Zeitarbeitsunternehmen erleben einen beispiellosen Aufschwung. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) war im Juni 2010 jedes dritte Jobangebot in Deutschland in der Zeitarbeitsbranche ausgeschrieben worden. Auch in Karlsruhe zeichnet sich für die Branche schon jetzt ein Rekordjahr ab.
Angestellte vervierfacht
Im ersten Halbjahr 2010 waren etwa 8.000 Zeitarbeiter in der Region Karlsruhe beschäftigt, rund 600 mehr als noch am 31. Dezember 2009. Ariane Durian, die Bundesvorsitzende des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und Geschäftsführerin der Karlsruher Zeitarbeitsfirma Connect, rechnet bundesweit sogar mit 750.000 Zeitarbeitern in diesem Jahr.
Die deutsche Wirtschaft lässt die Krise im Rekordtempo hinter sich. Laut Statistischem Bundesamt legte die Wirtschaftsleistung im Jahresvergleich um 4,1 Prozent zu. Zeitarbeit gilt als ein wichtiger Indikator für die aktuelle Konjunkturlage. Auch der Karlsruher Personaldienstleister GMW spürt diese Entwicklung. Derzeit beschäftigt das Familienunternehmen über 800 Mitarbeiter, die höchste Zahl seit der Gründung vor 33 Jahren. "Eine Vervierfachung innerhalb der letzten 14 Monate", sagt Geschäftsführerin Nicole Munk. Der Personaldienstleister suche zurzeit händeringend Fachkräfte. "Wir hätten noch viel mehr Personal eingestellt. Aber es fehlt schlichtweg an Bewerbern", so Munk. Gerade in der Elektro- und Metallindustrie sowie im Pflegebereich sei die Nachfrage sehr groß.
Leiharbeit ist willkommenes Instrument
Die GMW-Geschäftsführerin ist vom Modell Zeitarbeit überzeugt und prognostiziert, dass es zukünftig in Deutschland noch mehr an Bedeutung gewinnen werde. Unternehmen würden immer mehr auf die Angebote von Zeitarbeitsfirmen zurückgreifen, da sie flexibel auf Auftragsschwankungen reagieren könnten, ohne dabei Fachkräfte fest anstellen zu müssen. Denn gerade nach den vielen Entlassungen im Krisenjahr seien die Unternehmen vorsichtiger geworden. Die Betriebe würden abwarten, ob es sich um einen nachhaltigen oder vorübergehenden Aufwärtstrend handelt.
Leiharbeit sei daher ein willkommenes Instrument, um Mitarbeiter zu rekrutieren und unverbindlich zu testen. Außerdem würden sich die Unternehmen langwierige und kostspielige Bewerbungsprozesse sparen. "Viele Unternehmen schalten gar keine Anzeigen mehr, sondern holen sich ihre Arbeitskräfte nur noch über Zeitarbeitsfirmen. Sie beauftragen uns und wir suchen die passenden Arbeiter. Das geht schneller und ist ein geringerer Aufwand für die Unternehmen", erläutert Munk.
"Zeitarbeit baut Brücken"
Zeitarbeiter schließen mit einem Zeitarbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag ab. Das Unternehmen entsendet seine Arbeitnehmer zu Arbeitsleistungen in andere Betriebe. Die Arbeitnehmer werden sozusagen für einen bestimmten Zeitraum an Firmen ausgeliehen. Dies geschieht meistens für zeitlich begrenzte Projekte, bei Krankheit oder Termindruck. Aber auch eine spätere Übernahme und damit eine Festanstellung sind möglich. Arbeitgeber bleibt aber vorerst das Zeitarbeitsunternehmen, vom dem der Arbeitnehmer Lohn und Urlaub erhält.
Auch die Bundesregierung lobte im Januar dieses Jahres die Zeitarbeit. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, sagte: "Zeitarbeit baut Brücken in Arbeit für Menschen, die sonst schlechte Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt hätten. Und sie sorgt auf Seiten der Unternehmen dafür, dass diese flexibler auf Nachfragespitzen oder Auftragsflauten reagieren können."
Gewerkschaften kritisieren Zeitarbeit
Der Darstellung, dass Leiharbeit den Berufseinstieg vereinfachen könne, widersprechen allerdings die Gewerkschaften. Stefan Rebmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Nordbaden, kritisierte im Gespräch mit ka-news, dass gerade einmal zwölf Prozent der Zeitarbeiter von den Firmen übernommen würden. Außerdem hätten viele Zeitarbeitsfirmen weder Tarifverträge noch Betriebsräte. Zeitarbeiter würden daher wesentlich schlechter bezahlt als die Stammbelegschaft. Die Devise gleicher Lohn für gleiche Arbeit gelte hier nicht. Geringes Einkommen bedeute geringe Kassen- und Pflegeverischerungsbeiträge. "Die 'Generation Leiharbeit' wird im Rentenalter auf staatliche Leistungen angewiesen sein", warnt Rebmann. Über 60 Prozent der Zeitarbeiter in Deutschland sind unter 39 Jahre alt.
Die Unternehmen der Zeitarbeitsbranche sehen das ganz anders: Teilweise würden Gehälter geboten, die doppelt so hoch seien wie der Tariflohn, so die GMW-Geschäftsführerin. "Wir befinden uns ganz klar in einem Markt, in dem die Vorteile bei den Bewerbern liegen."
"Mindestlohn dringend notwendig"
Die Gewerkschaften appellieren an die Unternehmen, nicht auf Leiharbeit zu setzen. Rebmann verstehe zwar junge Menschen, für die Zeitarbeit die einzige Chance sei. Er fordert aber ein Umdenken bei den Unternehmen. "Unternehmen müssen die Menschen wieder an sich binden und an die Zukunft denken. Die Betriebe müssen wieder eigene Fachkräfte ausbilden und diese dann übernehmen. Wenn die heutige Jugend vernachlässigt und nicht fachgerecht ausgebildet wird, dann müssen die Betriebe morgen ausgebildete Arbeiter teuer einkaufen", so der Gewerkschafter. Zudem fordert der DGB einen bindenden Mindestlohn von 8,50 Euro.
In der Zeitarbeitsbranche gibt es zwar einen Tarifvertrag, aber keinen verbindlichen Mindestlohn. Immerhin haben die DGB-Gewerkschaften mit dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmer (iGZ) am 30. April 2010 einen Tarifabschluss erzielt. So kam es seit 1. Juli 2010 zu einer Erhöhung der Entgelte, die sich bis 31. Oktober 2010 in mehreren Stufen vollziehen soll.
Die Bundesvorsitzende des iGZ fordert ebenfalls einen Mindestlohn: "Wir brauchen dringend einen Mindestlohn für diese Branche und zwar bis zum 1. Mai 2011." Denn ab diesem Zeitpunkt wird der deutsche Arbeitsmarkt für Billig-Arbeiter aus den EU-Beitrittsstaaten zugänglich.