Wenn Thierry Wiss morgens um 8.30 Uhr auf der Arbeit ankommt, stehen als allererstes die Zugangskontrollen auf dem Programm. Während seine Tasche und Jacke in einer Kiste unter dem Röntgengerät verschwinden, steht der Franzose in der Schleuse, die ihn anhand seiner gespeicherten biometrischen Daten identifiziert.

Willkommen beim Joint Research Center!

Die Daten stimmen überein, die Türe öffnet sich: Willkommen auf dem Gelände des Joint Research Centers (JRC), rund zehn Kilometer nördlich von Karlsruhe.

Rundgang im Joint Research Center
Wie am Flughafen: Der erste Sicherheitscheck am Joint Research Center (JRC). | Bild: ka-news.de

Thierry Wiss ist Atomforscher, er untersucht unter dem Mikroskop winzige Proben radioaktiver Stoffe. Sein Arbeitsplatz, das JRC, ist das Atomforschungszentrum der Europäischen Union.

Hier soll Wissen geschaffen werden, das Europa und somit jedem einzelnen Bürger dient. Mit ihm sollen die Endlagerung verbessert und die bestehenden Kernkraftwerke sicher gemacht werden.

Das Dosimeter ist das wichtigste Arbeitsgerät

Nach dem Sicherheitscheck, ähnlich der an einem Flughafen, führt der erste Weg zu einer Wand voll Schließfächer. Wiss gibt einen Pincode ein und ein Fach springt auf. Er nimmt seine Zugangskarte an sich, die ihm ab hier die Türen zu den Laboren öffnet.

Rundgang im Joint Research Center
In den mit einem Code gesicherten Schließfächern finden sich die Zugangskarten. | Bild: ka-news.de

Will er das Gelände wieder verlassen, muss die Karte wieder an Ort und Stelle eingeschlossen sein. Sonst verwehren ihm die Sicherheitsmitarbeiter den Weg. "Ab und zu vergisst man es und hat die Karte abends noch in der Tasche, dann muss man zurück", sagt er mit einem Schmunzeln.

Rundgang im Joint Research Center
Der Büroflügel des Joint Research Centers. | Bild: ka-news.de

Durch ein Drehkreuz, vorbei an zwei weiteren Sicherheitsmitarbeitern, geht es in die Umkleiden. Ein weißer Kittel und weiße Schuhe sind ab hier Pflicht.

Doch das wichtigste Utensil für die Arbeit ist ein kleines, graues Gerät, dass sich Wiss an seinen Kittel klemmt: das sogenannte Dosimeter. Es misst, wie hoch die Strahlenbelastung ist.

Rundgang im Joint Research Center
Ohne Dosimeter darf keiner der Wissenschaftler in die Labore: Es misst die Strahlenbelastung. | Bild: ka-news.de

Brennstäbe werden mit Roboterarmen zerkleinert

"Wir sind hier im Jahr einer Strahlung von insgesamt maximal zehn Millisievert ausgesetzt", sagt Wiss im Gespräch mit ka-news.de. Zum Vergleich: Laut dem Bundesamt für Stahlenschutz beträgt die natürliche Umgebungsstrahlung rund 2,1 Millisievert im Jahr.

Das Arbeiten in den Laboren sei in dieser Hinsicht allerdings in keinster Weise gefährlich, betont Wiss. Ein einziger Transatlantikflug würde bereits eine höhere Strahlung verursachen als zwei Monate  tägliche Arbeit in den Laboren. 

Rundgang im Joint Research Center
Jeder Mitarbeiter nimmt sich sein Dosimeter aus einem der Fächer. | Bild: ka-news.de

Für seine Arbeit mit dem Mikroskop benötigt Wiss nur winzige Proben der Brennstäbe, deshalb führt der erste Weg zu den "heißen Zellen". Mit Roboterarmen werden hinter 90 Zentimeter dicken Ölfenstern die Brennstäbe zerteilt. 

Rundgang im Joint Research Center
Hinter gelben Ölfenstern können die Brennstäbe mit Roboterarmen bearbeitet werden. | Bild: ka-news.de

Milchkannen transportieren radioaktive Probe

Die Proben, mit denen Thierry Wiss arbeitet, liegen im Gramm- oder sogar Milligramm-Bereich. Dennoch ist Vorsicht geboten, werden sie von den "heißen Zellen" in die anderen Labore transportiert.

Das winzige Stück Brennelement wird in einen Bleicontainer eingebettet, dieser in Plastik versiegelt und das nun entstandene kleine Päckchen in nichts anderes gelegt als - eine Milchkanne. "Es hat sich herausgestellt, dass das einfach am praktischsten ist", erklärt Wiss. 

"Nicht kontaminiert"

Der Weg in das Labor von Thierry Wiss führt durch eine Metallschleuse, einen Ganzkörper-Monitor. Der Platz darin reicht gerade für eine Person aus. Eine Metallplatte senkt sich herab und kommt nur wenige Zentimeter über seinem Kopf zum stehen.

"Fünfzehn, vierzehn, dreizehn...", ertönt eine Frauenstimme. Bei Null angekommen, folgen die erlösenden Worte: "Nicht kontaminiert" - die Türe auf der anderen Seite öffnet sich. 

Rundgang im Joint Research Center
Der Weg in die Labore führt durch eine Metallschleuse. | Bild: ka-news.de

Thierry Wiss leitet das Team "Mikroanalysen", eine Gruppe von acht Personen. Er selbst ist Franzose, aber auch Italiener und Deutsche teilen sich das Labor. Sie erforschen hier im Miniaturformat, was in den großen Atomkraftwerken der Welt im Falle eines Unfalls passieren würde.

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Unter dem Mikroskop werden kleine Proben der Brennstäbe untersucht. | Bild: ka-news.de

"Atomunfall" im Mikroformat

"Zum Beispiel schauen wir uns unter dem Mikroskop an, wie sich die Brennstoffe verhalten, wenn sie einer höheren Temperatur ausgesetzt sind", sagt Wiss. "Aus den kleinsten Proben kann man sehr viel lernen."

Ihr Wissen soll der Europäischen Union zeigen, wie sie die Bürger vor den Gefahren der Atomkraft am besten schützen können. Bestehende Atomkraftwerke sollen mit den Erkenntnissen sicherer gemacht werden.

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In den Laboren ist oft Präzisionsarbeit gefragt. | Bild: ka-news.de

Doch selbst die winzig kleinen Teile der Brennstäbe dürfen nicht ohne Schutz unter das Mikroskop gelegt werden. Sie werden in sogenannte Handschuhkästen eingeschleust. Mit einer schützenden Glasscheibe und unter Stickstoff können die Forscher die Proben dann - mit Gummihandschuhen - unter die Mikroskope legen.

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Über Gummihandschuhe können die Forscher mit den Proben hantieren. | Bild: ka-news.de

"Letztes Jahr haben wir Proben aus Tschernobyl untersucht"

Das Herzstück des Labors ist größer als jeder der Wissenschaftler: das Transmissions-Elektronenmikroskop . Mit ihm können die Forscher ihre Proben bis auf die Atomar-Ebene vergrößern und in eine Welt blicken, die ihnen mehr über die Eigenschaften der Brennstoffe verrät. Lange Zeit war es das einzige dieser so hoch auflösenden Mikroskope weit und breit. 

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Das Transmissionselektronenmikroskop. | Bild: ka-news.de

"Letztes Jahr haben wir Proben aus Tschernobyl untersucht", erzählt Thierry Wiss. Auch ein Stück des Planeten Mars sei in seinem Labor schon einmal unter der Linse gelegen. Doch wie passt das mit den Forschungszielen des JRC zusammen? "Das war eher aus persönlichem Interesse", sagt Wiss. Einen Beitrag zur Forschung habe allerdings auch diese Untersuchung geleistet.

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Im Nebenzimmer forscht sein Kollege Bert Cremer jedoch tatsächlich an einem kosmischen Thema. Im Auftrag der ESA soll eine Batterie entwickelt werden, die im All besonders lange Energie liefert - eine "Space-Batterie". Dafür könnte radioaktives Material zum Einsatz kommen.

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Bert Cremer, Wissenschaftler am JRC. | Bild: ka-news.de

Boxtraining im betriebseigenen Fitnessraum

Wenn um 16.30 Uhr die Labore schließen, führt der Weg von Thierry Wiss nicht immer direkt nach Hause. Mit Boxhandschuhen ausgestattet geht es nach dem Ende seiner offiziellen Arbeitszeit für ihn heute in den betriebseigenen Fitnessraum.

"Mein Neujahrsvorsatz für dieses Jahr ist, öfter hier zum Sport zu gehen", sagt er augenzwinkernd. Möchte er sich danach auf den Heimweg machen, stehen nach dem Training aber erst einmal zwei Sicherheitskontrollen an.

Dann steht Thierry Wiss wieder auf der andere Seite der Eingangspforte - nach vielen Sicherheitschecks, nach Brennstäben in Milchkannen, und einem anstrengenden Boxtraining. Zeit für den Feierabend.

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