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Urbane Mythen: Eckige Melonen und Zombiedrogen

Panorama

Urbane Mythen: Eckige Melonen und Zombiedrogen

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    „Fleiß lohnt nicht“ betitelte der Berliner Tagesspiegel Turklebaums Geschichte und druckte sie am 8. April 2000. Auch die London Times und die BBC gingen dem Märchen von dem toten 51-Jährigen auf den Leim. Existiert hat der nämlich nie – trotzdem ist die Sage über sein unbemerktes Ableben einfach nicht totzukriegen.

    Fünf Tage tot im Großraumbüro

    Turklebaums Geschichte ist ein typisches Großstadtmärchen. Eine Geschichte, die eigentlich zu schön ist, um wahr zu sein und dementsprechend in der Regel auch nicht wahr ist – wie das Krokodil in der Kanalisation, die Giftspinne in der exotischen Pflanze oder die Organmafia, die im Ausland Urlauber betäubt und ihnen dann in einer Blitzoperation eine Niere entfernt. „Der Mensch ist nun mal von Natur aus ein Geschichtenerzähler“, sagt Frank Ziemann. Der Berliner beschäftigt sich auf seiner Webseite hoax-info.de schon seit Jahren mit Großstadtmythen, Kettenbriefen und falschen Warnungen vor Computerviren, sogenannten Hoaxes.

    Es könnte ja sein . . .

    „Die meisten urbanen Mythen beschäftigen sich mit vermeintlichen Alltagsgefahren, die zwar irgendwie unglaublich, aber eben doch gerade noch plausibel sind“, erklärt Ziemann. Weil der Erzähler sich oft selbst nicht mehr sicher ist, woher er die Geschichte eigentlich hat, werden sie gerne mit dem Hinweis auf den Freund eines Bekannten weitergegeben, der komischerweise aber nie aufzutreiben ist. Im Englischen hat sich daher auch das Kunstwort „Foaf“ eingebürgert, für „Friend of a friend“, zu deutsch: Freund eines Freundes.

    „Viele ‚Urban Legends' sind im Kern uralt, werden aber immer wieder neu ausgemalt und modernisiert“, beschreibt der Wissenschaftsjournalist Bernd Harder. „Wandersagen passieren mehr oder weniger ungefiltert den kritischen Verstand, weil sie sich an eine andere, überlegene Instanz richten: an unser Gefühl.“ Besonders erfolgreich verbreiten sich daher Geschichten, die an starke Emotionen wie Angst, Ekel oder Empörung appellieren.

    Nicht alle Geschichten sind erfunden

    Oft sind sie auch nicht völlig aus der Luft gegriffen, weiß Frank Ziemann. Vor einiger Zeit habe es zum Beispiel das Gerücht gegeben, Kriminelle würden mit Drogen behandelte Visitenkarten verteilen. Bloßer Hautkontakt genügte angeblich, um einen Menschen in einen willenlosen Zombie zu verwandeln, der sogar freiwillig für den Verbrecher das Konto leer räumt. „Richtig ist, dass diese Droge existiert“, erklärt Ziemann, „sie heißt Scopolamin, in Südamerika auch Burundanga genannt, und sie macht Menschen tatsächlich bis zu einem gewissen Grad willenlos.

    “ Um einen merkbaren Effekt zu bekommen, müsse sie aber entweder inhaliert oder geschluckt werden, erklärt Ziemann: „Dass schon ein kurzer Hautkontakt genügt, ist völliger Quatsch.“ Auch die Behauptung, die Droge werde von Kriminellen in Europa und den USA im großen Stil eingesetzt, entbehrt Ziemann nach jeder Grundlage – selbst wenn das immer wieder in E-Mails behauptet wird. „Das Problem ist, dass es eben immer Leute gibt, die solche Warnungen weitertragen.“

    Im Netz der Lügen

    Besonders leicht ist das natürlich im Internet. „Damit hat die Verbreitung von Mythen und anderen Luftnummern eine ganz neue Dimension“, schreibt Buchautor Harder. Mit dem World Wide Web stehe erstmals ein Medium zur Verfügung, das die Wiedergabetreue des Schreibens und die Langlebigkeit der mündlichen Überlieferung mit der Geschwindigkeit des Telefons kombiniert. Hinzu käme, dass hier die Scham- und Peinlichkeitsschwelle niedriger sei, als wenn man einen Mythos von Angesicht zu Angesicht weitererzählt. Zudem macht es moderne Bildbearbeitungssoftware leicht, die falschen Meldungen mit einem passenden Bild zu versehen. Hartnäckig hält sich etwa ein acht Jahre altes Foto von George W. Bush, der eine Schule in Houston besucht und dort in einem Buch über amerikanische Geschichte zu lesen versucht – das er falschherum hält.

    Das Foto ist zwar eine Fälschung, drückt aber auf wunderbare Weise genau das aus, was viele Menschen über den früheren Präsidenten denken – und ist wohl gerade deswegen so erfolgreich.

    Gefälschte Tsunamibilder

    Auch echte Nachrichten sind vor falschen Bildern nicht gefeit. So tauchte im Dezember 2004, kurz nachdem ein Tsunami die Küsten Südostasiens verwüstete, ein Foto auf, das angeblich die Riesenwelle zeigt, kurz bevor sie die Küste Thailands oder Indonesiens (je nach Quelle) erreicht. Dabei fällt eigentlich schon bei genauerem Hinsehen auf, dass es sich um eine Fälschung handeln muss. Nicht nur, dass die Autos auf der abgebildeten Küstenstraße auf der falschen Straßenseite fahren (in Thailand und Indonesien herrscht Linksverkehr), auch die Proportionen zwischen Welle und den abgebildeten Hochhäusern wirken bei genauerem Hinsehen seltsam verzerrt.

    Dennoch findet sich das Bild noch immer auf zahlreichen Homepages, die sich mit der Katastrophe beschäftigen – vermutlich zur großen Freude des Schöpfers der Fotomontage.

    Woher kommen die Geschichten?

    Wieso Menschen überhaupt urbane Mythen in Umlauf setzen, ist noch nicht völlig geklärt. Der Volkskundler Rolf Wilhelm Brednich, der mit „Die Spinne in der Yucca-Palme“ einen Klassiker zum Thema geschrieben hat, hält moderne Sagen für den „Ausdruck von Ideen, Gefühlen, Befürchtungen und vor allem Sorgen, Nöten und Ängsten.“ Frank Ziemann bringt zudem noch einen weiteren Punkt ins Spiel. „Vermutlich ist jeder schon mal irgendwann auf so eine Geschichte reingefallen“, sagt der Berliner, „da denkt sich der eine oder andere vielleicht, er könnte es ja auch mal selbst mit einer eigenen Geschichte versuchen.“

    Großstadtmythen und wie man sie erkennt:
    hoax-info.de
    urbanlegends.about.com (englisch)

    Literatur zum Thema: Rolf Wilhelm Brednich, Die Spinne in der Yucca-Palme, Beck, 157 Seiten, 6,95 Euro Bernd Harder, Das Lexikon der Großstadtmythen, Piper, 318 Seiten, 8,95 Euro

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