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Berlin/Dresden: Debatten über 2G Regel: "Ausschluss der Ungeimpften führt zu einem Antiimpfheroismus"

Berlin/Dresden

Debatten über 2G Regel: "Ausschluss der Ungeimpften führt zu einem Antiimpfheroismus"

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    Andreas Gassen geht davon aus, dass die Infektionszahlen im Herbst noch einmal steigen.
    Andreas Gassen geht davon aus, dass die Infektionszahlen im Herbst noch einmal steigen. Foto: Michael Kappeler/dpa

    Sachsen ist Vorreiter. Als erstes Flächenland nutzt der Freistaat gegen die rasant steigenden Corona-Zahlen umfassend 2G. Nur Geimpfte und Genesene dürfen nun in Restaurants, Kneipen oder Diskotheken, ein negativer Test nützt nichts.

    Darüber wird heftig gemurrt, unter anderem von Gastwirten. Doch wird Sachsen wohl nicht alleine bleiben. Millionen Menschen in Deutschland müssen sich darauf einstellen, bald im Alltag den Impfpass vorzulegen - oder vor der Tür zu stehen.

    Auf der Tagesordnung stehen 2G-Regeln auch in andern Bundesländern wie Berlin, Brandenburg, Baden-Württemberg und Bayern. Eine Option sind sie überall, wo Infektionszahlen in die Höhe schnellen und Kliniken voll laufen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verteidigt die Beschränkungen für Ungeimpfte als Notbremse, um Schlimmeres abzuwenden: den Lockdown für Geschäfte und Lokale. Aber Experten und auch Politiker sind erstaunlich uneins, ob und wie 2G wirkt. Ist die Regel am Ende sogar schädlich?

    2G: Aus medizinischer Sicht nachvollziehbar

    "Aus medizinischer Sicht ist die 2G-Option grundsätzlich nachvollziehbar", sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, der Deutschen Presse-Agentur. Aber sie sei schwer umsetzbar. "Außerdem werden durch eine verpflichtende Einführung vor allem verfassungsrechtliche und gesellschaftspolitische Fragen aufgeworfen, die nicht von Medizinern beantwortet werden können." AfD-Chef Tino Chrupalla wählt drastische Worte. Katastrophal sei der Schwenk zu 2G, er werde zur sozialen Spaltung führen, sagte Chrupalla dem Sender Phoenix.

    Selbst am medizinischen Sinn haben einige Fachleute Zweifel. 2G gebe eine "Scheinsicherheit", kritisierte Virologe Jonas Schmidt-Chanasit am Wochenende im Deutschlandfunk. Auch Geimpfte könnten sich infizieren und das Virus übertragen. Wirkliche Sicherheit gäben nur Tests bei allen, ob geimpft, ungeimpft oder genesen. Er nannte das 1G. Sein Kollege Hendrik Streeck wandte beim Redaktionsnetzwerk Deutschland ein: Wenn Ungeimpfte ausgeschlossen würden, ließen sie sich womöglich noch weniger testen und feierten ungetestet zuhause.

    Hendrik Streeck, Direktor des Institut für Virologie an der Uniklinik in Bonn.
    Hendrik Streeck, Direktor des Institut für Virologie an der Uniklinik in Bonn. Foto: Federico Gambarini/dpa

    Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow - der in seinem Bundesland ähnlich dramatische Corona-Zahlen hat wie Sachsen - ist ebenfalls auf Distanz zu 2G. Sein Argument: Wer soll das alles kontrollieren? Und was nützen Regeln, die niemand überwacht? Wer kürzlich im Café oder Restaurant war, weiß, wie unterschiedlich gültige 3G-Regeln durchgesetzt werden. Ob jemand geimpft, genesen oder frisch getestet ist: Oft fragt danach niemand.

    Politik will Ungeimpfte nicht unter Druck setzen

    Spürbar ist in der Politik aber auch ein Unbehagen, Ungeimpfte unter Druck zu setzen. Die Debatte wurde schon zu Beginn der Impfkampagne geführt und nie wirklich aufgelöst. "Keine Sonderbehandlung für Geimpfte! Eine Unterscheidung zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften kommt einer Impfpflicht gleich", warnte damals Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in der "Bild am Sonntag". Das Interview steht bis heute prominent auf der Webseite seines Ministeriums.

    «Es ist eine ganz fiese politische Methode, die man auf jeden Fall unterbinden muss», sagt Bundesinnenminister Horst Seehofer.
    «Es ist eine ganz fiese politische Methode, die man auf jeden Fall unterbinden muss», sagt Bundesinnenminister Horst Seehofer. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

    Gegenspieler war damals Außenminister Heiko Maas (SPD). Er forderte, Geimpften früher als anderen wieder den Besuch in Restaurants oder Kinos zu erlauben. "Geimpfte sollten wieder ihre Grundrechte ausüben dürfen", sagte Maas damals der "BamS". Die Debatte war voreilig, weil Impfstoff noch knapp war. Aber das Dilemma bleibt: Darf man Menschen benachteiligen, die sich gegen das Impfen entscheiden? Treibt das den Keil noch tiefer zwischen der Mehrheit der Geimpften und der Minderheit der Skeptiker?

    Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD).
    Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). Foto: Stefanie Loos/AFP Pool/dpa

    Für den Vizechef des Deutschen Ethikrats, Julian Nida-Rümelin, ist das ein "unnötiger Stresstest", wie er dem RND sagte: "Jetzt durch Ausschluss aus sozialen, kulturellen oder ökonomischen Aktivitäten die Nichtimpfwilligen zu zwingen, sich impfen zu lassen, führt zu einem Antiimpfheroismus, bei dem die Menschen stolz darauf sind, dass sie Widerstand leisten."

    Die Meinung teilen aber nicht alle im Ethikrat. Die Vorsitzende Alena Buyx schloss im Sommer Vorrechte für Geimpfte und Genesene nicht grundsätzlich aus. "Ich hoffe sehr, dass die Situation nicht so schlecht wird, dass man 2G überhaupt flächendeckend einsetzen muss", sagte Buyx damals im ZDF. Für ein Gespräch hatte Buyx jetzt kurzfristig keine Zeit. Ihr Büro bestätigte aber, dass der Ethikrat keine abgestimmte Position zu 2G habe.

    Impfzahlen in Sachsen gehen bereits hoch

    Wie auch immer man zu 2G steht, eine Begleiterscheinung der Debatte ist bereits zu beobachten: Die Impfzahlen gehen hoch - selbst in Sachsen, das bisher die niedrigsten Impfquote Deutschlands vorweist. Auch in Baden-Württemberg steigt die Nachfrage, in Berlin, Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern. Dort sah sich der Impfstützpunkt Greifswald "tageweise völlig überrannt", wie der Landkreis Vorpommern-Greifswald mitteilte.

    Auf einem Schild wird vor einem Restaurant in Dresden auf die 2G-Regel hingewiesen.
    Auf einem Schild wird vor einem Restaurant in Dresden auf die 2G-Regel hingewiesen. Foto: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa

    Die überall wieder extrem steigenden Corona-Fallzahlen tragen sicher dazu bei, aber auch 2G erhöht den Druck. "In einzelnen Rückmeldungen wird die zunehmende Anwendung von 2G als Grund für die Impfentscheidung angeführt", berichtete der Sprecher von Nordwestmecklenburg, Christoph Wohlleben.

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