"Wut, Frust, Eifersucht, Stress - solche überwältigenden Gefühle sind häufig Auslöser für häusliche Gewalt. Das ist der Unterschied zum Banküberfall: es ist nicht geplant", erklärt Hans-Peter Menke von der Beratungsstelle.
Über 800 Personen kamen bisher. Davon waren etwa 160 von der Justiz als Auflage oder Weisung dazu verpflichtet worden. Seit Anfang der Neunziger Jahre gibt es dieses "Passauer Modell" zur Gewaltprävention: Lässt man sich nach dem ersten Vorfall beraten, wird von der Strafe noch einmal abgesehen.
"Der Mann ist nicht der 'Böse' - Aber er ist kräftiger"
Die große Mehrheit lässt sich zum Gang zur Beratungsstelle überreden - sei es durch die Polizei, einen anderen Sozialdienst, oder den Partner. "Die wenigsten kommen wirklich von sich aus. Es gibt immer Druck von außen, meistens von der eigenen Frau", sagt Hans Kowatsch vom Verein der Jugendhilfe Karlsruhe, zu der auch die Beratungsstelle als eine ihrer "ambulanten Maßnahmen" gehört. Während die Jugendhilfe schon seit 50 Jahren existiert, entstand die Beratungsstelle erst nach der Jahrtausendwende im Rahmen des Karlsruher "Projekts Häusliche Gewalt". Spätestens seit dieser Zeit ist solche Gewalt auch kein "Kavaliersdelikt" mehr - die Polizei muss jeden Fall anzeigen.
"Der Mann ist nicht der 'Böse', aber er ist kräftiger", erklärt Menke. Die Eskalation gehe von beiden Seiten aus, doch der Mann müsse lernen: potentiell stärker zu sein heißt auch, gefährlicher zu sein. "Das Mittel der Wahl lautet: Weggehen, aus der Situation rausgehen", so Menke. Das sollen die Männer in seinem Anti-Gewalt-Training lernen. Gruppen von acht bis zwölf Männern treffen sich hier 16 Mal in drei Monaten und versuchen ihre Probleme unter Leitung von Trainer Menke in den Griff zu bekommen. "Anfangs herrscht in der Gruppe meist große Anspannung, aber am Ende ist eine ebenso starke Lockerung zu spüren. Irgendwann beginnt einer über sich zu erzählen und die Männer sind von sich aus auch recht ehrlich", meint Kowatsch.
Zum Training gehört etwa das Reflektieren eigener Probleme. In einem biographischen Teil geht es um die Frage: "Wie bin ich so geworden?". In der "Konfrontationsphase" soll jeder Teilnehmer seinen wunden Punkt finden. Es gibt auch Tatnachstellungen mit Schlagkissen. Menke räumt ein, dass es sich bei dabei natürlich um "Laborsituationen" handle, aber durch die anderen "Kenner" seien sie trotzdem sehr realistisch: "Da sitzen dann quasi sieben 'Fachleute' drumherum und sagen: 'Nein, so schwach hast du sicher nicht zugeschlagen' ". Bei den Treffen ist immer auch eine weibliche Co-Trainerin anwesend, denn in der sonst reinen Männergruppe sei natürlich auch die Sichtweise einer Frau gefragt. "Die muss schon etwas aushalten können, also etwa schräge Frauenbilder", sagt der Anti-Gewalt-Trainer.
Ein Problem quer durch alle Schichten
Die Teilnehmer kommen dabei aus allen Schichten und Altersgruppen. "In unserem Training sitzt der Arbeitslose neben dem leitenden Angestellten oder neben einem ehemaligen Häftling", erzählt Menke. Gerade Leute aus der Mittelschicht seien bereit, sich mit ihrem Gewaltproblem auseinander zu setzen. "Die Altersspanne reicht von überforderten jungen Vätern um die 18, 20 bis zu Rentnern jenseits der 60", sagt Menke.
Solche Unterschiede gäben aber nie Probleme, denn alle seien durch ein gemeinsames Thema verbunden. Das führe zu gegenseitiger Unterstützung und Solidarität, bis hin zu privaten Treffen. Oft sage einer zum anderen: "Ich bin froh, dich hier getroffen zu haben und deine Geschichte zu hören - vielleicht wäre mir das gleiche passiert", so Menke. Viele Männer haben früher selbst Gewalt erfahren. "Oft rufen Leute an, die sagen: 'Ich habe mir geschworen, so etwas niemals selbst zu tun - und jetzt habe ich es doch getan", erzählt der Trainer.
Auch Frauen schlagen zu
Schließlich kommen auch immer wieder auch Frauen selbst zur Beratungsstelle - als Täter. Dass ihre Zahl viel niedriger ist als die der Männer, liegt zum Teil an der juristischen Ungleichbehandlung von psychischer und körperlicher Gewalt. Letztere wird in der Tat häufiger von Männern angewandt, ist aber im Gegensatz psychischer Gewalt auch leichter zu definieren und nachzuweisen. "Trotzdem gibt es auch einige Frauen, die ihre Männer schlagen - das ist eine Realität", versichert Menke. Bisher habe die Stelle Frauen zwischen 19 und 45 Jahren betreut. Im Sommer 2013 gibt es für sie ein eigenes Training, natürlich unter weiblicher Leitung.
Von den rund 100 Personen, die die Stelle pro Jahr berät, schwankt der Frauenanteil bisher zwischen sechs und 30. Neben dem Anti-Gewalt-Training werden auch Einzelgespräche, Entzugsvermittlungen und Paarberatungen angeboten. Zu letzterem gehört auch das "Tandemgespräch" unter Anwesenheit eines Beraters für den Mann und einer Beraterin für die Frau. So können etwa persönliche Probleme, Zukunftspläne, Schutzmaßnahmen oder auch nur die Übergabe der Kinder von getrennt lebenden Partnern besprochen werden, ohne dass es zur Eskalation kommt.
"Es geht darum, dass die beiden nicht nur getrennt voneinander und dadurch vielleicht ganz gegensätzlich beraten werden", erklärt Menke. Die sehr gute Zusammenarbeit mit den Karlsruher Frauenberatungen sei dabei durchaus nicht selbstverständlich. Bisher war die Beratungsstelle an 36 Tandems beteiligt. "Es lohnt sich zu kommen. Väter sagen etwa, sie hätten danach einen intensiveren Bezug zu ihren Kindern", so Kowatsch. Man sei "nah am Therapeutischen, ohne wirklich Therapie zu sein".
"Ohne eine Grundbereitschaft wird es nichts"
Natürlich klappen Beratung und Training nicht immer. "Gerade die mit Auflage versuchen es oft nur auszusitzen", sagt Menke. Dann drohe schlimmstenfalls der Ausschluss aus der Gruppe. "Ohne eine Grundbereitschaft wird es nichts", meint auch Kowatsch. "Und wer mit einem Alkoholproblem oder zugekifft zu uns kommt, den schicken wir natürlich erst einmal in den Entzug", sagt Menke. Knapp 200 von den bisher rund 270 Teilnehmern schlossen das Anti-Gewalt-Trainings erfolgreich ab.
Zur langfristigen Wirkung des Trainings hat man allerdings keine sicheren Erkenntnisse. "Wir können nicht sagen: So jemand ist nie wieder gewalttätig. Aber wir können sagen, wie sich ein Mann während des Trainings und in diesem Zeitraum auch zuhause verhalten hat", erklärt Kowatsch. Das Feedback von anderen sozialen Diensten zur Arbeit der Beratungsstelle sei sehr positiv und gerade bei der Jubiläumsfeier deutlich zum Ausdruck gekommen.
"Ein Beitrag zum sozialen Frieden in der Stadt"
"Ich denke, wir leisten wirklich einen Beitrag zum sozialen Frieden in der Stadt", so Kowatsch. Die Beratung helfe nicht nur den einzelnen Trainingsteilnehmern, sondern wirke zum Beispiel auch auf Jugendliche, wenn ihre Väter eine vorbildhaftere Rolle einnähmen.
"Wir bemerken einen Trend, dass die Leute besser vorbereitet zu uns kommen", sagt Menke und meint damit die anderen Sozialdienste. "Der Anstieg in den Beratungszahlen bedeutet aber nicht eine tatsächliche Zunahme der Gewalt, sondern eine größere Sensibilisierung für das Thema in der Gesellschaft", so der Anti-Gewalt-Trainer. Es gebe eine deutliche höhere Bereitschaft sich mit dem Problem häuslicher Gewalt auseinanderzusetzen: "Viele kommen jetzt schon nach der ersten Ohrfeige, bevor mehr passiert."
Siehe auch:
Wenn Frauen ihre Männer schlagen - Anti-Gewalt-Training in Karlsruhe