Normalerweise bin ich ein sehr ehrlicher Mensch. Ich mache die Kassierin darauf aufmerksam, wenn sie mir zuviel rausgibt. Ich bringe Geldbeutel zum Fundbüro, gebe Trinkgeld und lege der Klodame im Einkaufszentrum immer eine Münze auf ihr Tellerchen. Heute musste ich meine Prinzipien allerdings ausnahmsweise über den Haufen werfen - sozusagen als ausgleichende Gerechtigkeit.
"Oh, das ist aber jetzt gaaaanz schlecht"
Ich wollte meiner Nichte zum Geburtstag ein Paket schicken. Da ein Ausflug zur Post mit meinem Sohn immer eine richtige Abenteuerreise ist, sammelte ich alle liegengebliebenen Postkarten, Briefe und Päckchen ein, um sie zusammen abzugeben. Bei der Post angekommen, quälte ich mich mit meinem 12-Kilo-Brocken von Kind die Treppe hinauf und freute mich, dass nicht soviel los war, weil bei langer Wartezeit das Gequengel losgeht - dann schauen mich die älteren Damen an den kleinen Tischchen mit den angeketteten Kullis immer strafend an, während sich andere Mütter mit einem schadenfrohen Lächeln darüber freuen, dass ihr Kind gerade mal brav ist.
Das sollte mir heute also erspart bleiben. Lag vermutlich am Wetter, denn während eines Wolkenbruchs geht man nicht besonders gerne mit aufweichgefährdeter Ware spazieren. Als ich dem netten Postbeamten einhändig meine gesammelten Werke ausgehändigt hatte, verkündete er den stolzen Preis: "Das macht dann 27 Euro und 20 Cent." Alleine das Paket für meine Nichte nach Luxemburg kostete 17 Euro - ein Wucher. Ich finde innerhalb Europas sollte es erschwinglich sein, Pakete zu versenden.
Aber gut, da ich heute keine Lust auf Streitgespräche hatte, zückte ich - ebenfalls einhändig, denn mit einem Arm musste ich weiterhin meinen Sohn von der Flucht zum Postkartenständer abhalten - meine EC-Karte. "Oh, das ist aber jetzt gaaaanz schlecht. Das hätten Sie mir vorher sagen müssen, dass Sie mit Karte zahlen. Können Sie es bar zahlen?" Ich musste verneinen, da ich leider zwei Euro zuwenig dabei hatte. "Also, das ist wirklich jetzt schlecht," lamentierte der Postangestellte weiter, "das müsste ich jetzt stornieren und wieder ganz von vorne eingeben. Aber sie sind doch bei der Volksbank, die ist gleich hier um die Ecke. Heben Sie doch bitte grad das Geld dort ab."
Durch den Regen zum Happy End
Sprachlos gegenüber diesem Riesenaufwand, den die Kartenzahlung mit sich gebracht hätte, mache ich mich auf den Weg zur Volksbank. Grad um die Ecke bedeutet Treppe runter, 100 Meter geradeaus - durch den Regen ohne Schirm - Geld abheben, 100 Meter zurück, Treppe hoch - alles mit meinem Klammeräffchen auf dem Arm. Mit jedem Schritt wuchs meine Wut auf den Postbeamten, der mich durch den Regen scheuchte und auf die Postfiliale, bei der man nur nach Vorankündigung mit Karte zahlen darf.
Wie ein begossener Pudel stand ich wieder vor dem netten Postbeamten und wedelte mit dem Geld. "Da sind Sie ja wieder. Moment, ich suche den Beleg... das macht dann 10 Euro und 20 Cent." Ich mache den Mund auf um zu widersprechen - der Wille war da - dann legte ich ihm sprachlos das Geld hin. Er hatte vergessen das teure Paket einzutippen, aber ich entdeckte es auf dem bearbeiteten Stapel und beschloss nach meinem Gang durch den Regen heute ausnahmsweise mal, nicht fair zu sein, sondern mich über das kleine Geschenk zu freuen. In dem Moment empfand ich es als eine angemessenen Wiedergutmachung für meine Mühe.
"Tina trotzt dem Alltag" ist die neue, wöchentliche Kolumne auf ka-news. Sie erscheint ab sofort immer donnerstags. Anregungen, Aufregungen und sonstige Hinweise an rastatt@ka-news.de.