Eigentlich wollte sie nur nach Hause: Als eine 47-Jährige vergangenen Mittwoch in den frühen Morgenstunden durch den Nymphengarten ging, bemerkte sie, dass sie von einem Mann verfolgt wurde. So schildert es die Karlsruher Polizei in einer Pressemitteilung. Nach Erreichen des zwischen Ritter-, Lamm- und Kriegsstraße gelegenen Parkgeländes versetzte ihr der Unbekannte plötzlich einen Schlag auf den Hinterkopf, zog sie in ein Gebüsch und verging sich an der Frau. Der Täter Flüchtete, die Ermittlungen der Polizei gestalten sich schwierig.
"Jede zehnte Vergewaltigung wird angezeigt"
Die Kriminalstatistik der Karlsruher Polizei zeigt: 2015 gingen die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zum zweiten Mal in Folge zurück. Sie fielen um 30 Fälle oder 5,5 Prozent auf 516 Fälle (2014: 546 Fälle). Die Aufklärungsquote stieg um 6,7 Prozentpunkte auf 81,6 Prozent. Gleichzeitig verzeichnete die Karlsruher Polizei im vergangen Jahr einen Anstieg den "sonstigen sexuellen Nötigungen". Hier stiegen die Fälle von 31 auf 48 bzw. 54,8 Prozent. Die Aufklärungsquote in diesem Deliktsbereich stieg um 3,9 Prozentpunkte auf 81,3 Prozent.
Doch die Statistiken erfassen nur angezeigte Fälle, das heißt Schwankungen in der Statistik sind in der Regel nicht auf eine Veränderung im tatsächlichen Vorkommen zurückzuführen, sondern auf Veränderungen bei der Anzeigebereitschaft. "Es gibt keine regionalen Statistiken zur Gewaltbetroffenheit. Grundsätzlich wissen wir aus der Dunkelfeldforschung, dass jede siebte Frau einmal in ihrem leben schwere sexualisierte Gewalt erlebt," erklärt Katja Grieger von der Frauenberatungsstelle.
Verschiedene Studien würden zu den Ergebnissen kommen, dass zwischen 85 Prozent und 95 Prozent der Vergewaltigungen nicht angezeigt werden. "Nimmt man ungefähr den Mittelwert, kann man sagen, dass nur jede zehnte Vergewaltigung angezeigt wird", so Grieger weiter.
Oft ist der Täter kein Unbekannter
Auch die Polizei geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Bei Sexualdelikten sei "die Grenze zur Straftat sehr schmal und viele Betroffenen sich unsicher", bestätigt auch Sabine Doll, Pressesprecherin der Polizei Karlsruhe, "viele Frauen zögern bei der Anzeige." Dies könne gleich mehrere Gründe haben: Zum einen sei die Hemmschwelle bei einem sexuell motivierten Gewaltdelikt sehr hoch. "Wir versuchen dem entgegen zu wirken, zum Beispiel, indem wir jeder Betroffenen anbieten, mit einer Kollegin zu sprechen", erklärt Doll weiter.
Außerdem bestehe zwischen Opfer und Täter oft schon vor der Tat eine Beziehung. Auch die Statistik zeigt, dass die Angreifer oft keine Unbekannten sind: Bei 76 angezeigten Vergewaltigungen im vergangenen Jahr bestand in 57 Fällen eine Täter-/Opferbeziehung. Dies sei oft eine weitere Ursache, warum Geschädigte keine Anzeige erstatten, bestätigt Doll.
Eigene Empfindung spielt eine große Rolle
Die Angst vor Übergriffen in Karlsruhe ist trotz steigender Aufklärungsquote groß, das zeigt der KOD-Sicherheitsbericht 2014. 68,5 Prozent der Befragten fühlen sich laut dieser Statistik in der Karlsruher Innenstadt bei Tag sicher. Nachts fühlen sich die Karlsruher in der City deutlich unsicherer: 37,2 Prozent geben an, dass ihnen der nächtliche Gang durch die Innenstadt nicht behagt. Besonders gemieden werde, so die Bilanz, der Europaplatz - er gilt unter den Umfrageteilnehmern als besonders unsicher. Tatsächlich gibt es vonseiten der Polizei keine "Gefahrenzonen" in der Stadt.
Für die gefühlte Unsicherheit gibt es einen Grund. "Wenn ich mein Leben als bedrohlich empfinde, durch sozialen Abstieg, Terrorismus, dann erhöht das die Gefahr einer subjektiven Wahrnehmungsverzerrung", erklärt Stephan Rieder von der psychologischen Beratungsstelle West. Dabei würden auch negative Vorerfahrungen eine Rolle spielen. Gegen diese Ängste kämen auch rationale Zahlen nicht an.
Und welche Maßnahmen helfen, um sich in der Öffentlichkeit sicher zu fühlen? "Generell ist man betrunken und alleine ein leichteres Opfer", erklärt Doll. Vor allem nachts sollte man seinen Instinkten vertrauen. "Sich in hellen Räumen aufhalten, möglichst in Gruppen unterwegs sein und Öffentlichkeit schaffen, eben da wo sich die Täter unwohl fühlen", rät die Polizeisprecherin.