erdbeben, von denen drei deutlich von der Bevölkerung verspürt wurden, ergänzt der Landeserdbebendienst.

"Auch wenn diese Beben in weiter Vergangenheit liegen, so sollten wir uns dennoch auf mögliche Erdbeben vorbereiten", meint der Seismologe aus des KIT. Denn: In einem worst-case Szenario würde in Karlsruhe und Umgebung eine oberflächennahe Störung über einige Kilometer Länge reißen, was ein Erdbeben bis Magnitude 6 zur Folge hätte.
Szenario für Karlsruhe
Für die Einschätzung eines solchen Szenarios reiche die alleinige Betrachtung der Erdbebengefährdung nicht aus, meint der Landeserdbebendienst. "Viel mehr muss hier das Erdbebenrisiko betrachtet werden. Dieses berücksichtigt außer der reinen Erdbebengefährdung noch die Vulnerabilität (also Verletzlichkeit) und das Schadenspotenzial." Das Erdbebenrisiko sei somit in Ballungszentren bei gleicher seismischer Gefährdung deutlich höher als beispielsweise in dünner besiedelten ländlichen Gebieten.

Möglichen Gebäudeschäden könnten durch herunterfallende Trümmer (Ziegel, Schornsteine et cetera) eine Gefahr für Passanten darstellen, erklärt der Seismologe vom KIT. Weiter sei es möglich, dass die kritische Infrastruktur in Form von beispielsweise Gasleitungen beschädigt würden. "Es ist wichtig, dass wir uns auf mögliche Erdbeben vorbereiten, indem wir beispielsweise sicherstellen, dass unsere Gebäude erdbebensicher gebaut sind", betont Ritter.
Gefahr ist selten, aber da
"In einigen Regionen jedoch, vornehmlich entlang des Oberrheins, in der Niederrheinischen Bucht, im Alpenvorland, auf der Zollernalb und im Vogtland, kommt es immer wieder zu spürbaren und selten auch zu schadensverursachenden Erdbeben", erklärt der Landeserdbebendienst. Auch wenn die Erdbebengefährdung in Deutschland globalen Vergleich als gering eingestuft werde, so sei das Gefahrenpotenzial in den besagten Gebieten als moderat - und damit als nicht vernachlässigbar - einzustufen.

Dies gelte vor allem für Baden-Württemberg. "Mit den Gebieten am Oberrhein, auf der Zollernalb und am Bodensee/Oberschwaben liegen drei der deutschlandweit am stärksten gefährdeten Regionen in Baden-Württemberg", so der Erdbebendienst. Am nordrhein-westfälischen Niederrhein gebe es eine ähnlich hohe Erdbebengefährdung, allerdings sei der Flächenanteil in Baden-Württemberg deutlich größer.

Ein hoher Gefährdungsgrad bedeutet jedoch nicht, dass unweigerlich eine Katastrophe ansteht. "In Anbetracht der Ausdehnung der hierzulande bekannten tektonischen Störungen und der historisch überlieferten Erdbebenereignisse ist ein Erdbeben weit oberhalb einer Magnitude von 7 in Baden-Württemberg kaum vorstellbar und damit sehr unwahrscheinlich", erklärt der Landeserdbebendienst abschließend.