Nach dem Leinwandabenteuer seiner Kunstfigur Ali G ist Britanniens Bad-Taste-Komiker Number One Sacha der rohe Baron Cohen also wieder "in da House", klebt sich einen Schnurrbart an und reist im Auftrag von Volk und Vaterland als kasachischer TV-Journalist Borat Sagdiyev nach "US und A". Seine Mission: Die Heimat mit Erkenntnissen über die westliche Kultur zu befruchten. Sprichwörtlich, denn Borats Entdeckertrip wird zur romantischen Heldenreise: Er verliebt sich in "Baywatch"-Nixe Casey Jean "C.J." Parker alias Pamela Anderson - eine der wenigen Protagonisten, die willent- und wissentlich an Cohens Projekt mitgewirkt haben.
Der Kinotipp von Patrick Wurster
Wer Cohens "Ali G In Da House" um sein Alter Ego des arglosen HipHop-Proleten im Kino gesehen hat oder seine erfolgreiche Fernsehserie kennt, weiß freilich nur zu gut, was ihn da über 82 Kinominuten erwartet: Humor, den man mögen muss; bitterböse, furchtlose, dreiste und aufreizend provokante Narretei, umgesetzt in einer politisch höchst unkorrekten, anarchischen Improvisationskomödie, die nicht nur das Klischee bis weit ins Groteske überzeichnet, sondern neben viel Schamlosigkeit auch noch so manch schmerzliche Wahrheit zutage fördert.
Borat beim Gang durch sein Heimatdorf, das in Wahrheit in Rumänien gelegen ist (Foto: pr) |
In Borats Worten klingt das dann so: "Kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen." Apropos befruchten: Die Werbetrommel rührte Cohen in seiner Filmrolle Borat jüngst auch bei Stefan Raabs "TV Total" und pries dem ProSieben-Lästermaul ohne Umschweife seine Schwester an, immerhin "Nummer-vier-Prostituierte von ganz Kasachstan". Dort hat er sich nichts zu schulden kommen lassen, was einen Gang vor den Kadi rechtfertigen würde. Im Borat-Interview mit "Welt.de" rühmte die Figur (und nicht etwa Baron Cohen selbst!) jedoch ein kasachisches Hotel, in dem es ein Gehege gebe, "wo Kinder auf Eichhörnchen, Hunde und Zigeuner schießen können".
Für Borat ist die Fahrstunde eine zutiefst unterhaltsame Veranstaltung (Foto: pr) |
Für das Europäische Zentrum für Antiziganismusforschung ist da Schluss mit lustig. Der Verein geht (seinerseits?) in die Offensive bezieht sich dabei auch auf eine Szene, die im Film-Trailer auf der Website zu sehen war und im Film nach wie vor zu sehen ist: Dort erkundigt sich der Titelheld beim Autoverkäufer, ob der Wagen Schaden nehme, wenn er in eine Gruppe Zigeuner brettern würde und wie schnell er denn sein müsse, um die Menschen auch wirklich tot zu fahren. Der Herr Verkäufer gibt geduldig Auskunft. Abgesehen vom Aufruf zur Gewalt gegen Sinti und Roma sieht das Europäische Zentrum für Antiziganismusforschung auch den Begriff "Zigeuner" wieder gesellschaftsfähig gemacht. Man hat gegen Cohen wie Verleih sowie gegen einige TV-Sender, die den Trailer ausgestrahlt haben, Klage wegen "volksverhetzender Aussagen" eingereicht. "Jagshemash!"
Und auch die Kasachen fühlen sich von diesem "Landsmann" irgendwie nicht so richtig gut vertreten. Das kann man einerseits nachvollziehen, doch wittert die Regierung des zentralasiatischen Landes gleich eine politische Verschwörung. Albern. Denn Borat, zugegeben ein Schwein von einem Mann aus einem Land vollkommener Rückschrittlichkeit, spricht nicht nur mit einem frei erfundenen Akzent samt eingestreutem, ebenfalls fiktiven kasachischen Vokabular; sein Kasachstan, das er dem Zuschauer sehr erheiternd zu Filmbeginn samt Dorfvergewaltiger und besagter Schwester vorstellt, liegt im wahren Leben mitten in Rumänien. Man könnte freilich fragen, warum Cohen nicht gleich ein gänzlich fiktives Land erschaffen hat. Und die Antwort liegt auf der Hand: Er will natürlich provozieren, schert sich nicht um "No Gos". Und das ist sein gutes Recht.
Stilsicher? Eher nein. Stilprägend? Ganz bestimmt! (Foto: pr) |
Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis auch die ersten Antisemitismusvorwürfe laut werden. Dabei muss man Borats lächerliche Juden-Phobie, die mal als Asseln durchs Zimmer wuselnd mit Geldscheinen bekämpft werden oder jene Szene, in der man zwei Pappmaché-Juden Pamplona-Stieren gleich durchs Dorf teibt, ebenso wie die provokante Frage im Waffenladen nach der richtigen Wumme, um Juden zu erschießen als das sehen, was sie sind: völlig überzogene Satire. Und die sollte (fast) alles dürfen; zumal, wenn sie eindeutig als solche erkennbar ist. Aber in Ahnlehnung an den großen Stilisten Wolf Schneider: Zuschauer, die Ironie verstehen, sind rarer, als Filmemacher, die sie anzuwenden wünschen.
Angesicht von traurig stimmenden Erfolgsgeschichten tumber Blödelei wie die "7 Zwerge" (ka-news berichtete) könnte allerdings schon beinahe angezweifelt werden, ob der dumme Deutsche auch wirklich weiß, dass man im wirklichen Kasachstan eben nicht seiner Schwester zur Begrüßung die Zunge in den Rachen steckt, seine Fäkalien nach dem Gang aufs Örtchen eben nicht in kleinen Plastikbeuteln zurück an den Esstisch bringt, den Käse nicht aus Tittenmilch herstellt und sich des Morgens das Gesicht auch nicht unbedingt in der Kloschüssel wäscht oder Schamhaar als Zahlungsmittel einsetzt.
Bedenkt man zu guter letzt, dass der Brite Cohen selbst jüdischer Abstammung ist, entlarvt er seinen Borat ebenso wie die großteils unwissend teilnehmenden (amerikanischen) Darsteller schlicht und ergreifend als bigotte Dummköpfe; en Detail als Rassisten, Homophobiker, Sexisten und Antisemiten, für die der Rest der Welt sowieso nur degenerierte Primaten sind. Er tut im Grunde nichts anderes als Dokufilmer Michael Moore (ka-news berichtete): Bloßstellen. Nur dass dieser eben seine Gegenüber nicht mit einem fiktiven Charakter zusätzlich anstachelt. Das nennt man dann echte Realsatire. Doch Cohen ist Komiker und als einem solchen kann man ihm und seinem "Borat" sicher so manches zum Vorwurf machen: Scherze, die nicht immer und schon gar nicht für jedermann komisch sind zum Beispiel.
Oder Geschmacklosigkeit; gipfelnd in jener Szene, als Borat samt schwarzem Balken über dem vermeintlich mächtigen kasachischen Phallus und sein ekelhaft fetter Begleiter Azamat (Ken Davitian), der ob seiner Leibesfülle auch ohne aus auskommt, nackend auf dem Bett um die Selbstbefriedigungsrechte an Pamela Anderson ringen; und hernach für eine halbe Minute in einer brechreizfördenden 69-Stellung verharren. Aber Minderheiten diskriminieren?
Eine der schönsten Szenen des Films: Borats US-Hymnenverunglimpfung beim Rodeo (Foto: pr) |
Nochmal kurz nachgeschlagen bei Wikipedia: "Diskriminierung ist die soziale Benachteiligung von Menschen wegen gruppenspezifischer Merkmale." Vielleicht sollten die Damen und Herren vom Europäischen Zentrum für Antiziganismusforschung einmal etwas mehr über den lateinischen Ursprung des Wortes nachdenken. Der heißt nämlich kurz und knapp übersetzt "Unterscheidung". Ergo: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. High Five! Kulturelle Lernung verabreichen in Karlsruhe der Filmpalast und die Schauburg, dort im englischsprachigen Original mit Untertiteln.