Eigentlich lief Yamens Leben gerade in geordneten Bahnen: Rund zwei Stunden von seiner Heimatstadt Homs entfernt, arbeitete er als angehender Mediziner in einem Krankenhaus in Aleppo im Norden Syriens. Der junge Mann lebte mit seiner Ehefrau in einer Stadt, die als Vorzeigestadt und neben Mekka als "Hauptstadt der Islamischen Kultur" galt. Das war allerdings, bevor die Situation in seinem Heimatland vollkommen außer Kontrolle geriet. Vor dem brutalen Eroberungszug des Islamischen Staats. Und vor allem vor diesem einen Anruf.

(Wo einst Wirtschaft und Handel florierten, dominieren heute Ruinen Yamens Wahlheimat Aleppo. Große Teile der Stadt sind zerstört.)
"Wenn du deine Frau nicht verlässt, werden wir sie töten"
Wenige Jahre sind seit dem Tag vergangen, als Yamens Leben aus den Fugen geraten ist. Heute lebt der 34-Jährige in einer Flüchtlingsunterkunft in Karlsbad-Fischweiher. Auf den ersten Blick scheint es dem jungen Mann aus Syrien gut zu gehen. Er lächelt zwar viel, doch im Gespräch wird deutlich, dass es in ihm brodelt. Yamen wirkt ruhelos, immer wieder steht er auf und läuft durch den Raum.
Ihn treiben Sorgen um, tagsüber und auch nachts. Wie geht es seinen Eltern in Syrien? Und wie geht es vor allem seiner Frau? Immerhin hat er sein Leben in Aleppo aufgeben, um sie zu schützen, erzählt er im Gespräch mit ka-news. Seine Flucht begann mit einem Anruf: "Drei Monate, nachdem wir geheiratet haben, rief mich eine unbekannte Person an", berichtet Yamen.

(Yamens Weg nach Karlsruhe war nicht ganz einfach.)
Der Anrufer hatte eine eindeutige Forderung. "Man sagte mir, dass man meine Frau töten würde, wenn ich sie nicht verlasse", erinnert sich Yamen. Der Grund: Yamens Frau lehnte eine Verschleierung ab. Zunächst habe er das Ganze für einen Scherz gehalten, meint Yamen. "Als ich eines Tages im Krankenhaus gearbeitet habe, kam ein weiterer Anruf. Ich weiß nicht, ob es die gleiche Person war. Aber sie sagte mir, dass sie wisse, dass meine Frau gerade allein zu Hause ist."
Yamen flieht von Land zu Land
Yamen brachte seine Frau bei seiner Familie in Homs unter, auch er verließ Aleppo. Bis 2013 blieb er allerdings in Syrien, erzählt der 34-Jährige, immer in der Hoffnung, zu seiner Frau zurückkehren zu können. Doch dann habe er einen Brief von der syrischen Regierung erhalten. Yamen sollte als Soldat im syrischen Konflikt kämpfen. Am 24. April 2013 fiel seine Entscheidung: Yamen floh aus Syrien. Sein Weg führte ihn zunächst in das Nachbarland Türkei, von da aus ging es weiter nach Kairo. "Ich habe dort mit meinem Freund in einem Krankenhaus gearbeitet", erzählt Yamen.
Nach einem Monat habe es dann erste Probleme mit der konservativ-islamischen Muslimbruderschaft gegeben, die in diesem Jahr unter Staatspräsident Mohammed Mursi wesentlichen Einfluss auf Ägypten ausübte. Yamen bekam es mit der Angst zu tun. "Immerhin war ich vor dem Krieg in Syrien geflohen und in Ägypten allein." Mit den 600 Dollar, die Yamen besaß, ließ er sich daraufhin in ein Dorf nach Libyen bringen. Dort blieb Yamen bis August 2014 - "dann wurde die Situation wie in Syrien."
"Deutschland, das ist für uns wie ein Traum"
Für Yamen bedeutete dies: Er musste sich erneut auf die Flucht begeben. In der libyschen Hafenstadt Bengansi angekommen, heuerte Yamen Schlepper an, die ihn sicher über den gefährlichen Seeweg nach Europa bringen sollten. Das Ziel: Deutschland. "Deutschland, das war ein Traum für Leute wie mich", so der Flüchtling. Genügend Geld, um auch seine Frau aus Syrien zu bekommen, habe er nicht gehabt, beteuert Yamen. Sein Plan: Nach seiner Ankunft wollte er seine Frau nachholen. Nachdem er eine Summe von rund 2.000 Dollar bezahlte, begann die Reise über das Mittelmeer mitten in der Nacht.
Doch auch diese Etappe seiner Reise hielt Probleme bereit. "Es waren rund 300 Personen auf dem Boot", schildert Yamen. Zunächst lief alles nach Plan, dann aber versagte der Motor des Bootes. "Vier Tage trieben wir auf dem Meer", beschreibt Yamen die Situation. Zur Rettung kam der Flüchtlingsgruppe ein indisches Schiff, das in Richtung Griechenland unterwegs war. "Als die Leute hörten, dass es nach Griechenland gehen sollte, gab es Unruhen unter den Flüchtlingen", so Yamen. Der Kapitän habe sich - vermutlich auch aus Angst vor einer Eskalation der Lage - dazu entschlossen, die 300 Flüchtlinge in Sizilien abzusetzen.
Einen Tag später erreichte Yamen dann das lang ersehnte Europa. "Ich war so glücklich, als ich in Sizilien ankam", berichtet er. Vor Ort habe er erst einmal ein Handy gekauft und seine Frau kontaktiert. Die Erleichterung war groß: Ihr und seiner Familie ging es gut. Yamens Reise sollte in Sizilien allerdings nicht zu Ende sein: Über Mailand und Verona erreichte er am 1. September 2014 die bayrische Landeshauptstadt München. Nach elf Tagen stand dann fest: Der Flüchtling Yamen Al Moyabed soll in der Landeserstaufnahmestelle (LEA) in Karlsruhe registriert, untersucht und untergebracht werden.
Hintergrund bei ka-news:
Der Syrienkonflikt ist seit Jahren Dauerthemen in den Medien. Geprägt ist dieser Konflikt durch die militärische Auseinandersetzung zwischen den Truppen der Regierung von Präsident Baschar al-Assad und mehreren Oppositionsgruppen. Assad folgte im Jahr 2000 seinem Vater als Staatspräsident nach. Anfängliche Hoffnungen der Opposition auf tiefgreifende Reformen konnte der junge Nachfolger nicht erfüllen.
2011 eskalierte dann die Situation: Angesichts der Unzufriedenheit erfasste der Arabische Frühling auch Syrien. Assad ging daraufhin gegen die eigene Bevölkerung vor, was zu Sanktionen der EU-Komission gegen die Assad-Familie führte. In der zweiten Hälfte des Jahres 2011 begannen sich die Regierungsgegner verstärkt zu bewaffnen und gegen die regulären Streitkräfte zu kämpfen.
Seither wird das Land von einer ganzen Reihe verschiedener Konflikte gebeutelt. Neben dem Kurdenkonflikt und Auseinandersetzungen zwischen ethnisch-religiösen Gruppen (Sunniten, Schiiten, Alawiten, Christen oder Drusen) drängen auch Kampfverbände wie etwa der sogenannte "Islamische Staat" (IS) oder Al-Kaida gewaltsam in syrische Städte vor. Der selbst erklärte IS wird zur Zeit an zwei Hauptfronten im Irak und an zweien in Syrien bekämpft.
Die syrische Armee hat eine Offensive auf Al-Rakka, die Hochburg der Terrormiliz Islamischer Staat im Norden des Landes gestartet. Mit Luftunterstützung eigener und russischer Kampfjets seien die Truppen von Machthaber Baschar al-Assad in die Provinz Al-Rakka vorgerückt, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die Vereinten Nationen versuchen unterdessen, von Damaskus eine Genehmigung für Hilfslieferungen aus der Luft in belagerte Gebiete zu erwirken.
Ausführliche Informationen zum Syrienkrieg finden Sie hier.
Wie geht es für Yamen weiter? ka-news begleitet den syrischen Flüchtling im Rahmen der Serie "Gestrandet in Karlsruhe: Ein Flüchtling erzählt seine Geschichte" bei seinem Weg in der Fächerstadt. Kommende Woche: Nach seiner Flucht über das Mittelmeer landete Yamen als Flüchtling in der Karlsruher Landeserstaufnahmestelle. Wie es ihm dort erging, lesen Sie bei ka-news!
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