ka-news.de: Du bist von Afghanistan nach Deutschland gekommen, als du 17 Jahre alt warst. Wie lief die Flucht ab und wie hast du sie erlebt?
Esa Muradi: Die Flucht war sehr schwer und anstrengend, besonders als Minderjähriger ist das Ganze nicht einfach. Man wird von der Polizei verfolgt, hat Probleme mit Schleppern, von denen man bedroht wird.
Man ist der Natur ausgeliefert, tagelang ohne Unterkunft draußen schlafen, im Regen und Schnee ohne ein Dach über dem Kopf. Essen und Trinken war außerdem ein großes Problem, da ich zeitweise tagelang nicht in der Lage war, Essen zu finden.
Auf meiner Reise bin ich regelmäßig Menschen begegnet, die ohne Familie und Begräbnis neben der Straße verstorben sind. Wenn du läufst, kommst du an, sonst stirbst du. In Deutschland bin ich alleine angekommen.

Bist du direkt in Karlsruhe angekommen, oder was hat dich nach Karlsruhe geführt? Was bedeutet die Stadt für dich heute?
Über Österreich bin ich zunächst nach München in ein vom Militär verwaltetes Flüchtlings-Lager gebracht worden und wurde schließlich nach Karlsruhe geschickt, weil ich in der Umgebung Bekannte hatte. Hier habe ich anfangs in einem Jugendheim gewohnt.
Dann habe ich eine Ausbildung gemacht, einen Verein gegründet und arbeite nun als Sportlehrer. Nachdem ich meine Familie verlassen musste, habe ich mir hier eine neue aufgebaut. Die besteht jetzt aus den Mitgliedern in meinem Verein und meiner Freundin, die ich hier kennengelernt habe.

Was waren die größten Hürden, die du bei der Integration in Deutschland überwinden musstest?
Es war sehr schwer. Bis 2021 hatte ich ständig mit der Angst zu tun, dass ich wieder nach Hause geschickt werden würde. Das hat meine Gedanken ständig beherrscht. Ich war auch 5 Jahre lang in Therapie, um zu verarbeiten, was mir passiert ist. 2021 wurde mein Asyl schließlich anerkannt.
Die Sprache war auch ein großes Problem, Deutsch ist ja bekanntermaßen keine leichte Sprache. Auch meine Ausbildung als Fachmann für Restaurantleitung war hart erkämpft. Mit 18 bin ich ausgezogen und habe alles alleine schaffen müssen. Ich habe keine finanzielle Unterstützung vom Staat oder dergleichen bekommen.

Was die Gründung des TeamXtreme Karlsruhe e.V. anbetrifft: Wir haben den Verein 2018 gegründet und sind jahrelang von Schule zu Schule gezogen bis wir nun endlich im Februar eine feste Location haben.
Dies ist allerdings auch ein großes persönliches Risiko gewesen, ich musste nämlich einen großen Kredit aufnehmen, um die neue Halle einsatzbereit zu machen. Jetzt geht es darum, den Verein so erfolgreich zu machen, dass ich nicht mehr halbtags Essen ausfahren muss und mich voll auf das Training konzentrieren kann.
Damit leiten wir über zum Sport: Wie bist du zu Brazilian-Jiu-Jitsu gekommen und wann hast du mit der Sportart angefangen?
In der Heimat habe ich Ringen gelernt und bin durch einen guten Freund, der früher mein Betreuer im Jugendheim war, auf Brazilian Jiu-Jitsu, kurz BJJ, gekommen. Angefangen habe ich also im Jahr 2016.

Wie hat sich deine Karriere dann entwickelt?
Ich habe nach ein paar Monaten das erste Mal auf einem Wettkampf gekämpft und danach im Zwei-Wochen-Takt, sodass ich vier Jahre am Stück Deutscher Meister wurde. Ich habe viele internationale Medaillen bei der IBJJF (International BJJ Federation), NAGA (North American Grappling Association) und vielen weiteren Organisationen gewonnen.
Diese Erfolge haben mich dazu angespornt, meine Kenntnisse und Fähigkeiten an andere weiterzugeben, und ich habe das Privileg, als Trainer und Mentor für unsere 170 Vereinsmitglieder zu fungieren. Ich leite eine Trainingshalle mit über 300 Quadratmetern im Herzen von Karlsruhe. Unser Verein organisiert regelmäßig Wettkämpfe und nimmt aktiv an verschiedenen Turnieren teil.

Durch meinen Asylstatus durfte ich leider lange Zeit das Land nicht verlassen, aber mein Ziel ist es, Weltmeister/Europameister zu werden. An dieses Ziel glaube ich fest. Da der Verein nun auf den Beinen ist, kann ich mich wieder mehr auf meine Wettkampfkarriere konzentrieren.
Allgemein kann ich sagen: Durch meine Erfahrungen im BJJ habe ich nicht nur eine neue Leidenschaft entdeckt, sondern auch die Möglichkeit gefunden, mich persönlich und sportlich weiterzuentwickeln.
Gab es hierbei auch Hindernisse oder schwere Zeiten für Dich?
Ich hatte einige Verletzungen: Ich habe mir das Handgelenk, das Knie und mein Bein gebrochen. Außerdem haben mir meine gesamten Lebensumstände sehr zu schaffen gemacht. Die Distanz zu meiner Familie und der Verlust von Familienmitgliedern durch den Krieg sprechen glaube ich für sich.
Was macht Dir an Deinem Sport am meisten Spaß?
Am meisten Freude machen mir nicht die Wettkampferfolge, sondern mein Verein, in dem ich respektiert werde und mein Wissen weitergeben kann. Es ist eine große Ehre für mich so viele Leute zu sehen, die herkommen, gerne hier trainieren und etwas lernen wollen.
Wie genau engagiert sich Dein Verein sozial und für Integration?
Wir haben sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund, auch viele aus der Ukraine. Für viele ist hier ein Platz, mit Menschen aus der neuen Heimat in Kontakt zu kommen und ihre Deutschkenntnisse aufzubessern.
Ein Kampfsportverein bringt viele Menschen zusammen, die sich sonst nicht über den Weg laufen würden, es ist ein zweites Zuhause für viele Mitglieder. Oft trifft man sich auch nur in dem Vereinskeller, um etwas Zeit miteinander zu verbringen.

Welche Pläne und Wünsche hast du für die Zukunft?
Ein großer Traum ist es außerdem, meine Familie wiederzusehen und sie hierher einzuladen, um ihnen zu zeigen, was ich erreicht habe. Daneben will ich natürlich Sportler trainieren, die auf Weltklasse Niveau mithalten können.