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Bedroht dieses Insekt jetzt unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln?

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Bedroht dieses Insekt jetzt unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln?

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    Unscheinbar, aber mit großem Effekt auf die Landwirtschaft: die Schilf-Glasflügelzikade.
    Unscheinbar, aber mit großem Effekt auf die Landwirtschaft: die Schilf-Glasflügelzikade. Foto: Boris Roessler, dpa (Symbolbild)

    Die Schilf-Glasflügelzikade fühlt sich in Deutschland wohl, gilt anders als etwa die Asiatische Hornisse als einheimisches Insekt und hatte es bis zuletzt hauptsächlich auf Zuckerrüben abgesehen. Doch das unscheinbare kleine Tier stellt Landwirte, Forscher und Behörden vor eine offenbar gehörige Herausforderung: Die Zikade hat ihre eigentliche ökologische Nische verlassen und macht sich nun auch an Kartoffeln zu schaffen. Experten halten es für nicht ausgeschlossen, dass sie sich künftig auf andere Nutzpflanzen ausbreitet. Ist damit die Versorgung mit Nahrungsmitteln in Gefahr?

    Was macht die Schilf-Glasflügelzikade besonders?

    Die Schilf-Glasflügelzikade saugt, so beschreibt es das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH), an Teilen der Pflanze - doch damit nicht genug: Sie überträgt dabei Bakterien, die in den betroffenen Exemplaren Krankheiten wie SBR, steht für „Syndrome-Basses-Richesses“, und Stolbur auslösen können. Die Folge im Fall der befallenen Zuckerrüben: Sie entwickelt sich fehl, haben teils weniger Zucker oder werden gar zur „Gummirübe“.

    Warum sich die Zikade gerade an den Zuckerrüben besonders gut entwickelt hat, darüber gibt es nur Theorien. Michael Rostás, Leiter der Abteilung Agrarentomologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften an der Georg-August-Universität in Göttingen, nennt eine davon: Ein besonderes im Insekt lebendes Bakterium sei plötzlich dafür verantwortlich, dass sich der Metabolismus der Pflanze verändert und so schlicht zur besseren Nahrungsquelle für das Tier wurde. „Ähnliches ist von Blattläusen bekannt, die Viren übertragen. Eine viruserkrankte Zuckerrübe stellt ebenfalls einen besseren Wirt für das Insekt dar“, erklärt er gegenüber dem Science Media Center.

    Angaben des BMLEH zufolge weiß man seit 2008, dass das Insekt Zuckerrüben befällt. Gesichert sei auch, dass seit 2021 zudem Kartoffeln unter dem Schädling leiden. Zahlen aus 2024 zeigen: Es waren 85.000 Hektar Zuckerrüben mit den Bakterien infiziert und 22.000 Hektar Kartoffeln. Schon jetzt seien auch andere Gemüsesorten wie Rote Bete, Karotten und Zwiebeln befallen worden. Allen voran der hohe Verlust an Qualität und Erträgen setze Landwirte und die gesamte Verarbeitungskette unter Druck.

    Übrigens: Während die Zikade heimisch ist, machen auch invasive Arten Deutschland zu schaffen.

    Ist die Versorgung mit Nahrungsmitteln bedroht?

    Die durch die Schilf-Glasflügelzikade verursachten Schäden seien signifikant, heißt es aus dem Julius Kühn-Institut (JKI), dem
    Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen. So führe die sogenannte bakterielle Knollenwelke bei Kartoffeln zu kleineren Exemplaren, weichen Knollen, die mehr Zucker haben und so bei der Verarbeitung unerwünschte Verbräunungen hervorrufe. Mit Blick in die Zukunft hält das JKI fest: Weil das fliegende Tierchen so anpassungsfähig sei und sich über verschiedene Wirtskulturen vermehren könne, habe sich die Zikade nicht nur im Süden Deutschlands als Schadinsekt ausgebreitet, sondern weit darüber hinaus.

    Sabine Andert leitet das Institut für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland am JKI und erklärt: „Tatsächlich schauen wir hier einem Insekt bei seiner Evolution zu. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht spannend, für die landwirtschaftliche Praxis jedoch frustrierend, weshalb das Thema von Politik und Gesellschaft gleichermaßen ernst genommen werden muss.“ Es gehe um Arbeitsplätze und Verdienste in Landwirtschaft und Verarbeitung - „und letztlich darum, dass heimische Produkte knapp und teuer werden können“.

    Übrigens: In Baden-Württemberg verbreitet sich aktuell mit dem Japankäfer ein weiteres gefräßiges Insekt. Doch natürlich sind nicht alle Insekten schädlich, einige sind sogar in der eigenen Wohnung nützlich.

    Wie kann man die Schilf-Glasflügelzikade bekämpfen?

    Gerade weil sich das Tier so verbreitet, hatte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Frühjahr 2025 erlaubt, bestimmte Pflanzenschutzmittel für vier Monate per Notfallzulassung zuzulassen. Erst für die Zuckerrüben, dann für Kartoffeln. Der Einsatz der Mittel sei ein Baustein zur Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade. Auch das BMLEH betont, dass lediglich ein „integrativer Ansatz“ langfristig zum Erfolg führe. Soll heißen, auch die Fruchtfolge und pflanzenbauliche Maßnahmen spielen mit in die Bekämpfung hinein.

    Werde etwa auf Wintergetreide nach Zuckerrüben und Kartoffeln verzichtet, reduziere das die Zahl der Nymphen im Boden, sodass diese sich nicht störungsfrei entwickeln können - denn es fehle schlicht die passende Wirtspflanze in dieser Zeit. In der Folge kann es zu einem „verringerten Ausflug der Zikade im folgenden Frühjahr kommen“. Zudem sollten sich anfällige Kulturen möglichst weit von bereits befallenen Feldern befinden.

    Andreas Vilcinskas, Leiter des Institutsteils Bioressourcen im Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie und Direktor im Institut für Insektenbiotechnologie der Justus-Liebig-Universität Gießen erklärt zu den Notfallzulassungen von Pflanzenschutzmitteln: „Durch die Lebensweise der Zikaden gestaltet sich eine Bekämpfung mit Insektiziden nicht einfach: Denn die Zikaden fliegen über mehrere Wochen von anderen Feldern in die Rüben- und Kartoffelfelder ein, sodass der Landwirt mehrmals Insektizidbehandlungen durchführen muss. Weiterhin sind die Zikaden sehr effektive Überträger der Krankheitserreger, sodass bereits ein kurzes Zeitfenster ausreichend für eine Infektion der Pflanzen ist. Ein wichtiger Faktor ist daher der richtige Zeitpunkt der Insektizidbehandlungen im Zusammenspiel mit passender Witterung.“

    Übrigens: Nicht nur Pestizide gehen Insekten an den Kragen, geht es nach einer neuen Studie, spielt auch CO₂ eine entscheidende Rolle.

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